Die Pest ist ausgebrochen. Alle ab ins Homeoffice!
Ich sitze alleine an meinem Schreibtisch mit einer Gänsefeder in der Hand, vor mir ein Laib Brot, den mir mein Weib gebacken hat, und weil keiner Feuerholz gehackt hat, habe ich eine Mütze auf und einen Pelzmantel an. Fast alle Rezensionen zu Hans Teutonica fangen mit dem unglaublich gelungenen Cover an. Warum sollte ich da eine Ausnahme machen…
Nach der Beschreibung des Covers folgen dann aber schnell Lobhudeleien über das Spiel und auch da werde ich mitmachen. Denn Hansa Teutonica ist ein Euro Game in Reinform, das Thema ist völlig egal, die Mechaniken sind aber sehr gut und ich muss ständig einflussreiche Entscheidungen treffen.
Bei Hansa Teutonica übernehmen die Spieler ein Handelshaus zu Zeiten der Hanse. Günstig Pelze im hohen Norden kaufen und dann teuer in Italien verkaufen. Nein, es gibt keine Ressourcen. Das verdiente Geld in die Handelsflotte stecken. Nein, es gibt kein Geld, keine Schiffchen. Es gibt nur Holzwürfel und –scheiben. Das in knalligem Beige gehaltene Spielbrett zeigt einige deutsche Hansestädte (Hattingen aus meiner Heimatregion fehlt, Punktabzug!), die über Handelswege miteinander verbunden sind. Erschließt ein Spieler einen Handelsweg komplett, darf er in den angrenzenden Städten eine Niederlassung errichten. Wird ein Handelsweg zu einer Stadt mit Niederlassung nochmal fertiggestellt, erhält der Spieler mit der Niederlassung Prestigepunkte, die eigentlich ordinäre Siegpunkte sind.
In fünf besonderen Städten kann sich der Spieler, der den Handelsweg fertig stellt, aber auch dafür entscheiden, Verbesserungen für sich freizuschalten. Sich zu entscheiden, wann ich von der Verbesserung meines Hanse-Netzwerkes zum spielentscheidenden Prestige umschwenke, macht einen großen Reiz von Hansa Teutonica aus. Unsere Partien gehen meist schneller zu Ende, als es sich vier von fünf Spielern wünschen. Es gibt eine Siegpunktgrenze, ab der das Spiel endet – so lässt sich absichtlich einem Spieler Siegpunkte zuschanzen, damit das Spiel schneller vorbei ist. Denn es gibt ja noch die große Endabrechnung – und am Ende knallt die Peitsche.
Ich muss ständig die Möglichkeiten und die Strategie meiner Mitspieler im Auge behalten. Das gemeinste an dem Spiel ist, dass ich oft meinen Marktbegleitern Siegpunkte schenken muss, um mich selber zu verbessern. Und meine Krämerseele muss bei jedem Zug entscheiden: Hole ich mir jetzt eine schnelle Verbesserung, überlasse meinem Mitspieler dann aber auch eine gute Aktion, oder verlangsame ich meine Entwicklung, verbaue aber auch den anderen ihren Zug? Hansa Teutonica ist kein nettes Spiel und offenbart regelrecht die schlechten Charaktereigenschaften der Spielrunde, von Missgunst über Rache zu Schadenfreude. Scheiterhaufen, brenn!
Zu viert, oder besser noch zu fünft, beginnt der Kampf um die besten Plätze auf den Handelswegen direkt in der ersten Runde. Um die Mechanismen zu verstehen und die Stärke der fünf unterschiedlichen Aktionen einschätzen zu können, braucht es ein paar Durchgänge. Die ersten zwei Partien sollten als Proberunden abgetan werden. Erst dann können die Vorteile der Freischaltungen auf dem Spielertableau einigermaßen abgeschätzt werden. Wie bei jedem Worker-Placement-Spiel zeigt sich auch hier deutlich, dass es von Vorteil ist, wenn möglichst viele Aktionen pro Zug durchgeführt werden können. Aber je nach Spielsituation können auch die anderen Errungenschaften mächtiger sein, liefern sie doch wichtige Vorteile bei den Aktionen, mehr Flexibilität und zusätzliche Siegpunkte in der Endabrechnung.
Je nachdem, wie sich die Mitspieler aufstellen, gibt es besser gelegene Städte, die regelmäßig Prestigepunkte abwerfen, da ihre Handelswege oft genutzt werden. Und die Bonusmarker auf manchen Handelswegen, die starke zusätzliche Aktionen zulassen, sollten auch nicht unterschätzt werden.
Der Hang zum Grübeln beeinflusst die Spieldauer deutlich. Und selbst erfahrene Teutonen brauchen mal länger für das Abwägen der vielen Möglichkeiten. Die 90 Minuten sind schnell erreicht, es gibt aber auch Partien, die aufgrund der Siegpunktgrenze in unter einer Stunde entschieden sind.
Hansa Teutonica ist ein sehr interaktives Spiel, bei dem sich die Spieler gegenseitig ganz schön in die Quere kommen können. Da geht bei dem ein oder anderen schon mal der Mundwinkel nach unten. Das Spiel lässt durch die feste Siegpunktgrenze auch ein recht schnelles Ende zu, wenn die Spieler nicht aufpassen und jemand sich besonders lukrative Handelsorte sichern kann. Durch gemeinsames Agieren kann aber jeder Handelsfürst in seine Grenzen gewiesen werden. Es müssen dazu aber alle an einem Strang ziehen. Und da berät man natürlich gerne seinen Sitznachbarn, dass es doch jetzt besonders gut wäre, wenn er damit in seinem Zug anfangen würde …
In unserer Spielrunde kam mal die Diskussion darum auf, was ein gutes Spiel ausmacht. Nach vielem Palaver haben wir uns auf diese Definition geeinigt: Wie viele Entscheidungen kann ich treffen, die wirklich Auswirkung auf den Spielverlauf haben? Und nach dieser Definition ist Hansa Teutonica ein wirklich gutes Spiel.
Und in Zeiten, wo häufig dünne Spiele mit viel Marketingaufwand, exklusiven Minis und hochgestylten Covers unter die Leute gebracht werden, ist es doch auch mal schön, wenn die 2020 neu erschienene Big Box von Hansa Teutonica da nicht mitmacht. Oder?
Was ich dem Agentum Verlag neben seiner Stiltreue auch hoch anrechnen muss, ist, dass er das Spiel nicht nach einer der 194 Hansestädte benannt hat.
Hier meine drei Favoriten, falls ich mal ein Hansespiel erfinden sollte:
Anklam – fast wie Arkham und natürlich mit vielen Minis in der Box.
Hameln – mit dem Rattenfänger auf dem Cover, wer kennt ihn nicht?
Quedlinburg – und dann irgendwas noch mit Qu, z.b. Die Quackhansen von Quedlinburg.