Einmal mehr mutierte kürzlich unsere Eishockey-„Nati“ gegen Deutschland aus unerklärlichen Gründen kurzerhand vom gefürchteten Favoritenkiller zum eingeschüchterten Hasen, der sich mit gleich drei Spielern hinter der eigenen Torlinie versteckte. Wir hätten halt doch auf eine andere Tierart setzen sollen. Elche, zum Beispiel…
Um es vorweg zu nehmen: Marco Schaub gehört bei unseren Muwins-Spielesamstagen zum Inventar. Legendär ist jene lange zurückliegende Partie Scythe, in der er einem interessierten Kreis das Spiel erklärte und abschliessend versicherte, es handle sich dabei „nicht primär um ein Kriegsspiel“, es gehe „vor allem um Ressourcen“. Bewaffnete Auseinandersetzungen seien, wenn überhaupt, dann „eher selten und kurz“. Was folgte, war ein zweistündiges Blutbad. Aber eben: Mit uns würd‘ ich nicht spielen…
Trotz seiner offensichtlichen Fehleinschätzung darüber, wie Spiele bei uns nun mal funktionieren, durften wir erfreut zur Kenntnis nehmen, dass Marcos ausdauernde Investition in seine eigene Spielidee nun mit All-Star Draft (Sun Core Games) Früchte getragen hat. Und weil wir ihm in Scythe kampflos niemals auch nur die mickrigste Ressource überlassen würden, traue ich mir auch zu, sein Erstlingswerk hier hoffentlich nachvollziehbar zu rezensieren. Sorry, Marco!

Die schnellste Sportart der Welt führt im Brettspielbereich ein Schattendasein. Das kommt nicht von ungefähr, denn das rasante Geschehen auf dem Eis lässt sich noch schwerer kartonmässig übertragen als Fussball (für Hockeyfans: mit Ausnahme des fast zeitgleich mit All-Star Draft erschienenen, höchst unterhaltsamen Trick Shot). Auch All-Star Draft kümmert sich nicht um krachende Bodychecks oder Powerplays, sondern legt den Fokus auf den Managementaspekt. Und das glücklicherweise im Tierreich, so dass wir auch auf das Gedöns mit nervigen Spielergewerkschaften, überhöhten Salären und unzufriedenen Sitzplatzabonnenten verzichten dürfen.
Der Hauptmechanismus des Spiels ist denn auch titelgebend: Wir wählen aus einer Kartenhand ein Hockeyvieh für uns, geben den Rest weiter und erhalten so schliesslich die ersten sechs Spieler unserer Tierschaft. Fünf davon werden auch tatsächlich eingesetzt, Tier sechs bleibt auf der Ersatzbank. Wer nun denkt, dass das gezwungenermassen jener Sportmuffel sein muss, der früher auch im Turnunterricht immer als Letzter gewählt wurde, liegt nicht unbedingt richtig. Vielmehr hängt die Entscheidung davon ab, wie stark der Manager (also wir) in diesem ersten Match auftreten will – und das ist wiederum abhängig vom Stadion, in dem gerade gespielt wird. Zwar lieben die meisten Zuschauer erfolgreiche Mannschaften, aber es gibt auch Gegenden, in denen die Herzen den Underdogs zufliegen.

Diese Herzen sind es nämlich auch, auf die es in All-Star Draft ankommt. Genauer gesagt: Fans (also nicht etwa Punkte). Wer nach drei Vorrunden und den anschliessenden Playoffs (in denen nochmal viel zu holen ist) die grösste Fangemeinde hinter sich weiss, darf den masslos überdimensionierten Kartonpokal stemmen!
In den drei Vorrunden erhalten wir laufend neue Spieler dazu und stellen zwei weitere Teams zusammen, treten aber mit diesen auch gleichzeitig in zwei, schliesslich in drei unterschiedlichen Stadien an, und setzen dabei unsere Spezialfähigkeiten in Form von Coaches möglichst optimal ein. Die Auswechslungsoptionen zwischen den Spielen sind eingeschränkt, lediglich ein Tier darf jeweils von der Ersatzbank in bereits bestehende Teams wechseln, um die kommende Partie aktiv zu bestreiten.

Eine solche Bestreitung wird im Übrigen nach dem Zusammenstellen der Teams und dem geheimen Zuordnen zu den Stadien äusserst effizient abgehandelt. Es geht für die Manager nämlich (wie in echt) darum, Teams mit passenden Persönlichkeiten zusammenzustellen. Wobei sich „Persönlichkeit“ hier überschaubar auf die Tierart, den Zahlenwert und eventuell vorhandene Symbole beschränkt. Möglichst viele von einer Sorte davon will man haben – am liebsten fünf, aber das fällt mindestens in der ersten Runde noch äusserst schwer.

Ist die Vorrunde abgeschlossen, wird es richtig heftig: Für die Playoffs stehen uns nun alle gedrafteten Tiere zur Verfügung, aus denen wir eine Mannschaft bilden und in die erste Runde schicken. Das schlechteste Team scheidet aus und erhält eine mickrige Anzahl zusätzlicher Fans. Bei den übrigen Franchises machen sich Alterserscheinungen bemerkbar, so dass nun mindestens zwei Tiere für die nächste Playoffrunde ersetzt werden müssen – was uns natürlich unter Umständen unsere schöne Kombo zerreisst. Je länger man aber durchhält, desto mehr nimmt die Mickrigkeit der Fans ab – ein Playoffsieger ist deshalb auch ein heisser Anwärter auf grossen Fansupport.
All-Star Draft ist zunächst mal einfach nur richtig gut und macht Spass. Nach einigen Partien zeigt sich allerdings doch die eine oder andere Delle im Eis: Wer nicht mit einem Team aus 5 gleichen Kategorien (die auch noch möglichst weit oben auf der Powerleiter angesiedelt sein sollten) zur ersten Playoffrunde antritt, kann auch gleich Zuhause bleiben. Auch die Spekulation, zunächst mit einem etwas schwächeren Team anzutreten, um dann in der nächsten Runde aufzutrumpfen, hat sich bisher nicht wirklich ausgezahlt – was uns ausgerechnet in dieser entscheidenden Spielphase leider um den Genuss einer echten Entscheidung bringt – wobei 4 diesbezüglich die ungünstigste Spielerzahl ist, da die Playoffs nur drei Runden dauern und damit besonders wenig Platz zum Taktieren lassen.

Abhilfe hätte da eventuell eine (gefühlt) exponentielle statt lineare Verteilung der „Bonusfans“ in den Playoffs schaffen können. Die dann geringeren Unterschiede zwischen den weiter hinten platzierten Teams könnten auch mal eine riskante, vorübergehend „schwächere“ Teamzusammenstellung vertretbar erscheinen lassen. Eine (noch) inoffizielle Variante betrifft die grundsätzlichen Wertungskombinationen: Statt gleicher Symbole/Tiere/Werte werden dort Pokerhände gesammelt, die insbesondere auch beim Auswechseln von der Ersatzbank mehr Flexibilität versprechen. Die entsprechenden Regeln sind noch bei Marco in Arbeit – eventuell in Zukunft dann sogar (auch) bei uns herunterladbar…
Aber packen wir den Goon wieder ein – es bleibt dabei, dass uns All-Star Draft auch angesichts seiner Spieldauer von 45 Minuten sehr gut unterhalten hat! Das Zusammenstellen der Teams kann insbesondere in der Vorrunde zum Hirnverzwirbler der angenehmsten Sorte ausarten, die Coaches bringen (für die Gegner) einen Schuss Unvorhersehbarkeit ins Spiel, die Auflösung der einzelnen Matches ist spannend. Sammelt bloss keine Hasen!
(Herzlichen Dank an Sun Core Games für das Rezensionsexemplar)
Vielen Dank für den Bericht – und dass ihr mich stets daran erinnert, dass ich den Fehler machte, bei den Muwins ein Spiel mit beschränkten Konfliktmöglichkeiten als grundsätzlich nicht blutrünstiges Spiel anzupreisen. Mea culpa. Aber ich habe daraus gelernt und All-Star Draft nicht als Eiskunstlauf Spiel beschrieben 😄