Abserviert: Descent – Es geht abwärts…

Muskelbepackte Barbaren, leichtbekleidete Kämpferinnen, dunkle Gänge, schleimige Monster, unermessliche Schätze und jede Menge Bier! Das klingt alles ziemlich verlockend! Ok, bis auf’s Bier („Ich krieg‘ dann mal einen Caipirinha …“). Und die schleimigen Monster. Und die dunklen Gänge. Auch die Barbaren sind Geschmacksache. Ja, nicht jede spielerische Umsetzung realer Gegebenheiten ist über alle Zweifel erhaben. Und sogar Klassiker sind vor dem spielmechanischen Fortschritt nicht sicher – so erwischt’s in diesem ABSERVIERT einen älteren davon, dessen Titel seine Entwicklung bereits vorweg genommen hat: Descent!

Kürzlich hat mich ein Mitspieler, mit dem ich zum ersten Mal gemeinsam am Spieltisch sass, nach einer Partie Root mit hoffnungsvollen Augen angesehen und gefragt: „Spielt ihr auch Descent?“. Nach kurzem Überlegen – schliesslich steht eine schwere Schachtel inklusive Erweiterungen in meinem Regal – war meine Antwort ein gepflegtes „Nö“.

Aber von vorne…

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Die Schachtel ist mittlerweile proppenvoll. Man könnte fast sagen: Würfelförmig.

Hach, was wollte ich mich um wortwörtlich fast jeden Preis für das Spiel begeistern! Das Material war für damalige Verhältnisse ausserordentlich, diverse Erweiterungen habe ich sortiert und fein säuberlich in die Schachtel des Grundspiel gepackt, und danach … nennen wir es … „archiviert“. Seit Jahren. Wobei das nicht ganz stimmt, denn das Spiel durfte zu zwei Gelegenheiten an die mehr oder weniger frische Luft: Einmal recht früh zu einer Solo-Probepartie, danach noch einmal kurz zu einer Zweierpartie mit der werten Gattin und App-Unterstützung. Die Betonung liegt dabei auf „kurz“, denn der gestandenen ehemaligen Rollenspielerin fiel ebenso schnell wie mir auf, dass man in Descent vor allem eines tut: Sich eher hirnlos durch die Gegend würfeln.

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Die Arbeitsgeräte unserer Barbaren und Kämpferinnen

Storyelemente dienen im besten Fall als Füllmaterial zwischen den Kämpfen, die taktischen Optionen während einer solchen Balgerei sind ebenfalls höchst überschaubar. „Jaja, ist doch klar, bei dieser Art von Spielen“, meint ihr? Letztendlich wurde Descent aber ein anderer, gewichtigerer Umstand zum Verhängnis: Es gibt mittlerweile so viel Besseres! Dabei muss man noch nicht einmal zwingend zum naheliegenden Gloomhaven greifen, das thematisch in die gleiche Kerbe schlägt, gleichzeitig aber ganz einfach von allem mehr bietet – inklusive deutlich geistreicheren Auseinandersetzungen.

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In Gloomhaven stellen wir uns der Herausforderung völlig würfellos … !

Unser Lieblings-Horror-Space-Dungeon-Crawler Nemesis bietet ebenfalls dunkle Gänge und schleimige Monster en masse, sowie verschiedene Charakterklassen mit Spezialfähigkeiten. Deren Charakterentwicklung beschränkt sich allerdings zugegebenermassen auf den Übergang zwischen „vor dem Ableben“ und „nach dem Ableben“. Ähnliches gilt für Claustrophobia, das schon zu Descents glanzvolleren Zeiten mit innovativeren Mechanismen aufwarten konnte.

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Von „Minis“ zu sprechen, wird der Sache in Nemesis nicht wirklich gerecht. Links unten: Der Soldat, kurz vor seiner ersten und letzten Charakterentwicklung.

Charakterentwicklungsfetischisten, die dazu noch sehr gern würfeln, greifen deshalb zu Too Many Bones. Dort werden ebenfalls exzessiv Quader durch die Atmosphäre geschmissen, nur mit mehr Hirn (das wird nicht mitgeworfen, aber dennoch benötigt). Ohren einziehen und durch!

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Hilfe naht – die Würfel zeugen von Patches‘ charakterlichem Fortschritt.

Wer die Türmchen aus Lebenspunktechips ganz toll findet: Die gab’s schon lange vor Too Many Bones! Das zwar weniger prominente, dennoch unglaublich witzige, dabei aber hammerharte Assault on Doomrock hat uns schon mit aufgetürmten Lebenspunkten beglückt, als Patches noch in der Wiege lag. Verzeihung, in der „Cradle of Doom“, natürlich. Oder kennt ihr ein anderes Spiel, in dem ihr einen Magier spielen könnt, der sich vor seinen eigenen Zaubersprüchen fürchtet? Oder einen lachhaft übertrieben gepanzerten Barden, dessen Rüstung laut durch die Gegend quietscht?

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Die Gegner mögen schwächlich aussehen, aber Assault on Doomrock verlangt unserem B-Team alles ab.

Drehen wir das Schwierigkeits-Rad von der 11 kontinuierlich herunter, landen wir irgendwann beim familienfreundlichen und wunderbaren Clank! (Verzeihung: Klong!). Das weist praktisch alle eingangs erwähnten Inhaltssoffe in irgend einer Form auf, inklusive angemessenem (!) Zufallsfaktor – und macht dennoch viel Spass.

Aber wer wirklich haarsträubende Abenteuer, fernab von Drachen, ewig gleichem Elfenpack und betrunkenen, grössenwahnsinnigen Zwergen erleben will, wagt sich an ein erstes echtes Rollenspiel, schnappt sich unseren Peter als Spielleiter und nibbelt gepflegt in Paranoia ab. Danke, Computer!gloomhaven_09b

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