Tiefseeabenteuer-Spieler kennen das: Man taucht friedlich dem Meeresgrund entgegen, wo unermessliche Schätze auf unsere gierigen Grabbelfinger warten, als sich irgend so ein Eumel den ersten herumliegenden Mini-Klunker schnappt – und schon ist die Hölle los. Und jetzt überlegt euch einfach, wie man diesen Effekt mit dem eher ungewöhnlichen Thema „Asbestproduktion“ in Verbindung bringen könnte. Willkommen zu The Cost.
Asbest ist ein prima nützliches Material. Eigentlich. Mit gewissen Nachteilen, die im Regelheft, zusammen mit weiteren Fakten (wie etwa zu Benjamin Franklins Geldbörse) informativ dargelegt werden. Wir selber zeigen uns in The Cost (Armando Canales) von den Warnfingern unbeeindruckt und steigen ins Asbestförder-, Verarbeitungs- und Transport-Business ein, um unsere persönlichen Besitztümer möglichst stärker zu mehren als es die Konkurrenz schafft. Dabei haben wir eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen, darunter auch jene, ob wir unsere Belegschaft „unsicher“ (Masken tragen? Das behindert doch nur die Bewegungsfreiheit!) oder – wesentlich teurer – „sicher“ produzieren lassen.
Entsprechend der Spielerzahl sind bis zu vier Staaten bereit, unsere Unternehmen zu subventionieren und vom Aufschwung mit zu profitieren. Neben unserer eigenen Geldbörse sind dabei auch die jeweiligen Landeswährungen von Rutland (Rutländische Rubel), Pecora (Pecorinos), Salmo (Salmosen) und UGL (Blennemanns) zu berücksichtigen, die wir benötigen, um neue Minen und Mühlen zu errichten, das Transportnetzwerk auszubauen und die Sicherheitsausrüstungen unserer Arbeiter zu berappen.

Tatsächlich spielt die Logistik in The Cost eine zentrale Rolle, während die politischen Entwicklungen in den vier Ländern, der Schwellenmarkt oder die Entwicklung firmeneigener Technologien eher in der zweiten Reihe stehen, dort aber auf keinen Fall vernachlässigt werden sollten. Anstatt hier auf die Einzelheiten dieser verzahnten, geschickt umgesetzten Elemente einzugehen (ich verweise stattdessen auf ein komplettes Heavy-Cardboard-Playthrough), soll der eigentliche Star von The Cost ins Rampenlicht gerückt werden: Die Entscheidung, ob man bereit ist, für den maximalen Profit von den eigenen Arbeitern die entsprechenden, ultimativen Kosten einzufordern…
Bei der „sicheren“ Produktion von Asbest locken bereits durchaus ansehnliche Gewinne – insbesondere, wenn wir durch den Bau von Schienen und Häfen auch noch am Transport mitverdienen. An die richtig unermesslichen Schätze auf dem Meeresboden (in diesem Fall Devisen) kommen wir allerdings, wenn wir Moral und Anstand über Bord werfen und die Folgen in Form von toten Arbeitern in Kauf nehmen. Und da derartige Vorfälle in Minen und Mühlen – zumindest für aufrechte Unternehmer – auch finanziell langfristig verheerende Folgen hätten, gibt es nach dem ersten Sündenfall kaum noch ein Zurück.

Ein ungewöhnliche Thematik also – in einer Umsetzung, welche die Dinge beim Namen nennt. Natürlich, es gibt glücklicherweise auch noch andere Titel, die auf den Trend pfeifen, Geschichte in Spielen klinisch rein waschen zu wollen. An Infamous Traffic, beispielsweise. Oder John Company. Aber auch etwas näher am Spiele-Mainstream wird man noch fündig: Freedom – the Underground Railroad drängt sich da etwa auf. Aber so explizit muss es gar nicht sein, schliesslich war die Industrielle Revolution (Brass) auch kein Zuckerschlecken, bei Wir sind das Volk hat natürlich niemand die Absicht, eine Mauer zu bauen und Struggle of Empires macht keinen Hehl daraus, wozu das Schiff vor der Küste Afrikas herumschippert. Ganz zu schweigen von unserer geliebten COIN-Serie oder überhaupt dem weiten Feld der Cosims. Oft gilt allerdings, dass wir entweder die „Guten“ verkörpern, oder dass die in Kauf genommenen Grausamkeiten als Nebenprodukt mitschwingen. The Cost hingegen knallt uns die Folgen unseres Handelns direkt und sehr persönlich vor die Nase – schliesslich ist hier der eigene Profit das einzige Ziel.
Tatsächlich legt es das Spiel geradezu darauf an, uns früher oder später in die böse Produzentenecke zu drängen, denn bis auf einen sich verringernden Absatzmarkt oder im Extremfall die Schliessung eines Landes haben wir bei unsauberer Produktion kaum negative Konsequenzen zu fürchten. Bei lediglich vier Runden besteht auch dann immer noch die Möglichkeit, auf andere Abnehmer umzusteigen, wenn ein Land die Schoten endlich dicht macht und den Asbesthandel verbietet. Habe ich im neuen Absatzland ins Transportwesen investiert oder Mühlen gebaut, kann das sogar besonders profitabel werden. Tatsächlich bringen uns getötete Arbeiter neben massiven Profiten, unsere rücksichtslosen Geschäftstaktiken honorierend, auch noch Vorteile bei der Wahl der Spielreihenfolge. Damit ist klar: Sobald das erste Unternehmen die Nerven verliert, alle Hemmungen fallen lässt und durch unsichere Produktion fette Gewinne einstreicht (spätestens aber in der letzten Runde) ist die eingangs erwähnte Hölle los.

Das alles liesse sich zwar vermeiden, wenn wir uns alle darauf einigen, ausschliesslich sauber zu produzieren! Aber eben: Einerseits lässt sich dies monetär nicht immer umsetzen, aber vor allem sitzen wir letzten Endes am Tisch, um zu gewinnen! Und wisst ihr was? Weil wir nun mal Spielerinnen und Spieler sind, und keine Wirtschaftsbosse, weil es sich nicht um Asbest sondern um Holzwürfel, nicht um echte Arbeiter, sondern um orange Holzmännchen handelt, ist das auch überhaupt nicht schlimm. Wir haben bei The Cost während einer Partie ebenso wenig ein schlechtes Gewissen, Gewinne zu maximieren, wie bei Brass – oder wie beim Legen eines Hinterhalts in Combat Commander.
Hätte The Cost also ausschliesslich eine moralisierende Botschaft zu vermitteln, würde es rasch und geräuschlos im tiefen, schwarzen Loch der „pädagogisch wertvollen“ Spiele versinken. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man einen Aha-Effekt definitionsgemäss nun mal nicht mehrmals erleben kann. Aber glücklicherweise bietet das Spiel mehr. Der Mechanismus zur Aktionswahl ist bisher kaum gesehen. Die Idee der Schienen- und Hafenprioritäten ist nahezu genial und lädt zu raffinierten Winkelzügen ein, um die Konkurrenz von den Vorteilen der eigenen Infrastruktur zu überzeugen. Die politischen Entwicklungen in den vier Nationen sind ebenfalls an unsere Tätigkeiten gebunden und fördern die Kooperation – oder eben auch Sabotageakte – zwischen den Firmen.

Über mangelnde Interaktion kann man sich also nicht beklagen – tatsächlich betreffen uns viele Aktionen der werten Gegnerschaft ganz direkt, sei es, weil wir mitverdienen, oder weil uns jemand in unsere perfekt abgestimmte Logistik pfuscht. Das geht so weit, dass man sich mit einer Konzentration auf Schienen und Häfen tatsächlich ebenfalls eine goldene Nase (mit)verdienen kann – und zwar ganz ohne Todesfälle unter der Belegschaft! In diesem Fall würde man seine Hände in Unschuld waschen und hätte sich auch in der Realität noch nicht einmal etwas vorzuwerfen … oder vielleicht doch? Eine entsprechende Diskussion NACH der Partie bringt die Runde ja vielleicht zum Schluss, dass die Botschaft von The Cost doch angekommen ist … und für weit mehr als nur für Asbest Gültigkeit hat…
Damit niemand auf die Idee kommt, ich würde hier ausschliesslich lobhudeln: Der Produktionsfehler mit den vertauschten Nummern auf den Minenplättchen ist zwar angesichts der Erfahrung des Spielworxx-Bosses erstaunlich, aber mangels Konsequenzen völlig nebensächlich. Etwas (!) ärgerlicher, da unnötig: Die eine Spielerfarbe ist schon sehr ungünstig gewählt. Weiss (Spielerplättchen) sieht nun einmal fast aus wie weiss (leere Bauplätze). Und die 1er und 5er Münzen lassen sich wohl bei idealem Tageslicht, aber kaum noch Abends über den Tisch gebeugt unterscheiden, ohne dass man sie alle auf die Vorderseite dreht. Da hätten andere Farben ihren Dienst besser – und ohne zusätzliche Kosten (…) erfüllt. Schade. Aber zurück zum Relevanten…

Spielworxx hat mit The Cost einen mechanisch starken, innovativen, spielerisch attraktiven Titel (von ganz unten auf dem Meeresgrund) an Land gezogen, der aufgrund seines Themas in den sozialen Netzwerken (natürlich) bereits zu Kontroversen geführt hat und der sicher auch nicht alle gleichermassen ansprechen wird (als ob das irgend ein Spiel tun würde). Wer aber über den Tellerrand quietschbunter, fröhlicher, spassiger Spiele hinausblicken und sich auch an ein ernsthafteres Thema wagen möchte, darf dies gern mit einigen der oben genannten, herausragenden Titeln tun – in die sich The Cost nahtlos einreiht.
Hi,
finde die Spiele von Spielworxx auch meist sehr interessant, allerdings auch recht teuer. Wenn ich mir das Spielmaterial angucke sehe ich da eher „normale“ Klötzchen und Pappe. Ich bin ja bereit für eine gute Spielidee auch mal mehr auszugeben. Aber bei den letzten Veröffentlichungen von Spielworxx hat mich der Preis doch eher abgeschreckt. Sind auch einige Kommentare auf BGG in diese Richtung. Und eine Beschränkung auf 1000 Spiele ist mir eigentlich eher egal. Spiele sind für mich primär keine Wertanlage oder Sammlerobjekte.
Grüße vom kniepigen axel-sohn
Ich gebe dir ja Recht, muss aber relativieren, dass auch für mich Spiele keine Wertanlage sind. Ich muss lange nicht jeden Spielworxx-Titel haben, nur weil es davon bloss 1000 Stück gibt. Bei The Cost hat mich aber zunächst das absurde Thema und dann vor allem die Umsetzung angesprochen – und für ausgesuchte „ungewöhnliche“ Titel gebe ich auch mal etwas mehr als für ein Massenprodukt aus. Tolle Minis sind ja schön und
gutnoch wesentlich teurer, reissen aber einen spielerischen Blindgänger auch nicht raus.