Abserviert: Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel

Bald feiert dieses bekannte, kooperative Abenteuerkartenspiel seinen 10. Geburtstag. Ich war zwar nicht direkt von Anfang an dabei, dennoch hiess ich es dann leidenschaftlich gern auf meinem Spieltisch willkommen. Es entpuppte sich dort als regelmässiger, oft gesehener Gast, doch nach etwas mehr als einem Jahr und etwa 65 Partien schaffte es das Spiel nicht mehr vom Regal runter. Was war geschehen? Wieso habe ich es vor ein paar Wochen plötzlich reaktiviert und seither wieder regelmässig gespielt? Und vor allem: Deckt sich mein Eindruck vom Spiel noch mit jenem von vor bald fünf Jahren? Ihr erfahrt es hier.

Das Spielprinzip von Herr der Ringe: Das Kartenspiel dürfte vielen von euch bereits bekannt sein, darum hier nur nochmal die Quintessenz: Wir basteln uns aus einer Vielzahl von Helden- und Aktionskarten ein persönliches Kartendeck, mit welchem wir dann verschiedene Quests bestreiten, indem wir das, was uns das sogenannte Begegnungsdeck an Feinden, fiesen Örtlichkeiten und anderem Ungemach entgegen wirft, mit unseren Karten möglichst erfolgreich abwehren. Um unsere Gewinnchancen zu erhöhen oder – blicken wir Sauron der Realität ins Auge – oft überhaupt erst welche zu generieren, sind zwei Dinge unerlässlich: Erstens sollten wir unser Deck an jede Quest spezifisch anpassen, und zweitens brauchen wir dafür mehr und bessere Karten – diese gilt es, ganz den geldbeutelleerenden Konventionen des „living card game“-Genres entsprechend, in Erweiterungspacks zu kaufen.

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Das Begegnungsdeck mit dem ominösen Auge Saurons ganz links, drei abenteuerlustige Helden und der Spielerkartenstapel – es kann losgehen!

Seinerzeit hat mich der knackige Schwierigkeitsgrad sowie das Rumpröbeln und Optimieren, das gleichzeitige möglichst schlank Halten des eigenen Kartendecks und das gemeinsame Taktieren komplett abgeholt. Wieder und wieder stürzte ich mit meinen Helden in eine widerborstige Quest, nahm jede Niederlage als weitere Motivation auf, meine Kartenauswahl noch cleverer zusammenzustellen, bis es mir bzw. uns jeweils gelang, die Kräfte Mordors niederzuringen. So kämpfte ich mich durch den ersten Zyklus (Grundspiel plus sechs Abenteuerpacks) und Teile der ersten Hobbit-Saga-Erweiterung.

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Wir haben die 8 geforderten Fortschrittsmarker beisammen – Quest geschafft!

Dann war erst mal die Luft raus. Das geschah zur wohl schreibintensivsten MUWINS-Phase, es schoben sich also immer wieder andere Spiele dazwischen und beanspruchten Zeit sowie Gedächtniskapazitäten meines Gehirns. Die Abstände von einer Partie Herr der Ringe zur nächsten wurden immer grösser. Die Folge war ein stetes, zumindest teilweises Wieder-Erlernen des schon ordentlich angewachsenen Kartenpools und damit auch eine wachsende Hemmschwelle zur Abenteuerfortsetzung. Der Umstand, dass ich noch ungeöffnete Erweiterungen im Regal stehen hatte (Khazad-Dûm und die restlichen Hobbit-Abenteuer), liess mich dennoch zuversichtlich in die Zukunft blicken – die Rückkehr des Königs (und seiner Gefährten) auf meinen Tisch sollte nur eine Frage der Zeit sein.

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Was da wohl noch alles auf uns wartet?

Vor zwei Wochen war es dann soweit. Nach erfolgreichem Abschluss unserer kürzlichen Too Many Bones Kampagne galt es, ein neues Spiel zu finden, mittels welchem sich meine Frau und ich abends, nachdem das Baby eingeschlafen ist, noch etwas entspannen können. Das Herr der Ringe Kartenspiel erfüllte dabei mehrere Kriterien: relativ schnell auf- und wieder abgebaut, gut anpassbare Spieldauer, ein Thema, das wir beide mögen, herausfordernde Aufgaben, kampagnenartiges Erlebnis und Abwechslung aufgrund zahlreicher Quests …

Wir begannen quasi bei Null, immer nur mit jenen Karten, welche für die jeweilige Quest zu deren Erscheinen bereits verfügbar waren. Und ja, es macht immer noch Spass, am eigenen Deck zu basteln, es prickelt immer noch, wenn man neue Karten und damit neue Möglichkeiten kriegt. Und die Freiheit, sein Deck so zusammenstellen zu können, wie man lustig ist – dick oder dünn, mit teuren oder billigen Karten, mit Schwerpunkt auf Verbündeten, Verstärkungen oder Ereignissen – diese Freiheit erachte ich immer noch als einen der grossen Pluspunkte des Spiels.

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Extra Wumms für einen Zwergenangriff (ganz links) gibt’s gratis, für Gandalfs oft entscheidendes Einspringen hingegen sollte man am Besten schon im Voraus was zur Seite legen.

Aber wie viel ist diese Freiheit wert? Spätestens, wenn einem die ersten ernsthaften Feinde und Ereignisse des Begegnungsdecks um die Ohren fliegen, kann der Wind schnell umschlagen und das vorfreudige Prickeln in ein konsterniertes Grollen verwandeln. Der bereits angesprochene Schwierigkeitsgrad ergibt sich nämlich nicht einfach aus den einzelnen Gefahren, die im Begegnungsstapel lauern. Vielmehr ist er das Produkt der Unvorhersehbarkeit, die diesem Spiel als zentrales Element zugrunde liegt: Es ist unvorhersehbar, welche Karten uns wann im Begegnungsdeck erwarten und es ist unvorhersehbar, welche Karten wir wann aus unserem eigenen Stapel ziehen. Kombiniert resultiert das besten- (und eher seltenen-)falls in einem Hochgefühl, die richtigen Karten im richtigen Moment gezogen zu haben. Die Regel ist jedoch schlicht, dass eine Quest bereits nach vier bis fünf Runden abgebrochen wird, weil wir entweder nur wenig Brauchbares aus unserem Deck zu Tage förderten, oder aber weil der Begegnungsstapel uns bereits zu viele seiner schwer verdaulichen Brocken serviert hat.

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Ein erdenklich schlechter Start ins Abenteuer: Ein Held nimmt 4 Schaden (links), was oft schon reicht um ihn ableben zu lassen, und dann steht auch schon der dickhäutige Hügeltroll bereit …

Gewiss, wir haben die Möglichkeit, die Kartenabfolge beider Stapel zu beeinflussen. Minimalst. Es gibt Spielerkarten, die erlauben es uns etwa, die oberste Karte des Begegungsstapels anzusehen (krass, was?) – wenn wir etwas tiefer in unsere meist spärlich bestückte Heldentasche greifen, dürfen wir vielleicht sogar eine Begegnungskarte weniger ziehen (woah!). Oder hier, eine Spielerkarte, die mir erlaubt, die 5 obersten Karten meines Stapels nach Adlerkarten zu durchsuchen und diese dann sofort auf die Hand zu nehmen – bezahlen muss ich sie natürlich immer noch, wenn ich sie einsetzen will. Ja, das Bare ist ein echter Knackpunkt. Im Normalfall erhalte ich 3 Ressourcen pro Runde. Will ich die wirklich sämtlichst dafür ausgeben, mir eine Karte ansehen und bei Bedarf unter den Stapel legen zu können? Wer das Spiel schon gespielt hat, weiss, dass es bei weitem dringlichere Investitionen zu tätigen gibt.

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Die oberste Begegnungskarte anschauen ist zwar günstig, aber nur bedingt nützlich. Will man einmalig eine weniger ziehen, kostet das hingegen einen Rundenlohn.

Dass man den Schwierigkeitsgrad anpassen kann (im „einfachen“ Modus werden einige der bösesten Karten vor Spielbeginn aussortiert), steigert zwar unbestreitbar die Siegesquote, am Erlebnis selbst ändert es aber herzlich wenig: Wir sind immer noch von den Kartenabfolgen abhängig. Mal mehr, mal weniger (denn einige Quests sind von Grund auf einfacher als andere), aber die happigeren Abenteuer schafft man auch so nicht ohne effizient zusammengestelltes Kartendeck und eine entgegenkommende Begegungskartenabfolge (hallo, dritte Quest in der Grundspielbox!). So pendeln wir zwischen „oh, das ging jetzt flott!“, wenn wir gleich beim ersten Versuch reüssieren, und „hueresiech, wie soll man das denn überleben?!“ – und ja, ein paar spärlichen Partien, die irgendwo dazwischen fallen.

Damit dürfte jetzt auch klar sein, wie viel die oben angesprochene Freiheit tatsächlich wert ist: Vorhersehbar wenig. Mir fehlt mittlerweile die Zeit, gewisse Quests zig mal zu spielen, bis mein Deck entsprechend optimiert ist und mir die Begegnungsreihenfolge endlich soweit entgegenkommt, dass ich auch gewinne. Wo bleibt das Spiel, wenn ich wiederholt nach fünf Minuten abbreche und die Karten neu mische, bis sie endlich so aufgedeckt werden, wie ich sie brauche? Ein vom Kartenziehglück abhängiger Erfolg ist wenig wert und unbefriedigend. Und mir fehlt auch die Geduld. Wenn die Zeit fürs Spielen knapp ist, mag ich sie echt nicht in kalkulierbare Frustmomente investieren.

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Zweite Runde: Théodred schon fast tot, immer noch keine der benötigten Verstärkungen gezogen – starten wir besser nochmal neu.

Fans des Spiels mögen nun einbringen, dass der Deckbau doch das eigentliche Spiel sei. Dem will ich nicht widersprechen, aber das, was bei mir den bleibenden Eindruck hinterlässt, ist nun mal das Spielgefühl während der Quest. Und ich benutzte nicht umsonst in den ersten Absätzen die Verben „abwehren“, „niederringen“ und „kämpfen“. Genau das ist es, was ich als Spieler mache. Zugegeben, das ist sogar ein Stück weit thematisch, aber es ist auf Dauer wenig erbaulich und einfach ermüdend. Mir wurde auch gesagt, dass die späteren Abenteuer besser, cleverer, interessanter seien als jene des ersten Zyklus. Gut möglich. Aber das ist für mich schlicht zu wenig, und vor allem zu spät.

Ich verkaufte seinerzeit Die Legenden von Andor frühzeitig, weil ich es zu unabenteuerlich, starr und kalkuliert fand, wie jede Mission eine ganz bestimmte Vorgehensweise erforderte. Herr der Ringe: Das Kartenspiel enthält auch diesen mir eigentlich unliebsamen, puzzeligen Aspekt (spezifische Quests erfordern zwingend spezifische Karten im Spielerstapel), aber die doch etwas grössere Flexibilität und Unberechenbarkeit machten das für mich einigermassen wett. Heute tun sie das nicht mehr, oder zumindest nicht mehr genug. Eigentlich ist es noch schlimmer, weil ich selbst unter optimalen Voraussetzungen (bezogen auf meine Kartenauswahl) gar nicht so unhäufig total abkacken kann.

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Den Bedrohungsgrad reduzieren oder einen fiesen Feind kampfunfähig machen: Zwei potentiell lebensrettende Aktionen, die man zum richtigen Zeitpunkt auf der Hand haben sollte (nebst dem benötigten Kleingeld, um sie einzusetzen, versteht sich).

Ich will trotz allem nicht sagen, dass es ein schlechtes Spiel ist. Es gibt bestimmt Spielertypen, die sehr gut damit zurecht kommen und darin aufgehen – tat ich vor ein paar Jahren, als kinderloser Single mit viel Freizeit, ja auch. Ich finde jedoch, dass es ein Spiel mit schlechten Designelementen ist, die zudem heute veraltet und wenig spielerfreundlich wirken. Gerade ein kooperatives Spiel darf gerne schwierig sein, es ist nicht das Verlieren, mit dem ich hier ein Problem habe. Es sollte aber auch motivieren können, weiterzumachen – und zwar nicht nur mit neuen Karten, die es zusätzlich zu kaufen gilt. Der 7te Kontinent etwa liefert meiner Meinung nach ein ähnliches, aber besseres Spielerlebnis (Deckbau ausgeschlossen): Auch da verliert man erst ein paar mal zwangsläufig, es gibt also ebenfalls diesen „grind“-Faktor. Aber man lernt mit jedem Durchlauf etwas dazu – sowohl thematisch als auch taktisch – und kommt so dem Ziel immer etwas näher. Vor allem aber fühlt man sich nicht so den Launen des „Feindes“ ausgeliefert: Man scheitert, weil man mit der Nahrung schlecht haushaltet oder in unbekanntem Gebiet zu viel riskiert. Aufgrund eigener Fehler also, und nicht, weil man plötzlich eine Karte zieht, die den eigenen Bedrohungslevel um 8 erhöht, und oh, ich hab grad nichts Passendes auf der Hand, um das abzuwehren, tja, game over.

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„Ach schau, du musst deinen Bedrohungsgrad um 8 erhöhen. Zum Glück trifft’s nicht mich, sonst wäre ich aus dem Spie- … verdammt, wir sind immer noch am vertrockneten Bach im Wald, es trifft mich also auch!“

Eine Kaufempfehlung würde ich also heute kaum noch jemandem dafür aussprechen. Allein das LCG-Modell ist in finanzieller Hinsicht eigentlich bereits abschreckend genug: Für Grundspiel und ersten Zyklus blättert man schnell mal 135.- Fränkli hin, und das beinhaltet gerade mal 9 Quests (von welchen einige problemlos im ersten Versuch zu schaffen sind – danach gibt es kaum noch Spielreiz). Wenn dann noch hinzu kommt, dass das dritte Abenteuer (von dreien) im Grundspiel ohne Erweiterungen praktisch nicht zu schaffen ist, oder in der Khazad-Dûm-Erweiterung Karten für eine Quest beiliegen, welche erst mit zusätzlich zu kaufenden Erweiterungen gespielt werden kann, fühle ich mich als Kunde doch ziemlich verarscht.

Auch als thematische Herr-der-Ringe-Erfahrung fällt es letztlich bei mir durch. Wenn man auf Unterstützung von Riesenadlern oder Rohan-Reitern angewiesen ist, um sich tief in den Minen Morias eines Goblinansturms zu erwehren, stimmt es für mich einfach nicht mehr. Nun, wir werden uns wohl trotzdem noch durch die Hobbit-Sagas questen. Und vielleicht werde ich mir mal die sich mechanisch angeblich unterscheidende digitale Umsetzung von Der Herr der Ringe: Das Kartenspiel ansehen, sollte es mich irgendwann doch wieder nach kartenbasierten Abenteuern in Mittelerde gelüsten. Auf dieser Kiste hier jedoch bleibt der Deckel bald für immer drauf (es sei denn, ich finde einen Abnehmer dafür).

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