Ein altes Landhaus, Blitze zucken durch die mondlose Nacht… soeben wurde Graf Eutin Mr. Walton ermordet in seinem Studierzimmer aufgefunden. Angeblich befanden sich sämtliche Gäste fernab des Tatorts im Haus. Dass das Opfer sehr reich, dabei aber auch ein absolutes Ekel war und sämtliche Anwesenden mehr als genug Motive aufweisen, ihn um die Ecke zu bringen, macht die Lösung des Falls nicht leichter. Gleiches gilt für die potentiellen Tatwerkzeuge, die haufenweise im Haus herumliegen. Da scheint richtige Polizeiarbeit auf uns zu warten…

Wer jetzt an wilde Verfolgungsjagden, heftige Schiessereien oder dergleichen denkt, liegt komplett falsch. Echte Polizeiarbeit besteht vor allem aus dem minutiösen Sortieren und Archivieren von Akten! Das wussten offenbar auch Ron Gonzalo Garcia und die Leute bei Megacorpin Games, die uns folgerichtig vor und nach jeder Partie ausreichend Gelegenheit geben, uns in den Polizeialltag hineinzuversetzen. Von den nummerierten 243 Karten des Spiels werden jeweils 70 benötigt, wobei jede Kombination einem neuen Fall entspricht, der eine eindeutige Lösung aufweist. Allein die dazu notwendigen Algorithmen haben uns ähnlich schon bei Cryptid begeistert, gleichzeitig sind das Heraussuchen der richtigen Kartennummern und das Einsortieren nach jeder Partie hier allerdings doch mit einigem Aufwand verbunden. Insbesondere Ersteres kann sogar zu einem Problem(chen) werden – aber dazu später mehr…

Die Karten zeigen Aussagen von Gästen, dem Hauspersonal oder der Polizei zu verschiedenen Aspekten des Abends. So behauptet vielleicht Oberst Gatow Stanley Smithe, dass er sich zur Tatzeit mit Fräulein Ming Claudette Cazelar in einem Zimmer aufgehalten hat. Oder ein Hausangestellter informiert uns, dass niemand zwischen Wohnzimmer und Küche gesehen wurde. Oder die Polizei (die mit ihren Informationen eher… sagen wir „originell“ umgeht und uns jeweils nur mitteilt, was im Labor nicht gefunden wurde) informiert uns, dass die Tatwaffe keine ölige Substanz hinterlassen hat.

Relevant sind die letzten beiden Punkte, weil es sich ganz offensichtlich nicht um eine geplante Tat, sondern um einen Mord im Affekt handelt. Der Täter oder die Täterin nahm auf dem Weg vom Ausgangspunkt zum Studierzimmer von irgendwo eine Waffe mit um diese anschliessend einzusetzen. Hinweise darauf, wer sich wie überhaupt durchs Haus bewegt haben konnte und welche Tatwerkzeuge in Frage kommen, sind folglich für die Lösung des Falls essentiell.

Natürlich werden uns die Schuldigen nicht erzählen, dass sie’s waren, sondern bezüglich ihres Aufenthaltsortes während der Tatzeit lügen. In Fällen mit höherem Schwierigkeitsgrad können sogar Komplizen im Spiel sein, die der Täterschaft falsche Alibis liefern. Auf die Schliche kommt man dem kriminellen Pack, indem man Informationen aus unterschiedlichen Quellen miteinander abgleicht und so den Kreis der Verdächtigen mehr und mehr einengt. Dabei verdichten sich Informationen zu den Gästebewegungen im Haus, den Motiven und den möglichen Tatwaffen (hoffentlich) nach und nach zu einem Gesamtbild, so dass das Ganze erfreulicherweise mit mehr Kombinatorik verbunden ist, als man durch das eher mechanische, initiale Abhaken der eigenen Informationen zunächst vielleicht vermutet hätte.
Wie man an die Informationen kommt? Nun, einige erhalten wir zu Beginn jeder Runde zufällig. Ist man am Zug, gibt man bekannt, zu welchem Ort und/oder zu welcher Person man gern mehr erfahren würde. Die lieben Mitspieler dürfen nun reihum passende Karten verdeckt anbieten, und ihren Gesamt-Informationswert bekannt geben. Nehme ich ein Angebot an, muss ich im Gegenzug Karten mit gleichwertigem Informationswert herausrücken. Und da Awkward Guests kein kooperatives Spiel ist, lohnt es sich durchaus, sich zu merken, welche Informationen man von wem erhalten hat. Schliesslich wird man dann eher zu den schnelleren Ermittlern gehören, wenn es gelingt, selber neue Karten zu erhalten, der Konkurrenz dabei aber immer mal wieder bereits Bekanntes zuzuschustern. Und jetzt kommt das Problem(chen) mit den Kartennummern…
Wird eine Karte zum vierten oder fünften mal zwischen den gleichen Spielern hin- und hergereicht, dann merken die sich fast zwangsläufig irgendwann deren Nummer auf der Rückseite. Das ist für den vorliegenden Fall kein Problem, da die enthaltene Information ja bereits bekannt ist. Allerdings: Ist so ein Schlaumeier bei einer anderen Partie wieder dabei und entdeckt, dass die traumatische Kartennummer im Spiel ist, dann ist das ein gewichtiger Vorteil. So richtig lässt sich das Problem nur schwer lösen – ausser, man verzichtet gezielt auf die Beachtung der Kartennummern. Im Interesse eines (noch) länger anhaltenden Spielspasses mit Awkward Guests würde ich das definitiv empfehlen.

Zum Spielspass trägt übrigens auch die Verwendung der App bei. Zwar sind im Regelbuch diverse Fälle mit unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen notiert, die App bietet jedoch deutlich mehr davon – und ausserdem einen gewaltigen Vorteil bei der Lösung eines Falles: Entschliesst sich jemand, einen Lösungsversuch zu unternehmen, so bedeutet dies in der „Papierversion“ im Fall einer inkorrekten Anklage das Ausscheiden aus der Runde, da die richtige Lösung der Person ja nun zwangsläufig bekannt ist. Die App hingegen gratuliert lediglich klatschenderweise zu einer korrekten Lösung… oder eben nicht. Im zweiten Fall darf der Falschankläger in der folgenden Runde zur Strafe zwar keinen Lösungsversuch unternehmen, bleibt aber in der Partie.
Awkward Guests hat uns bereits über etliche Runden sehr gut unterhalten und kann durch seine innovative Mechanik mit der aktuellen Welle von Detektivspielen locker mithalten. Ein wenig Vorsicht ist bei tiefen Spielerzahlen geboten. Bei drei Personen befinden sich einfach zu wenig Informationen gleichzeitig im Spiel, so dass man dieselben Karten immer wieder erhält. Das führt dazu, dass niemand mehr so recht eigene Informationen herausrücken mag – was natürlich den Effekt noch verstärkt. Ab vier Personen entfaltet das Spiel aber sein Potential, und da bis zu acht Hobbydetektive mittun dürfen und dabei ständig involviert sind, ist es gerade für grössere Runden besonders gut geeignet.
Vorerst legen wir jetzt aber, in der Hoffnung, dass das Zahlengedächtnis mancher Leute über die Zeit verblasst, sicherheitshalber eine kurze Pause ein. Es befinden sich einfach zu viele Schlaumeier unter uns…
Hi,
liest sich spannend und Zahlen konnte ich mir noch nie merken. Hab mir Awkward Guests nur nicht auf der Spiel 2019 geholt, weil angeblich im März eine deutsche Version erscheinen soll bei Taverna Ludica. Zu finden ist dazu allerdings nichts bis wenig. Mal abwarten.
Ansonsten noch allen einen guten Start,
axelsohn
Also eigentlich hast Du’s Dir ja geholt – und dann mir geschickt 😉
Danke nochmal dafür!! 🙂
Hab mal bei Taverna Ludica für die deutsche Version angefragt (29.08.2020):
„Awkward Guests musste aufgrund der aktuellen Krisensituation leider verschoben werden, hierzu werden wir bald in unserem Newsletter eine detailliertere Info schicken und eine Aktion starten.“
Wow – Du übernimmst ja hier langsam den Laden. Find‘ ich super 😉
Danke fürs Update!
Homeoffice machts möglich!
Als Liebhaber deduktiver Spiele war Awkward Guests eine echte Entdeckung. Auch wenn der Auf- und Abbau mit den Kartennummern recht lange dauert und die Kartennummern die besagte Wiedererkennungsgefahr mit sich bringen, das Spiel gut. Etwas zufälliger als Cryptid und deutlich weniger interaktiv und intrigant als Tragedy Looper, aber dennoch.
Es gehört vielleicht das Berufsrisiko eines Physikers, dass ich ohne gross nachzudenken weiss, dass Pi ungefähr 3.1415926535 ist, ein Proton ungefähr 0.938 Gev/c2 Ruhemasse hat und die Tür der Ferienwohnung meines Freundes in Paris (wo ich mal vor 15 Jahren war) sich mit dem Code 2496-B öffnen liess, oder halt auch, dass ich nach zwei oder drei Partien weiss, dass die Karten 3#, 8# und 16# (# zur Spoilervermeidung :)) in Awkward Guests wichtige 3-er Hinweise enthalten.
Zum Glück gibt es aber die Möglichkeit, die Zusammenstellung ein paar Leute mit schlechterem Zahlengedächtnis machen zu lassen, und dann während des Spiels die Nummern zu verdecken, indem man keine Karten sichtbar auslegt. Einen Sichtschirm braucht ja eh jeder Spieler zum Notieren, also kann man die Karten auch gleich dahinter behalten und bei den Fragen nur Ansagen, wie viele Punkte in wie vielen Karten man anzubieten hat.
(übrigens: Trotz dieses Risikos würde ich „Physiker“ auf der Skala „Gefährlicher Beruf“ – „Sicherer Beruf“ deutlich auf der rechten Seite sehen, vielleicht bei ~80% sicher oder so, aber das ist ein anderes Spiel, das vielleicht auch noch mal rezensiert wird?)
Die „Unangenhemen Gäste“ sind nun endlich bei mir zuhause angekommen und sie sprechen deutsch. Was ich bei den ganzen Hinweisen recht praktisch finde. Dank Flo von Taverna Ludica gibt es das jetzt ganz normal zu kaufen.
Habe erst zwei Fälle gespielt. Leider nur zu dritt und da funktioniert das Spiel meiner Meinung nach nicht optimal. Die Hinweise, die getauscht werden sind oft die gleichen und das Nachziehen der Hinweise ist dadurch sehr stark. Der Glücksfaktor wird somit recht hoch. Zum Kennenlernen waren die beiden Probespiele aber trotzdem gut und ich glaube in einer größeren Runde 4+ funktioniert das ganze deutlich besser. Das makabre Knobeln hat jedenfalls Spaß gemacht.