Too Many Bones – Aber ist da auch was dran?

Aufgefallen war es mir ja durchaus, Anfang 2016, auf Kickstarter: Too Many Bones – A Dice Builder RPG. Über hundert bunte Würfel, skurrile, gnomenhafte Charaktere, taktische Kämpfe mit Pokerchipsstapeln… Das klang soweit in der Kombination unverbraucht, kurios und gar nicht mal uninteressant. Angesichts des stolzen Preises, der noch zünftigeren Versandkosten, der wenig attraktiven „Kampfmatte“ und meiner flüchtigen Einschätzung, es handle sich dabei um ein simples Würfelspiel, quasi ein überarbeitetes Yatzee im Abenteuerkleid, verfolgte ich es aber erst mal nicht weiter. Spätestens als das Spiel dann drei Jahre später trotzdem in mein Regal einzog, musste ich mir ganz klar eingestehen: „Du wusstest nichts, Peter!“

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Mulmesh ist einer der sieben Obermotze im Spiel. Gegen ihn haben wir 9 Tage Zeit, um 6 Fortschrittspunkte zu holen und ihn damit herauszufordern. Nur schnell keine Zeit verlieren!

Too Many Bones (Adam & Josh Carlson; Chip Theory Games) ist ein kooperatives Spiel für 1 bis 4 Spieler, in welchem wir in die Rolle eines Gearlocs schlüpfen (so heissen die gnomesken Wesen) und diesen durch ein kampflastiges Abenteuer führen. Letztere erstrecken sich über mehrere, zu Beginn der Partie festgelegte Runden bzw. Tage – die Dauer variiert je nach gewähltem Endgegner, den es spätestens am letzten Tag zu plätten gilt. Jeder Tag ist dabei in drei Hauptphasen unterteilt: Begegnung, Belohnung und Erholung.

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Vorder- und Rückseite zweier Begegnungskarten. Nach einem Storyschnipsel haben wir die Wahl zwischen zwei ungleich schwierigen Kämpfen mit entsprechender Belohnung (Symbole rechts).

In der Begegnungsphase wird eine neue Begegnungskarte aufgedeckt. Meist gilt es, einen Kampf zu bestehen, ab und zu wird das Geschehen aber auch durch kleine Geschicklichkeitsaufgaben oder andere Minigames aufgelockert. Dabei können die Spieler in der Regel zwischen zwei Optionen mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad wählen, die dann auch entsprechend mit mehr oder weniger Beute locken. Gekämpft wird auf einer wenig abenteuerlich und dafür umso abstrakter anmutenden Kampfmatte, was dem Unterhaltungswert der Kämpfe interessanterweise aber in keinster Weise abträglich ist.

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Wir befinden uns in Runde 2 eines Kampfes, wie man am obersten Würfel in der Initiativeleiste rechts sieht. Die Gearlocs beginnen jeweils in der unteren Hälfte, die Feinde oben, auf einem Feld entsprechend ihrer Kampfweise (Nah-/Fernkampf).

Die zu Beginn eines Kampfes festgelegten Initiativewerte bestimmen die Zugreihenfolge. Generell wird – sowohl bei Monstern als auch Helden – zwischen Nah- und Fernkämpfern unterschieden. Die Gegner-KI ist dabei relativ simpel gestaltet: Im Prinzip wird der nächste Gearloc anvisiert, im Zweifelsfall auch der (nach Lebenspunkten) stärkste bzw. schwächste oder, bei Fernangriffen, bisweilen die ganze Gruppe. Bei einem Angriff wirft man je nach Gegnerart mal mehr, mal weniger Angriffs- und Verteidigungswürfel (für die Gearlocs zusätzlich deren Fähigkeitenwürfel, aber dazu gleich mehr). Erfolgreiche Angriffe können mit zuvor erwürfelten Schilden abgewehrt werden, Knochensymbole gelten prinzipiell als Fehlschläge, können bei Monstern jedoch besondere Reaktionen triggern und von Gearlocs angehäuft werden, um Spezialmanöver auszuführen.

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Angriffs- (grau) und Verteidigungswürfel (gelb).

Für Abwechslung sorgen die zahlreichen Spezialeigenschaften der diversen Bösewichte, die uns immer wieder knifflige Situationen bescheren. Ein Vorteil der anfangs ernüchternd beschränkt wirkenden Kampfmatte ist dabei, dass es sofort zur Sache geht – zum Davonrennen, Verstecken oder Verschnaufen gibt es keinen Platz. Und auch keine Zeit, denn ab der sechsten Kampfrunde verlieren alle Beteiligten bei jeder Aktivierung einen Lebenspunkt. Ein genauso simpler wie cleverer Timer, der Erschöpfung simuliert und zugleich auch taktische Optionen bietet. Das Kampfgeschehen gestaltet sich also konzentriert, intensiv und ist dabei so absorbierend, dass ich beim Spielen immer wieder feststelle, wie ich die schnöde Kampfmatte als solche gar nicht mehr wahrnehme.

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Die „Break“-Eigenschaft des Lehmgolems bewirkt, dass unsere Angriffswürfel an ihm zerschellen – gut also, läuft schon die Nachspielzeit (Bluttropfen auf dem Rundenwürfel), so verliert er jede Runde automatisch Lebenspunkte – wir aber auch!

Endet der Kampf erfolgreich, erhalten wir nun in der Belohnungsphase Fortschrittspunkte (davon brauchen wir eine bestimmte Anzahl, um den Endgegner herausfordern zu können) sowie Beute in Form von nützlichen Gegenständen oder Waffen. Ausserdem können wir unsere Gearlocs trainieren. Dabei haben wir die Wahl, eines seiner Grundattribute zu erhöhen, oder einen neuen Fähigkeitenwürfel freizuschalten. Die Grundattribute bestimmen sowohl, wie viele Lebenspunkte unser Charakter hat, als auch die Anzahl der Angriffs-, Verteidigungs- und Fähigkeitenwürfel, die wir pro Runde einsetzen können. Und damit sind wir beim eigentlichen Kern des Spiels angelangt, den individuellen Fähigkeiten jedes Helden und deren Entwicklung während eines Abenteuers.

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Würfel, Charakterchip und -matte von Patches: Links oben die vier Grundattribute, rechts davon Steckplätze für aktuelle Boni, unten sein Fähigkeitenraster mit drei trainierten Skills.

Zu Beginn einer Partie sind unsere Gearlocs noch nicht sehr beeindruckend. Jeder beginnt mit einer Spezialeigenschaft bzw. hat vielleicht schon einen Skill freigeschaltet, das sechzehn Plätze umfassende Fähigkeitenraster ist aber mehrheitlich noch leer. Einerseits entspricht jeder der vier Charaktere einer spezifischen Rolle, wie man sie aus klassischen Rollenspielen kennt – Damage Dealer (teilt viel Schaden aus), Tank (kann viel einstecken), Healer (heilt v.a. Wunden) und Support (unterstützt seine Freunde aus dem Hintergrund) –, andererseits lassen sich diese Rollen im Spielverlauf auf spannende Weise ausgestalten. Will ich bei Patches, dem Heiler, v.a. seine Heilfähigkeiten optimieren, soll er seine Freunde im Kampf dopen können oder möchte ich seine Spritze auch mal mit einer fiesen Giftmischung füllen?

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Patches hat bereits zwei Skills auf dem roten und einen auf dem blauen Zweig trainiert. Die Pfeile deuten an, in welcher Reihenfolge sie freigeschaltet werden müssen.

Da jedes Abenteuer zeitlich begrenzt ist und man nur eine limitierte Anzahl Trainingspunkte zur Verfügung hat – die man ja zum Teil auch in die Grundattribute stecken sollte – steht man immer etwas vor einem Zwiespalt: Möchte ich vieles ein bisschen können, oder weniges sehr gut? Denn alles in einer Partie komplett freizuschalten, wird man nie schaffen, was aber gewiss auch im Sinne des Spiels ist. So lassen sich nämlich immer mal wieder neue Kombinationen testen. Und das nicht nur bezüglich der trainierten Fähigkeiten eines Gearlocs, sondern auch was deren Wechselwirkung und mögliche Synergien mit jenen der Gefährten betrifft.

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Bei seiner letzten Aktivierung würfelte Patches einen Schild, der jetzt in einem Aktivslot steckt und den nächsten Angriff abschwächen wird. Zudem hat er zwei Knochen aufgereiht und könnte nun die „Gearloc heilen“ Aktion ausführen – oder zuwarten und weitere Knochen für stärkere Aktionen sammeln.

Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass es sich bei Too Many Bones keinesfalls um solch leichte Kost handelt, wie man angesichts dutzender bunter Würfel und der quirlig-skurrilen Grafik erst denken könnte. Es ist vielmehr ein typisches Spiel der Kategorie „nicht kompliziert, aber komplex“. Die Spielmechanismen an sich sind geradlinig und allergrösstenteils eingängig, jedoch kommt hier eine Vielzahl davon zusammen, oder, anders gesagt, es gibt hier eine Menge beweglicher Kleinteile – und damit meine ich längst nicht nur, aber gerade auch die Würfel. Jeder Gearloc hat sein eigenes 16teiliges Würfelset voller Unikate, jeden zieren mehrere Symbole mit unterschiedlichen Werten, man setzt sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf unterschiedliche Art an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichem Effekt ein… ihr seht, was ich meine. Allein ein Blick auf einen Gearloc-Referenzbogen dürfte deutlich machen, dass die Einstiegshürde nicht eben tief ist:

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Vorder- und Rückseite von Pickets bzw. Tantrums Referenzbogen. Die Symbolverteilung auf ihren Würfeln sowie deren Funktionsweise werden hier detailliert beschrieben.

Das Regelheft ist dem Lernprozess auch nicht ideal förderlich. Was drin steht, ist verständlich und klar, jedoch entpuppt sich sein Aufbau spätestens beim Nachschlagen spezifischer Fragen als suboptimal. Und jetzt stellt euch vor, ihr müsst das Spiel drei Neulingen erklären – also erst die allgemeinen Grundregeln, dann noch individuell zumindest grob die Funktionsweise jedes Gearlocs und seiner wichtigsten Fähigkeiten. Das ist ganz schön viel Information auf einmal. Der Vorteil ist hier natürlich, dass es ein kooperatives Spiel ist, Nachfragen und -schlagen ist also immer möglich, mit zügigem Losspielen wird das aber so nichts. Vielmehr sollte man nach dem Erklären der allgemeinen Regeln jedem am Tisch etwas Zeit geben, um seinen Referenzbogen zu studieren (deutsche Übersetzungen davon finden sich übrigens auf BoardGameGeek). Zeit sollte man ohnehin genügend einplanen, unter zwei Stunden hat bei mir – zumindest inklusive Aufbau – noch keine Partie gedauert.

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Eine Partie in vollem Gang…

Nimmt man sich diese Zeit und hat man sich erst einmal mit seinem Gearloc etwas vertraut gemacht, erwartet einen jedoch ein vorzügliches Spielerlebnis. Es macht einfach Spass, all die Fähigkeiten seines Gearlocs zu erkunden und neue Würfel freizuschalten. Überhaupt ist das Spielmaterial von exquisiter Qualität: Sämtliche Neoprenspielmatten sind gesäumt, die Gearloc- und Gegnerchips fühlen sich angenehm schwer in der Hand an, das Verschieben der Chipsstapel auf der Kampfmatte ist haptisch auch ein Erlebnis, die Spielkarten sind aus PVC und somit praktisch unzerstörbar, jeder Gearloc hat für seine Würfel eine eigene Box, alles passt perfekt in Inlay und Schachtel (die auch Platz für Erweiterungen bietet)… kurz, wir sprechen hier von Materialqualität à la Mechs vs. Minions, ganz am oberen Ende der Skala.

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Da bleibt kein OCD-Auge trocken – vor Freude.

Wie bei jedem auf Würfelei basierenden Spiel hat natürlich auch bei Too Many Bones der Zufall seine Rolle. Ich finde jedoch, dass sich sein Einfluss hier in höchst tolerierbaren Dosen bemerkbar macht. Schlechte Würfe kann es immer mal geben (auf beiden Seiten), den Spielern wird aber auch eine breite Palette an spontanen und planbaren Gegenmassnahmen geboten, so dass ich bisher nie das Gefühl hatte, gespielt zu werden. Eine kleine Serie an misslungenen Würfen hat übrigens auch dazu geführt, dass ich quasi spielend hinter den doch etwas ungewöhnlichen Namen dieses Spiels kam (glaube ich zumindest, Besserwisser dürfen sich gern in den Kommentaren melden): In einem fortgeschrittenen Kampf meinte eine Mitspielerin, ich solle den einen Gegner doch endlich mal platt machen. Ich antwortete, dass ich ja gern würde, „aber ich würfle zu viele Knochen!“

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Sackerment! Immerhin darf man bei den Fähigkeitenwürfeln (rot) entscheiden, ob man sie als Knochen werten oder in der nächsten Runde nochmal werfen will.

Interessenten sollten sich wie gesagt der Einstiegshürde bewusst sein, sich von dieser aber auch nicht abschrecken lassen, wenn ihnen die Kernelemente – kooperative, taktische Kämpfe, das variable Hochleveln eines Charakters und Erkunden diverser Fähigkeiten, Gewürfel, eine nicht zu unterschätzende Spieldauer, ein knackiger Schwierigkeitsgrad und ein hoher Wiederspielbarkeitswert – zusagen. Das Spiel lässt sich mit 1 bis 4 Charakteren spielen, jedoch scheinen mir die Sweetspots bei 2 und 3 Gearlocs zu liegen: Mit 1 fehlen naturgemäss Synergien, auch sind gewisse Charaktere dazu ungeeignet, und mit 4 ist die Kampfmatte nicht nur etwas gar voll, das Geschehen dort wird tendenziell auch etwas (zu) einfach. Der letzte Kritikpunkt lässt sich zwar mit den verschiedenen, in den Regeln empfohlenen Schwierigkeitsgraden teils auch wieder beheben, die zusätzliche Spiel- und Erklärzeit mit Neulingen sollte aber trotzdem bedacht werden. Wer diese aufbringen mag, dem geht es vielleicht bald schon wie mir: Denn für mich ist aus einem vorschnell als zu seicht und teuer abgetanen Spiel eines geworden, das seinen Preis material- als auch spieltechnisch absolut wert ist und sich mittlerweile sogar einen Platz in meinen ewigen Top 10 gesichert hat.

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Andere Getriebelokomotiven* meinen zu Too Many Bones

Benjamin: Einschüchternd sind sie ja schon, die Referenzbogen mit einer Textdichte in der Grössenordnung von Osmium. Das vermeintliche Würfelspiel entpuppt sich rasch als harte Taktik-Nuss mit charakterbildenden Aspekten (zumindest spielerischen). Und dann legt man halt doch einfach mal los, entwickelt sich Würfelchen um Würfelchen weiter, kriegt mal zünftig eins aufs Dach und merkt dann, dass man eigentlich schon mitten in der Story steckt und sich mit seinem Gearloc stärker identifiziert, als man sich das aufgrund dessen äusserer Merkmale (Ohren!) wünschen würde. Trotz ansehnlicher Einstiegshürde flutscht das Spiel recht schnell – entsprechend früh kreisen die Gedanken weniger um Regelfragen als um taktische und strategische Überlegungen.

… obwohl „flutscht“ nicht ganz der richtige Ausdruck ist. Peter hat die Spieldauer angesprochen: Zu viert kann die auch mal einen Tick zu lang sein. Abgesehen davon bringt Too Many Bones das uralte Thema aber erfrischend innovativ und nebenbei noch hammermässig ausgestattet auf den Tisch.

*Übersetzung von „gearloc“ gemäss Google Translator – interessanterweise nur in Kleinschreibung.

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