Decrypto – Decode(name)ieren für Fortgeschrittene

Zwei Teams spielen gegeneinander, die Bedenkzeit am Tisch kann tatsächlich auch einmal bedenkliche Ausmasse annehmen – ist sie beendet, wird mit Wörtern und Zahlen um sich geworfen… Kommt euch das bekannt vor? Dass erfolgreiche Produkte Nachahmer auf den Platz rufen, ist ja nichts Neues. Und ab und zu legt der Nachahmer sogar noch eine Schippe drauf. Und dann gibt’s da noch Decrypto.

Foto 30.05.18, 15 40 37Die Schachtel ist klein, die Titelgrafik Geschmacks- und Nebensache, die Regeln sind erstmal einigermassen verwirrend. Das bleibt auch nach dem zweiten Durchlesen noch so – bis man eine erste Runde gespielt hat und bemerkt, dass das Ganze eigentlich simpel ist, dabei aber zugeben muss, dass die Erklärung ausnahmsweise am besten funktioniert, wenn man einfach losspielt. Zwar muss auch hier assoziiert werden, bis sich die Balken biegen, aber anders als bei Codenames geht es nicht primär darum, den Hinweisen des Superagenten im eigenen Team folgen zu können. Stattdessen dürfen wir abklatschen, wenn es unserem Team gelingt, den gegnerischen Code abzufangen. Und um dies zu schaffen, müssen wir dem Codierschlüssel unserer Rivalen nach und nach auf die Pelle rücken.

Auf die Pelle rücken… Merkt ihr’s? Das ist nicht dasselbe wie „herausfinden“. So ein Schlüssel besteht in Decrypto (Thomas Dagenais-Lespêrance, Le scorpion masqué /Asmodee) nämlich aus vier Begriffen auf zufällig gezogenen Kärtchen, die wir für jedes Team in eine völlig unnötige, zugegebenermassen aber coole Vorrichtung mit den Nummern 1 bis 4 stecken, welche uns mittels unglaublich futuristischer Technologie die „Geheimschrift“ entziffern lässt. Das ganze Team kennt also diese vier Begriffe. Und eigentlich ist uns der genaue Wortlaut des gegnerischen Schlüssels egal (obwohl es auch nicht schadet, ihn herauszufinden), denn es reicht, wenn wir die übermittelten Nachrichten den sich immer stärker verdichtenden Informationen korrekt zuordnen können. Klingt verwirrend? Sag‘ ich doch. Schauen wir uns ein Beispiel an:

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Wunder des Fortschritts: Dank allerhöchstem High-Tech erscheinen unsere Schlüsselbegriffe wie von Geisterhand in den Anzeigen…

In jeder Runde wird ein Teammitglied zum Codierer (Codeur? Codist? Ehm…Codöse? Codiererin? Codesse?) Übermittler eines zufällig gezogenen Zahlencodes, bestehend aus drei Ziffern (ohne Wiederholungen – da noch keine Erweiterung für das Spiel erschienen ist…). Das erste Ziel besteht darin, dem eigenen Team eine Nachricht zukommen zu lassen, welche dieses hoffentlich korrekt als die vorgegebene Zahlenreihe interpretiert.

Wir sind Team „Weiss“, unsere vier Schlüsselbegriffe lauten:

1-Spiegel      2-Abend      3-Seniorenheim      4-Hai

Unser Übermittler zieht ein Codekärtchen, das er natürlich geheim hält, überlegt intensiv („Pfffff… keine Ahnung….“) und präsentiert dann schliesslich folgende dreiteilige Nachricht, die er laut vorliest, damit sie auch das gegnerische Team mitschreiben kann:

-1    /   Mensch ärgere dich nicht   /   Feier

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Allzu trägen Übermittlern darf man die Sanduhr des Grauens vor die Nase stellen.

… denn ja, die Nachricht ist keineswegs auf einzelne Begriffe beschränkt. Zulässig ist praktisch alles, bis hin zum Vortanzen. Ausgenommen sind allerdings Insiderinfos („Unser Lied!“), und natürlich muss sich die Nachricht auf den Inhalt beziehen, also nicht auf formale Eigenschaften der Schlüsselbegriffe (das kennen wir ja aus dem anderen Spiel).

Nach einiger Beratung entscheiden wir uns – trotz Bedenken – für eine Lösung. Obwohl wir Durchschnittsagenten „-1“ als „Hai“ interpretieren, gestikuliert (da unbedingt unhörbar für die Gegner) unser Team-Mathematiker intensiv für „Spiegel“. Wo der genannte Spieltitel hingehört, ist uns hingegen sofort klar, Feierabend kennen und schätzen wir ebenfalls. Betont cool und Zuversicht ausstrahlend nennen wir den Zahlencode „1 – 3 – 2“.

Hai, da freut er sich, unser Übermittler – ohne zu wissen, wie nahe wir wir an einem Fehler vorbeigeschrammt sind! Und wir tun das auch, denn da wir die Nachricht nun korrekt interpretiert haben, müssen wir keinen schwarzen Marker nehmen. Das wäre nämlich dann der Fall, wenn die Hinweise des Übermittlers so weit hergeholt gewesen wären (oder wir so begriffsstutzig, oder einfach doch den Hai genommen hätten), dass wir sogar mit Hilfe des Schlüssels den korrekten Zahlencode nicht gefunden hätten. Auch diese korrekte Lösung wird dem anderen Team laut mitgeteilt.

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Die erste Nachricht wurde äusserst souverän von uns decodiert.

Und was tut das gegnerische Team in der Zwischenzeit? Genau dasselbe tut es! Begriffe laut ansagen, rätseln, Lösungsversuch, laute Auflösung. Denn diese erste Runde ist eine Ausnahme: Da wir noch keinerlei Informationen zum gegnerischen Schlüssel haben, hören wir dort vorerst einfach nur zu und notieren, was gesagt wurde. Schwarz hat also registriert, dass unser erster Begriff etwas mit „-1“ zu tun hat, der zweite mit „Feier“ und der dritte mit „Mensch ärgere dich nicht“.

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Das schwarze Team übermittelt bisher recht monothematische Nachrichten. Von wegen „Insider“ und so…

Aber nun geht’s richtig los…

Wir sind in der zweiten Runde angekommen. Säupferständlich bleiben die Schlüsselbegriffe unverändert. Allerdings wird nun das nächste Teammitglied zum Übermittler und zieht geheim einen neuen Zahlencode. Wiederum Stöhnen, wiederum Kopf kratzen…  dann kommt:

Kredit  /  Stern  /  Wand

Und da das schwarze Team nun aus der vorherigen Runde über einige Informationen verfügt, darf es zuerst versuchen, diese Nachricht abzufangen. Zu diesem Zweck schalten wir hinüber auf die andere Tischseite…

Hmmmm…. „Kredit“ könnte etwas mit Zahlen zu tun haben? Das wäre dann eventuell Schlüsselbegriff 1? Stern und Feier scheinen mir beide irgendwie festlich, also zumindest entfernt verwandt, vielleicht Schlüsselbegriff 2? Zu „Wand“ sehe ich keinerlei Zusammenhang, wir nehmen einfach mal den noch völlig unbekannten Schlüsselbegriff 4, also:

1 – 2 – 4!

Das weisse Team nennt:

4 – 2 – 1

…und freut sich wieder, denn auch diese Nachricht hat es korrekt decodiert. Allerdings freut sich auch das schwarze Team ein wenig: Obwohl seine Antwort nicht korrekt war, scheint man dem zweiten Schlüsselbegriff bereits auf der Spur zu sein. Und die schwarzen Notizen sehen nun schon folgendermassen aus:

1) -1 / Wand
2) Stern / Feier
3) Mensch ärgere dich nicht
4) Kredit

Und so weiter und so fort, und natürlich übermittelt auch das schwarze Team jede Runde einen eigenen Code, während Weiss diesen abzufangen versucht. Schafft es ein Team, die gegnerische Nachricht zweimal der korrekten Zahlenreihe zuzuordnen, geht es siegreich aus der Partie hervor. Alternativ gewinnt, wessen Gegner zweimal bei der eigenen Übermittlung danebenhaut. Eines von beiden geschieht üblicherweise vor Ablauf der acht Runden, für die das Notizpapier ausgelegt  ist.

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Weisse Marker erhalten wir für abgefangene (richtig interpretierte) gegnerische Nachrichten, schwarze gibt’s bei Fehlern des eigenen Teams und sollten möglichst vermieden werden.

Ihr merkt sicher: Hinweise zu finden, die für das eigene Team leicht zu entschlüsseln, gleichzeitig ausreichend verwirrend (um nicht zu sagen: absurd) für die gegnerischen Agenten sind, wird zunehmend anspruchsvoller. Wer zu weit ausholt, stellt zwar sicher, dass der Gegner im Dunkeln tappt, riskiert dabei aber auch, dass sich die eigene Truppe gnadenlos verirrt. „Schneewittchen“, „Scherben“, „Achse“, „Bild“ mögen wohl noch zu Spiegel passen, aber spätestens bei Letzterem ist die bereits genannte „Wand“ nicht mehr weit. „Weiss“ wäre ein vermeintlich unverfänglicher Hinweis für den Hai – aber wer sagt uns, dass die lieben Kolleginnen dabei nicht auf’s Seniorenheim tippen? Die thematische Ausweitung bedeutet auch, dass der Gegner mehr Optionen erhält, die Nachrichten unterzubringen. Schön und gut, wenn die verwirrende Absicht dahinter nur beim gegnerischen Team anschlägt. Nur eben, die Hinweise werden sich unweigerlich häufen, die Schlinge sich nach und nach zuziehen…

Es liegt wohl an unserem Anspruch, dass bisher eine knappe Mehrheit unserer Partien durch Fehlübersetzungen des eigenen Teams entschieden wurde. Dem Anspruch, immer noch absurdere, undurchsichtigere, vermeintlich raffiniertere Hinweise zu finden, die den Gegner völlig in die Irre, unsere eigenen Leute aber zielsicher auf…. Wie, warum, was soll das heissen, ihr tippt auf 3 – 2 – 4??!

Auch wenn sich manche Leute bei Codenames nach zehn Minuten Grübeln mit „Suppe 1“ zufrieden geben mögen, andere wiederum „Tirolerhutbandwurm 4“ als legitimen Hinweis ansehen (Nein, es ist keiner!): Wir lieben dieses Spiel trotz seiner realen „Schwäche“ der oft längeren Wartezeiten. Die anschliessenden Päägg-doch-Diskussionen entschädigen längstens, und dank der einfachen (!) Regeln ist es ein wunderbarer Einstieg auch für Neulinge in die Welt der Spiele – irgendwann merken nämlich auch die, dass Einerhinweise nicht zielführend sind und werden mutiger.

Bei Decrypto sind die Wartezeiten nicht wirklich kürzer, die Einstiegshürde sogar etwas höher anzusiedeln. Aufgrund der komplexeren Rundenstruktur, verbunden mit dem dauernden Hin- und Herwechseln zwischen weisser und schwarzer Seite des eigenen Notizbogens, wird hier von den Vertretern der Erklärbären-Spezies bei der Einführung ein wenig mehr Betreuungsarbeit verlangt. Das gilt selbstverständlich nicht bei erfahrenen Spielern, für die Decrypto unserer Meinung nach unbedingt zum Pflichtprogramm gehört. Auch bei diesem Spiel sind ausführliche Diskussionen um Hinweise und deren offensichtliche Absurdität vorprogrammiert und so sehr wir Codenames mögen: Was auf den ersten Eindruck wie ein eingangs erwähnter Nachahmer erscheinen mag, ist erstens keiner, und zweitens tatsächlich noch ein Häppchen raffinierter als sein Verwandter.

Fazit: Pflichtkauf  /  Raffinesse /  Päägg doch

Die MUWINS-Aushilfsagenten meinen…

Matthias: Decrypto stösst für mich Codenames vom Thron der Wörterratespiele. Da man die Rolle von Codierer und Codeknacker quasi gleichzeitig innehat, ist man nur wenig am Warten. Ja, die Einstiegshürde ist höher, dafür wird man auch mit mehr Tiefe belohnt.

end neu

5 comments

  1. Das müssen wir unbedingt wieder spielen. Es hat mir sehr viel Spass bereitet. Mit und gegen Muwins zu spielen. Ich schliesse mich Matthias an. Für mich war/ ist Decrypto spannender als Codenames

    1. Sag‘ ich doch auch… 😉
      Wobei mir Codenames auch immer noch gut gefällt, und Duet ganz besonders.

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