Ratland – Ratten sind Beuteltiere

In Ratland von Eduardo Garcia Martin (Eclipse Editorial) geht es weder um Endzeitüberlebende noch um Motorradgangs und auch nicht um Verwandte, die wir am liebsten nach Indien abschieben würden. Stattdessen hegen und pflegen wir unsere lokale Rattenhorde, auf dass wir am Ende den grössten Clan aufweisen können. Und nicht zu viele Verwandte unterwegs abnibbeln.

Die Grösse unserer erweiterten Familie hängt nämlich unter anderem stark davon ab, ob es uns gelingt, regelmässig Essbares in ausreichenden Mengen heranzuschleppen. Und da wir von Haus aus wählerisch sind, verstehen wir unter „Essbares“ ausschliesslich „Käse“. Dieser Neigung können wir uns als Schweizer grundsätzlich voll und ganz anschliessen – allerdings finden wir die guten Stücke in diesem Fall primär auf der Müllhalde, in der Stadt oder auf dem Feld. Und falls sich jetzt jemand fragt, wie der Käse aufs Feld kommen soll: Vertraut mir einfach, der wächst da. Von Runde zu Runde in unterschiedlichen Mengen und in individueller Qualität.

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Was im Übrigen auch für die anderen beiden Lokalitäten gilt. Konkret sieht das so aus, dass uns eine zu Beginn der Runde aufgedeckte Karte darüber informiert, wo es welche Käsesorten in welchen Mengen zu holen gibt. „Käsesorten“ ist dabei nicht ganz richtig, denn eigentlich interessieren uns nur die gelben Käsestücke, die jeweils eine Nahrungseinheit darstellen, und mehr noch die dunkelgelb/orangefarbenen, die einen besonders hohen Fettanteil enthalten (mindestens 65% i. Tr. – es handelt sich also um Doppelrahmkäse) und unsere Verwandten dementsprechend doppelt nähren.

Auf der anderen Seite stösst man aber leider auch immer wieder auf Magerkäse (weiss – nährt überhaupt nicht) oder auf Blauschimmelkäse (passenderweise blau). Diese lustigen Pilzchen verwirren die Konsumenten derart, dass sie den Heimweg nicht mehr finden. Oder es sind gar vergiftete Stücke (lila) darunter, die dazu führen, dass die vorkostenden Sammler in unserer Notfallaufnahme landen und eine Runde „out“ sind. Und schliesslich – SCHNAPP! – gibts da noch die schwarzen Käsestücke. Positiv ausgedrückt tragen auch sie zur Reduktion der Nahrungsmittelknappheit bei, indem sie die Lösung des Versorgungsproblems vom anderen Ende her angehen.

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Diese Karten informieren uns über die aktuelle Lage an der Käsefront. Die oberste Karte zeigt beispielsweise, dass es in der Stadt diese Runde einiges zu holen gibt, allerdings ist ein Ausflug dorthin auch mit Risiken verbunden.

Wer aufmerksam war, hat eingangs das „primär“ mitgekriegt, und tatsächlich existieren neben den beschriebenen drei Nahrungsmittelquellen noch zwei weitere in Form unserer linken und rechten Nachbarclans. Sollte die Versorgungssituation tatsächlich einmal prekäre Ausmasse annehmen, darf man häufig auf das Mitgefühl der benachbarten Artgenossen zählen und dort reinen Gewissens anklopfen. Allerdings empfiehlt es sich, das Mitgefühl unterstützend zu fördern, indem man mit einer möglichst grossen Horde anklopft. Und auch recht laut. Denn tatsächlich überlassen uns die Nachbarn nur den Käse, den sie nicht festhalten können, sprich: Wir schnappen uns die zahlenmässige Differenz zwischen unserer Besucherhorde und der Wachabteilung in des Nachbars Vorratskammer.

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Zu Beginn jeder Runde verteilen wir unsere Meute geheim auf die diversen Lokalitäten. In diesem Fall planen wir unter anderem, bei unserem linken Nachbarn vorbeizuschauen.

Damit wäre das Meiste bereits erklärt. Wobei – nicht ganz: Um unseren Clan zu vergrössern, verfügen wir auch noch über eine „Kinderstube“. Biologisch nicht gaaaaanz korrekt werden sich dort vergnügende Ratten einfach verdoppelt – aber hey, schliesslich wächst der Käse ja auch auf dem Feld.

Unsere Hauptaufgabe besteht darin (sollte darin bestehen? Dazu gleich mehr…), unserer Rattenverwandtschaft ihre Tätigkeiten zuzuweisen, indem wir sie hinter dem Sichtschirm auf unserem Tableau verteilen. Also zur Nahrungssuche in einer der drei Röhren zur Oberfläche, auf dem linken oder rechten Kanalisationsrohr für einen Besuch beim Nachbarn, in der Kinderstube um Kinder zu stuben, oder in der Vorratskammer, um Wache zu schieben. Das ist leicht zu erklären und geschieht üblicherweise nicht nur gleichzeitig sondern auch sehr schnell.

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Der Müllhalde einen Besuch abzustatten ist oft rattsam!

Nach dem Entfernen der Sichtschirme werden eventuelle „Besuche“ sowie die Kinderstube abgehandelt, danach geht’s ans Eingemachte: die Nahrungssuche. Dazu wird zunächst der Stoffbeutel mit den Käsestücken gefüllt, die gemäss Karte aktuell auf der Müllhalde zu finden sind. Beginnend mit dem Clan, der die wenigsten Sammler dorthin entsendet hat, darf dieser nun entsprechend viele Stücke ziehen – wer die meisten Ratten vor Ort hat, kommt zuletzt zum Zug, und da ist es gut möglich, dass nur noch kümmerliche Reste vorhanden sind. Thematisch mag das wenig überzeugen, spielmechanisch macht es aber Sinn, da die drei Orte durchaus unterschiedlich attraktiv sind. Eine Riesenhorde in die gerade enorm lukrative Stadt zu schicken, wäre ansonsten eine (zu) einfache Entscheidung.

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Die „Kinderstube“ ist letztlich unser wichtigster Punktelieferant. Allerdings muss man den Nachwuchs dann auch durchfüttern können.

Ist ein Ort abgehandelt, wird der Beutel geleert, anschliessend für den zweiten Ort erneut gemäss Vorgabe gefüllt. Und dann noch einmal für den dritten Ort – immer vorausgesetzt, jemand stattet der Lokalität überhaupt einen Besuch ab. Während unsere eigentliche Hauptaufgabe die oben beschriebene Zuweisung der Clanmitglieder auf die Tätigkeiten ist / sein sollte, verbringen wir gefühlt einen grossen, wenn nicht den Hauptanteil der Zeit im Spiel mit dem Be- und Entladen des Stoffbeutels.

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Der Grund für die Gattungszugehörigkeit von Ratten: Das Befüllen und Entladen des Beutels nimmt einen verhältnismässig grossen Teil der Spielzeit in Anspruch.

Zum Ende jeder Runde müssen die eigenen Clanmitglieder gefüttert werden. Darüber gibt uns die Fütterungstabelle Auskunft. Für jedes fehlende Käsestück verlieren wir einen Verwandten, der auf dem Friedhof platziert werden muss.

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Ups – der Friedhof füllt sich. Vetter Rattolf hat hingegen mal wieder zu tief am Blauschimmel gerochen und findet diese Runde den Heimweg nicht mehr.

Ratland endet, wenn die entsprechende Ereigniskarte (huch – die hab‘ ich euch doch tatsächlich bisher verschwiegen) aufgedeckt wird, was nach fünf bis neun Runden der Fall ist. Ansonsten bewirken sie jede Runde eine Regeländerung oder einen einmaligen Effekt – und ja, auch die Ereigniskarten sind witzig/niedlich gezeichnet. Die Endabrechnung ist denkbar einfach: Wer aktuell den grössten Rattenclan aufweist, gewinnt, lediglich die verhungerten Verwandten auf dem Friedhof werden davon abgezählt.

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Runde für Runde treten Ereignisse wie diese ein: Ein entfernter Verwandter taucht überraschend auf, der reiche Onkel aus Amerika schenkt uns Käse, Rattibal Lecter lässt uns Familienmitglieder zu Käsestücken verarbeiten, und schliesslich geht alles einmal zu Ende. Dann aber sofort.

Für Rattenoberhäupter, die ihre Nachbarschaftsbesuche noch ein wenig handfester gestalten möchten, bietet jedes Unterschlupftableau alternativ auch eine „aggressive“ Seite. Wer sich dafür entscheidet, fügt den Nachbarn bei jedem Besuch unter Umständen Schaden zu, muss aber bei einer erfolgreichen Verteidigung ebenfalls mit Verlusten rechnen.

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Aggressivere Gemüter dürfen ihren Kanalisationsabschnitt umgestalten. Uns würde so etwas nie auch nur in den Sinn kommen…

Damit ihr mich nicht falsch versteht: Ratland ist weder ein langes, noch ein komplexes Spiel. Ich weiss selber, dass etwa in Spielen wie Indonesia absolut betrachtet ungefähr eine Million mal länger gerechnet, herumgeschoben und abgezählt wird, ohne dass ich dort deswegen herumgeheult (päägg doch!) hätte. Aber Ratland ist eine völlig andere Art von Spiel. Gerade weil hier sonst alles so zeitgleich und rat(t)zfatz geht, fällt der relativ hohe „Logistikanteil“ zumindest bei längeren Partien als vergleichsweise umständlich auf. Dennoch: Die einfachen Regeln und der hohe Jöööö-Faktor sind deutliche Pluspunkte, die das Spiel auch Spielemuggeln problemlos zugänglich machen. Die indirekten und direkten Interaktionsmöglichkeiten sind gut geeignet, dieses Publikum auch auf Grösseres mit noch ein wenig erbarmungsloseren Auseinandersetzungen vorzubereiten.

Esst mehr Greyerzer!

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