Die Baustelle ist mit hohen Stacheldrahtzäunen umringt, dein Gesicht wird kurz vom Schein der Taschenlampe des massigen Sicherheitsmannes getroffen, in der Ferne kreischen die Möwen, die Zeit wird knapp… Für genau solche heiklen Situationen wurdest du ausgebildet. Du bist definitiv im richtigen Moment an der richtigen Stelle. Nur du kannst diese Mission erfüllen: Finde Dr. Andrews!
Blight Chronicles: Agent Decker ist ein reines Solo-Kartenspiel. Du übernimmst die Rolle eines Geheimagenten, der schwierige, gefährliche und hypersensible Missionen in politisch heiklen Zeiten übernimmt.

Das Setup erinnert stark an die Legendary-Reihe. Nur der beliebte Markt wurde aus Spargründen gestrichen. Trotzdem kann sich der Agent laufend weiterentwickeln. Dafür muss er einzig Gegner und Hindernisse eliminieren.

Es handelt sich im Grunde also um einen Vertreter des Deckbuilding-Genres. Innovativ ist, dass sich der sympathische polnische Verlag Board&Dice entschieden hat, diese an und für sich nicht ausserordentliche Rahmenstruktur mit einer Agentengeschichte zu salzen. Da gibt es eine dreckige Bombe, Verräter, Gangmitglieder, nichtsahnende Security-Leute und viele technische Gadgets.

Die Mission „Finde Herrn Dr. Andrews“ ist in verschiedene „Stages“ (oder Stufen/Phasen-Karten) unterteilt. Jede kommt mit einer Vorgeschichte und einem Beschrieb daher, der darstellt, welche Hinderniskarten für diese Missionsphase benötigt werden und welche Ziele der Undercoveragent erreichen muss: Im Aufenthaltsraum des Personals das Nachtsichtgerät entwenden und über den Zaun klettern. Dabei kommen mir einige Drohnen sowie das Sicherheitspersonal in die Quere, und dummerweise zeichnen Kameras meine Bewegungen auf. Habe ich dennoch alles geschafft, ohne dass ich entdeckt wurde, geht die Mission weiter. Ich darf dann entscheiden, ob ich aus einem Fenster springe oder mich schlafend stelle… Wie im Leben hat jeder Entscheid seine Konsequenzen. In der Welt von Blight Chronicles suche ich die dazugehörige Stage-Karte, Lese den passenden Storytext und mache mit meiner Mission weiter.
In meinem Zug spiele ich meine Agentenkarten. Diese besitzen entweder eine physische oder eine Ausweich-Stärke. Ich summiere diese und aktiviere gleichzeitig die jeweilige Spezialfähigkeit. Mit diesen Karten muss ich nun die Hindernisse und meine Gegner aus dem Weg räumen. Ich kann diese entweder eliminieren oder bewusstlos schlagen. Kille ich die jeweilige Karte, kommt diese in mein Deck. Wenn ich einen Sicherheitsmann eliminiere, erhalte ich beispielsweise eine tolle Uniform. Wenn ich die doofe Drohne vom Himmel hole, bin ich dann im Besitz eines tollen Lasers. Bedauerlicherweise habe ich dabei ein wenig Lärm gemacht und mein Verdachts-Level steigt an. Knocke ich den Gegner nur aus oder umgehe das Hindernis, passiert nichts. Ich konnte jedoch mein Deck nicht verbessern.

Dies geht einige Runden so weiter, bis mein Deck genügend stark ist, um beispielsweise den Zaun zu überwinden oder den bösen Sicherheitsmann zu eliminieren. Erreiche ich während dieser Zeit ein gewisses Level des „Verdächtig-Seins“, verliere ich das Spiel. Ansonsten erreiche ich die nächste Etappe meiner Mission, dafür darf ich meine komplette Ausrüstung mitnehmen.

In den Grundzügen habe ich Blight Chronicles bereits erklärt. Natürlich haben die Karten spezielle Eigenschaften, es können Kombos gespielt werden oder beim Eliminieren eines besonderen Gegners werde ich besonders auffällig. Das alles ist nichts Neues und von der Legendary-Reihe sehr gut bekannt.

Kann ich Blight Chronicles: Agent Decker und die bald startende Kickstarterkampagne empfehlen? Dies kann ich nach dem Zocken des Reziexemplars mit nur einem Teil der „Dr. Andrews-Mission“ (ca. 30% des Materials (in Demo-Qualität) und der Geschichte) nicht abschliessend beurteilen. Dieser erste Teil war jedoch leider alles andere als prickelnd. Die Mechanismen sind nicht weltbewegend und dem geübten Spieler wohl bekannt. Einzig die Vermischung des Deckbuildings mit der Legendary-Reihe und Rollenspielaspekten heben das Spiel von der Masse ab. Ein weiterer zu erwähnender positiver Punkt ist die Möglichkeit, Hindernisse zu eliminieren oder nur „auszuknocken“ (die thematische Frage, wie ich einen Mitarbeitereingang ausknocken soll, lasse ich hier unbeantwortet stehen…). Im einen Fall erhalte ich wertvolle Karten, werde jedoch immer auffälliger. Im anderen Fall bewege ich mich weiterhin im Schatten.
Zudem hoffe ich schwer, dass meine Entscheidungen im späteren Agentenleben grösseren Einfluss auf die Geschichte haben. Mich liess Agent Deckers Entschluss, das Wachhäuschen zu inspizieren, relativ kalt. Die Folgen der Entscheidung liegen vorerst so oder so im Dunkeln. Vergleiche ich die Rollenspielaspekte beispielweise mit denjenigen in This War of Mine oder in Dead of Winter fühlen sie sich eher beliebig an.
Das Design der Karten hat mich angesprochen. Ich finde das Cover toll, wobei ich anfügen muss, dass ich noch nie einen so gut trainierten Security-Angestellten auf den Baustellen gesichtet habe. Aber immerhin bewacht er ja auch den berühmten Dr. Andrews. Zudem sind die Symbole auf den Karten und auf dem Spielbrett stimmig und helfen den Rookie-Agenten sich in der gefährlichen Welt zurecht zu finden.

Abschliessend lässt sich sagen, dass Blight Chronicles: Agent Decker mit der Story punkten MUSS… Es werden 16 Stage-Karten und 8 verschiedene Typen von Hinderniskarten mitgeliefert. Das Potential für eine tolle Geschichte und ein spannendes Erlebnis ist also durchaus vorhanden. Anhänger von James Bond, Jason Bourne, Hanna, Jack Bauer, Ethan Hunt oder Harry Tasker werden vermutlich begeistert sein. Leider ist dies nicht gerade meine Welt. Ich puste lieber Aliens um und eliminiere Dr. Doom und seine Gesellen.
Daher rate ich allen, die am 26. April startende Kickstarterkampagne (erfolgreich beendet) oder die aktuelle Spieleschmiedekampagne zu verfolgen und sich ein eigenes Bild zu machen. Ich persönlich werde das Projekt als Ganzes genau prüfen und im Verlauf der Unterstützungskampagne definitiv entscheiden, ob Herr Decker seinen Platz in meinem Regal finden wird.
Agent Oldiebenji meint zu Blight Chronicles:
Habens wir’s also geschafft, über den Maschendrahtzaun zu klettern. Na, da hat sich die Agentenausbildung ja gelohnt…
Wie mein geschätzter Agentenkollege schon anmerkte: Es ist wesentlich mehr als nur das Setup, das uns bei Blight Chronicles an die Legendary-Reihe mahnt. Dort liegt ein Reiz darin, im Teamwork reihenweise Ausserirdische zu brutzeln (beziehungsweise selber von ihnen… ihr wisst schon). Dieser Teamaspekt fehlt hier natürlicherweise völlig. Ist das ein Problem? Nicht unbedingt, denn die Aufgabe des „Bei-der-Stange-Haltens“ übernehmen in Blight Chronicles (hoffentlich) überraschende Storywendungen und die Charakterentwicklung. Und sogar wenn man mit der Agentengeschichte nicht allzu viel anfangen kann: So mancher Karteneffekt, so manche Karteninteraktion ist thematisch treffsicher und lässt uns ein innerliches Grinsen kaum verkneifen.
Falls sich die zweifellos vorhandenen eigenen guten Ideen, die sich beispielsweise in den Funktionsweisen verschiedener Kartentypen deutlich zeigen, auch in der Geschichte der Vollversion fortsetzen, dann erhalten die von Kollege Lukebigbosss angesprochenen Agentenfans ein attraktives Gesamtpaket mit schon jetzt absehbarem, massivem Erweiterungspotential.
Solospieler dürfen ab dem 26. April einen agentösen Blick riskieren.
