Hannibal & Hamilcar – Hannibal arriverates, mein Herr!

Falls euch tatsachenfreie Behauptungen, Twitterstürme und sonstige politische Spielchen auch langsam zum Hals raus hängen, habe ich eine schlechte Nachricht für euch: Mit einem baldigen Ende ist kaum zu rechnen, denn schon das alte Rom hat bereits zu Hannibals Zeiten derartige Mittel eingesetzt (vielleicht mit Ausnahme der Twitterstürme) und ihn damit zu einem Ausflug über die Alpen motiviert. Difficile est saturam non scibere!

Ein kleiner Trost: Um ein Haar wär’s schief gegangen und Rom hätte für sein Intrigieren und Fehlinformieren zünftig eins auf den Deckel gekriegt. Nachzulesen ist das alles unter dem Stichwort „Zweiter Punischer Krieg“, beziehungsweise werden überraschende Ereignisse der elefantösen Alpenüberquerung sowie die spezifischen Schwierigkeiten der römischen Kriegsführung, die sich nicht zuletzt aufgrund der Komplexität der lateinischen Sprache ergeben haben, hier nachvollziehbar dargelegt (ausserdem wird dort der Titel dieses Beitrags erläutert). Denn ja: Hannibal & Hamilcar ist ein Kriegsspiel!

So, da wir Erwachsenen nach der Erwähnung des Unworts nun unter uns sind, erzähle ich euch sicher nichts Überraschendes: Das kickgestartete Spiel ist eine sanft renovierte Neuauflage des unter Grognards hoch angesehenen Klassikers Hannibal: Rome vs. Carthage von Wargame-Designerlegende Mark Simonitch – und als Bonus wird gleich auch noch die eigens entwickelte Erweiterung Hamilcar mitgeliefert. Phalanx (beziehungsweise Feuerland für die deutschsprachige Ausgabe) hat erfreulicherweise keine Mühen gescheut und dem Spiel eine angemessene Rundum-Extra-Spezialbehandlung zukommen lassen. Das Ergebnis: BOAH!

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Die Orte des Geschehens – endlich in angemessener, edler Farbgebung. Der grosse Luxus-Spielplan bringt die Distanzen schön zur Geltung.

Nachdem diese Oberflächlichkeiten geklärt sind, gleich zum Kern des Pudels: Ja, es geht um’s Mittelmeer. Nein, es wird nicht gehandelt. Aber obwohl Hannibal & Hamilcar wie erwähnt dem Wargame-Genre zuzurechnen ist, interessiert uns primär unser politischer Einfluss im Mittelmeerraum – die bewaffnete Auseinandersetzung ist dabei Mittel zum Zweck, das unseren Argumenten gegebenenfalls den nötigen Nachdruck verleiht. Für Fans, die sich die Luxuskarte gegönnt haben (ich, ich, ich), fährt dieser Umstand auch optisch auf Anhieb eindrücklich ein, denn wir balgen uns um ein immenses Gebiet, wozu uns aber nur eine im Vergleich geradezu lächerliche Anzahl an Heerführern zu Verfügung steht, deren Aktionen dementsprechend wichtig sind und gründlich überlegt sein wollen. Zwar lassen sich Gefechtseinheiten auch ohne Vorgesetzte platzieren oder rekrutieren, aber die sind dann erstens immobil und zweitens sowieso schrecklich ineffektiv und gerade mal dazu geeignet, die eigene Bevölkerung loyal zu halten oder die gegnerische von den Vorteilen eines Seitenwechsels zu überzeugen.

Apropos „lächerliche Anzahl Heerführer“: Warum Rom eine derart dicke Lippe riskierte, erstaunt angesichts der Leadersituation in Italien. Ich meine weniger Stehaufmännchen Berlusconi, sondern die Herren Longus und Scipio, ihres Zeichens Konsuln und Heerführer um 217 v. Chr. In ständiger Angst vor einem allzu starken Mann an der Spitze des Militärs hatte sich der römische Senat nämlich ein Rotationssystem ausgedacht: Zwei Konsuln teilten sich den Befehl über das römische Heer und wurden periodisch ausgewechselt. Was politisch einigermassen sinnvoll erscheint (obwohl: ich erwähne mal eben nongschalang den Namen „Julius“ als nur ein Beispiel, dass sowas nicht immer hilft), kann militärisch desaströse Auswirkungen zeigen. Gut möglich, dass die glorreiche römische Armee mit einem George Patton an der Spitze durch die Gegner pflügt und Angst und Schrecken verbreitet, und dann – schwupps – steht auf einmal ein Otto Waalkes da vorne und gibt den Kasper. Ne sutor supra crepidam.

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Diese beiden Herren stehen zu Beginn für die Stärke Roms. Ein offensiver Hazardeur und ein passiver Spanientourist. Armes Rom.

Immerhin: Am Ende jeder Runde darf der Senat (also ich) einen der Konsuln zum Prokonsul ernennen, was zwar de facto seiner Degradierung gleichkommt, aber immerhin bleibt dadurch beispielsweise George (mindestens) eine weitere Runde aktiv. So lange er sich von Otto fernhält, besteht Hoffnung, denn als Ranghöchster „vor Ort“ hat er weiterhin über seine Truppen das Sagen. Problematisch ist höchstens, dass Konsulararmeen eine Mindeststärke aufweisen müssen und deshalb gegenüber einem Prokonsul hinsichtlich Verstärkungen bevorzugt zu behandeln sind. Trotzdem: Qualität geht oft vor Quantität! Denn jeder Heerführer wird durch zwei Merkmale charakterisiert: sein strategisches Geschick (Wert im Kreis, je tiefer desto besser) und seine Fähigkeiten auf dem Schlachtfeld (Wert im Quadrat, je höher desto besser).

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Voll krass, ey: Licinius Crassus ist der Bodensatz der römischen Militärkunst. Auf der anderen Seite ist aber Scipio Africanus Hannibal ebenbürtig.

Vor das Heerführen hat Mark Simonitch allerdings das Kartenmanagement gestellt, denn um einen sehr frühen Vertreter der Card Driven Wargames handelt es sich hier. We the People und For the People kamen vorher, später folgten Highlights wie Twilight Struggle, Combat Commander, Labyrinth oder stärker abgewandelt auch die ganze COIN-Serie, um nur einige zu nennen. Über das Wargame-Genre hinaus haben sich aber auch Titel wie Wir sind das Volk oder 13 Tage der Mechanik bedient. Wie üblich bietet auch hier jede Strategiekarte unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten, indem entweder ihr Ereignis oder ihr Wert genutzt werden darf.

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Eine kleine Auswahl an Strategiekarten mit ihren vielfältigen Ereignissen.

Die Verwendung der Ereignisse ist rasch erklärt: Man folgt möglichst buchstabengetreu den Anweisungen, wobei man selbstverständlich nur Ereignisse auslösen darf, die der eigenen Seite zugeordnet oder neutral sind.

Mehr Optionen eröffnen sich bei der Verwendung des Kartenwerts (von 1 bis 3): Dieser lässt sich beispielsweise zur Konvertierung neutraler Orte (Dörfer oder Städte) einsetzen, indem einfach entsprechend viele eigene politische Kontrollmarker dort platziert werden. Sogar gegnerische Lokalitäten lassen sich dadurch umpolen, Voraussetzung ist allerdings, dass unser anwesendes Militär die Bevölkerung entsprechend motiviert. Stehen mehr als die Hälfte der Ortschaften einer Region unter unserer Kontrolle, gilt die gesamte Region als mit uns verbündet – und um die Mehrheit der Regionen geht es letztendlich. Aber eben: Si vis pacem, para bellum.

Alternativ lässt sich durch den Kartenwert nämlich auch ein Heerführer aktivieren, wobei deren Unternehmungsfreudigkeit von ihrem strategischen Geschick abhängt. Um die Herren in Gang zu bringen, muss eine Karte mit mindestens ihrem Wert gespielt werden. Anders ausgedrückt: Hannibal mit dem Wert „1“ ist jederzeit (durch beliebige Kartenwerte) einsatzbereit, während etwa Hanno nur mit einer „3“ aus den Federn zu kriegen ist. Possum, sed nolo! Und tatsächlich hat Rom den karthagischen Anführern lange Zeit kaum Gleichwertiges entgegenzusetzen – bis irgendwann (genauer in Runde 6) Scipio Africanus himself die Bühne betritt. Ceterum censeo carthaginem esse delendam.

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„Da sollten wir uns warm anziehen“. Hannibal diskutiert die Route für seine Alpenüberquerung.

Neben ihren numerischen Eigenschaften zeichnen sich die historischen Persönlichkeiten durch jeweils eine weitere Sondereigenschaft aus, die es zu beachten beziehungsweise situativ optimal einzusetzen gilt. Manche werden dadurch in ihrem Aktionsradius eingeschränkt, andere erhalten bei bestimmten Aktionen Vorteile, so dass die „Spezialitäten“ der historischen Hauptdarsteller deutlich zutage treten. Quod licet lovi non licet bovi.

Hanno Gisco
Sondereigenschaften verleihen den Charakteren zusätzlich Profil: Hanno ist etwas schwerfällig, leidet an chronischem Heimweh und bleibt in Afrika, hält dort aber den Stall einigermassen zuverlässig in Ordnung! Gisgo meidet offene Feldschlachten, hat aber ein ausgeprägtes Gespür für Guerillataktiken.

Ein aktivierter Heerführer darf bis zu vier Bewegungspunkte ausgeben, um sich mit bis zu 10 Gefechtseinheiten über Land zu bewegen. Je nach Strategiekarte sind auch Mittelmeerkreuzfahrten (mit kleineren Gruppen) direkt von Hafen zu Hafen möglich, wobei solche Ausflüge für Karthago aufgrund der römischen Seeherrschaft riskant sind. Gerade um Italien herum läuft bekannterweise schnell mal etwas auf Grund! Auch für Risiken und Nebenwirkungen beim Überqueren von Bergpässen (oder gar den Alpen) fragen Sie Ihre Bergführer oder Elefanten – und werfen Sie einen Würfel. Überhaupt: Ein Grossteil des doch recht umfangreichen Regelhefts bezieht sich auf diverse Aspekte von Bewegungen und Kämpfen. Ohne ins Detail zu gehen: Bewegungen können vom Gegner abgefangen werden, es sind Ausweichmanöver möglich (und wo diese vollzogen werden, gibt es auch Verfolgungen), aktivierte Heerführer dürfen Belagerungen gegen befestigte Städte oder Unterwerfungen von neutralen oder gegnerischen Volksstämmen durchführen. Viele dieser Aktionen hängen von der Kampfkompetenz des Anführers ab – über Fehlschlag oder Gelingen wird durch einen Würfelwurf entschieden. Kommt es irgendwo zum Kampf, darf die karthagische Seite allenfalls vorhandene Elefanten einsetzen um den Römer vor Ort zu schwächen, und schliesslich wird geprügelt.

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Hannibal hat die Alpen überquert und wird von einer römischen Streitmacht begrüsst.

Die Kämpfe selber werden durch ein eigenes, kurzes Duell mithilfe eines speziellen Kartensatzes ausgefochten, wobei jede Seite eine Anzahl Kampfkarten entsprechend der Summe der Einheiten und der Kampfkompetenz ihres Anführers sowie allenfalls aufgrund verbündeter Regionen des Gebietes erhält. Der Angreifer beginnt mit dem Ausspiel, der Verteidiger kriegt sofort Haue, wenn er nicht mit einer identischen Karte erwidern kann, wobei die Initiative (also die Rolle von Angreifer und Verteidiger) im Verlauf einer Schlacht oft mehrfach hin und her wechselt. Auch hier gilt: Kampfstärkere Generäle üben mehr Kontrolle aus.

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Kämpfe werden mittels spezieller Karten abgewickelt. Wer nicht mehr mithalten kann, geht als Verlierer vom Feld.

Nach den Kämpfen werden in Abhängigkeit der Intensität der Kampfhandlung ebenfalls per Würfelwurf die Verluste für beide Seiten bestimmt, die unterlegene Seite muss sich zurückziehen und weitere Verluste hinnehmen. Und da es die Bevölkerung nicht gern sieht, wenn die eigenen Mannen Reissaus nehmen (oder gleich gar nicht mehr heim kommen), muss die unterlegene Seite auch noch nach eigener Wahl politische Marker entsprechend der Truppenverluste entfernen. Die Unterstützung im Volk lässt nach, einzelne Orte werden untreu. Das kann zusätzlich schmerzen, denn ohne Gegenmassnahmen geht dadurch mit der Zeit die teuer erkaufte Regionenkontrolle flöten. Vae victis.

Sind sämtliche Handkarten gespielt, ist eine Runde vorbei (die ersten Runden entsprechen einem Jahr, später werden daraus zwei Jahre mit mehr Karten) und der Winter bricht über den Mittelmeerraum herein. Die zweifellos sibirischen Temperaturen bewegen einen Teil der sich allenfalls in feindlichem Territorium aufhaltenden Truppenteile zur Heimkehr (oder gleich zum Ableben – wie man will – auf jeden Fall sind sie weg). Onus est honos.

Foto 04.04.18, 17 48 08Anschliessend fühlen sich isolierte Ortschaften, also solche ohne Hafenanschluss oder Verbindung zu einer befestigten Stadt oder Militäreinheit, vom jeweiligen Imperium vernachlässigt und flüchten kurzerhand zurück in die Neutralität. Auch diese politischen Marker sind also futsch. Und als letzte Phase einer Runde werden die (jetzt noch) kontrollierten Gebiete verglichen: Wer dabei weniger Freunde aufweisen kann, muss erneut politische Marker entfernen. Ja, in Hannibal & Hamilcar wird die zweitbeste Fraktion nicht durch absurde Ausgleichsmechanismen gehätschelt – stattdessen muss sie aus eigener Kraft versuchen, irgendwie wieder auf die Beine zu kommen. Denn wenn ein Reich einmal bröckelt, dann gleich an allen Ecken, und überhaupt: Abyssus abyssum invocat.

Vielleicht ist es euch aufgefallen: Obwohl die Kämpfe selber kartenbasiert verlaufen, werden diverse Effekte in Hannibal & Hamilcar wargametypisch mittels Tabellen generiert. Alea iacta est. Wer als Wargame-Neuling gegenüber der Verwendung dieser sechsseitigen und excelartigen Hilfsmittel grundsätzliche Aversionen hegt, die sich in eitrigen Ausschlägen manifestieren, wird mit dem Spiel also eher nicht glücklich. Ähnliches gilt für das recht umfangreiche Regelheft – wobei anzumerken ist, dass hier das Paretopinzip zur Anwendung kommt: Rund 20% der Regeln erklären rund 80% des Spiels, durch die ebenfalls genretypische Strukturierung des Regelwerks sind aber sämtliche Eventualitäten ausführlich abgedeckt. Nihil tam difficile est, quin quaerendo investigari possit.

Wer als interessierter Euro-Umsteiger einen etwas weniger holprigen Übergang sucht, dem legen wir als Alternative das völlig würfelfreie, einsteigerfreundliche und ebenfalls hervorragende Sekigahara oder (für Rom Fans, dort aber wieder mit Würfeln) Julius Caesar ans Herz. Grundsätzlich ist aber anzumerken, dass auch die beiden Karthager dann für Neulinge gut geeignet sind, wenn zumindest eine gewisse Experimentierfreudigkeit und Offenheit gegeben sind und man bereit ist, sich auf diese andere Art von Mittelmeerabenteuer (ganz ohne Klötzchenhandel, Rohstoffverwertung und ausufernde Siegpunkteberechnung) einzulassen.

Hamilcar (Hannibals Papa, beziehungsweise die neue grosse Erweiterung, beziehungsweise der Erste Punische Krieg) akzentuiert die Seeschlachten und legt hinsichtlich Regeltiefe eine Schippe drauf. Das Spiel bietet aber in jeder Variante den konkurrierenden Machthabern einen spielerisch erfüllenden Ausflug mit viel historischem Flair, folgenreichen Entscheidungen, kniffligen Situationen und spannenden Auseinandersetzungen bei äusserst asymmetrischen Ausgangslagen. Die diversen Szenarien erlauben längere oder kürzere Spielesessionen, wobei Einstieg und historische Startaufstellung jeweils um eine Runde weiter versetzt werden. Vielleicht ist gerade Hannibal & Hamilcar – nicht zuletzt dank seines attraktiven Äusseren – die Gelegenheit für grundsätzlich interessierte Neulinge, sich einen Ruck zu geben und über das Mittelmeer in die weite Welt der Wargames einzutauchen. Gestandene Grognards wissen bereits seit 1996, was sie an diesem guten Stück haben. Völlig zu Recht!

Ergo bibamus!

hannibal box

12 comments

  1. Puh, da hast du dich aber an ein Regelbollwerk rangetraut. Kenne „nur“ die alte Version und da kann man sich schonmal einen halben Tag für die Regelkunde reservieren. Dafür wird man aber mit einem wirklich gutem Spiel belohnt. Finde die ungleichen Startbedingungen sehr gut und es gibt wirklich viele Möglichkeiten dem Gegner eine kleine Überraschung zu bereiten. Man muss aber eine gewisse Frusttolerenz mitbringen, gerade wenn die Würfel gegen einen sind.
    Das Kampfsystem finde ich sehr gut. Das sollte bei allen Spielen, die Würfel nutzen eingesetzt werden.

    Ansonsten hast du noch einen Spruch vergessen, der bei dem Spiel gut passt: Tempus fugit

    1. Tempus fugit: Guter Hinweis, und absolut zutreffend 🙂

      Regelbollwerk: Die neue Version scheint da doch ziemlich aufgeräumt zu haben. Nicht von der Menge her, aber bezüglich der Struktur. Man findet eigentlich die Antwort auf jede Frage sehr rasch. Und ja, es hat VIELE Regeln, aber eben: Die meisten davon guckt man nach, wenn’s zur speziellen Situation kommt. Die Grundmechanik ist eigentlich easy!
      Ich hatte ursprünglich ein wenig Bedenken davor, die Regeln meiner karthagischen Gegnerin zu erklären, aber das ging dann tatsächlich problemlos. Die Details blieben erst mal aussen vor und wurden fortlaufend erklärt, wenn sie annähernd relevant wurden.

    1. Ist es ja fast. Nur ohne Zombies und Drachen, dafür haben die Leute das wirklich vollbracht/durchlebt 😏

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