Shadows in Kyoto – Trugsch(l)üsse im Schatten

Ist euch schon mal aufgefallen, dass aus Stratego, wenn man die Positionen von drei Buchstaben vertauscht und drei weitere ersetzt, das Wort „Shogunat“ wird? Nein? Dann solltet ihr euch aber noch etwas im Aufdecken geheimer Informationen üben, bevor ihr den nicht ganz ungefährlichen Strassen Kyotos einen Besuch abstattet.

Denn das 2-Spieler-Spiel Shadows in Kyoto (EmperorS4) ist thematisch im halbfiktiven Zwischenkriegsjapan angesiedelt, wo gewisse Leute nicht gerade zimperlich miteinander umgehen: Onibawan, eine geheim operierende Gruppe von Anhängern des letzten Shogunats, liefert sich mit der kaiserlichen Regierung einen heissen Tanz im Schatten, den kaum je eine Seite ohne Verluste übersteht. Taktische Täuschungsmanöver, waghalsige Winkelzüge und furchtloses Vorpreschen gehen hier Hand in Hand und sind allesamt erforderlich, will man siegreich aus dieser sowohl kurzen als auch kurzweiligen Begegnung hervorgehen.

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Action in Kyoto. Verdächtigt wird ausschliesslich mit dem Gehirn!

Jedem Spieler steht dazu ein Team von sechs Agentinnen zur Verfügung. Davon tragen jedoch nur jeweils zwei die wirklich wichtigen Geheimdokumente auf sich. Während des Spiels versuchen nun beide Seiten, eine von drei Siegbedingungen auszulösen:

  • die beiden gegnerischen Agentinnen mit den relevanten Dokumenten fangen
  • das andere Team drei der eigenen Agentinnen ohne relevante Dokumente fangen lassen
  • eine eigene Agentin mit relevanten Dokumenten erfolgreich das ganze Spielbrett überqueren lassen

Die 5 x 6 Felder des Spielbretts – oder besser -brettchens – werden geziert von zweierlei Gebäuden: Jeweils zwei sind mit Fraktionssymbolen versehen und können nur von Agentinnen selbiger betreten werden, die restlichen sind mit Bewegungskarten der entsprechenden Farbe von allen aufsuchbar. Haben die beiden Kontrahenten also ihre geishaförmigen Meepelinnen aufgestellt, spielen sie abwechselnd eine Karte aus, um diese durch die abstrahierten Strassen Kyotos huschen zu lassen. Dabei gilt eigentlich nur eine Regel: Egal ob diagonal oder orthogonal, es muss vorwärts gehen!

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Die Agentinnen haben ihre Startpositionen eingenommen.

Alternativ zu den Bewegungskarten haben die Spieler auch die Möglichkeit, eine ihrer Taktikkarten zu spielen. Diese erlauben spezielle Manöver wie etwa Seit- oder Rückwärtsbewegungen, das Zurückdrängen einer gegnerischer Agentin oder gar den genauso listigen wie tückischen Positionstausch zweier eigener Figuren.

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Einige der Taktikkarten: Verteidigen (Seit- oder Rückwärtsbewegung), Positionstausch und Ablenkungsmanöver (bzw. Weglocken einer Gegnerin)

Oft früher als später wird es zum direkten Aufeinandertreffen zweier Agentinnen kommen. Hierbei hat die Dame, welche den Schritt auf das Territorium einer Gegnerin wagt, einen nicht unbedeutenden Vorteil: Letztere fällt vor Schreck nämlich einfach um. Oder, spielmechanisch ausgedrückt: Sie muss ihre Identität aufdecken. Dabei handelt es sich um die Nummer, welche jede Agentin auf ihrem Rücken trägt, normalerweise vor den neugierigen Augen des Gegenspielers verborgen. In jedem Team gibt es nämlich jeweils zwei Agentinnen mit den Nummern 3 und 2, sowie je eine mit einer 1 und einer 0. Von den 3er- und 2er-Agentinnen wiederum trägt jeweils eine geheime Dokumente, erkennbar an einer separaten, roten Markierung neben ihrer Nummer.

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Ziemlich riskant, die grüne 3er-Agentin mit den geheimen Dokumenten so weit voraus zu schicken… zumal es gleich zur Sache gehen wird!

Kommt es zur Konfrontation, schlägt die höhere die tiefere Nummer, wobei sich jedoch der Kreis schliesst und die 0 ihrerseits die 3 schlägt. Der Angreifer gewinnt zwar auch allfällige Unentschieden, allerdings – da er seine Agentin ja nicht aufdecken muss – teilt er dem Verteidiger lediglich mit, wer siegreich aus der Begegnung hervorgeht. Gewinnt der Angreifer, nimmt er die verteidigende Agentin gefangen. Gewinnt der Verteidiger, muss die angreifende Agentin auf jenes Feld zurückkehren, von welchem sie ihren Angriff startete. Einmal aufgedeckte, nicht verhaftete Agentinnen können normal weiter bewegt werden, allerdings wird ihre Identität für den Rest der Partie nicht mehr verborgen (es sei denn, sie werden mit der Positionstausch-Taktikkarte umplatziert).

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Das ging nochmal gut: Die grüne Agentin gewinnt den Kampf dank höherem Wert.

Selbst bei einer Gefangennahme bleibt dem Verteidiger so der Trost, dass er nun immerhin Indizien dazu erhalten hat, welche Nummer die angreifende Agentin haben musste (oder zumindest, welche nicht). Womöglich kommt ihm die Abreibung ja auch gerade recht, da es sich um eine Agentin ohne wichtige Dokumente handelte, die den Angreifer näher an den Rand der Niederlage bringt? So oder so lichten die Konfrontationen folglich nicht nur das Agentinnengewusel auf dem Brett, sondern auch die titelgebenden Schatten, welche deren Identität verbergen.

Wer es gerne noch taktischer, abwechslungsreicher und asymmetrischer hätte, für den liegen gleich zwei optionale, leicht zu integrierende Module bei. Da wären zum einen die Ausrüstungskarten, von welchen jedem Team drei gänzlich unterschiedliche zur Verfügung stehen. Sie erlauben einmalige, situativ äusserst wirkungsvolle Spezialaktionen, die jedoch erst freigeschaltet werden, wenn eine eigene Agentin verhaftet wird. Zum andern gibt es Charismakarten: jeweils drei teamspezifische und eine von beiden beanspruchbare. Jeder Spieler wählt davon zu Beginn einer Partie eine aus und kommt so in den Genuss einer anhaltenden Sonderfähigkeit (gegnerische Angreifer werden auch aufgedeckt; eigene Agentinnen können übersprungen werden, etc.).

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Charisma- (oben) und Ausrüstungskarten

Niemand wird bestreiten, dass bei Shadows in Kyoto ein gestandener Klassiker Pate stand (falls ihr nicht wisst, welcher, hier ein Tipp: Nehmt das Wort „Shogunat“, tauscht drei Buchstaben aus und vertauscht die Positionen von drei weiteren…). Aber wisst ihr was? Das „Welche-Figur-ist-wohl-welche?“-Prinzip kommt hier so frisch, knackig und kurzweilig daher, dass man es meiner Meinung nach auch maximal bei so einem wertbefreiten Verweis auf die Verwandtschaft belassen sollte.

Shadows in Kyoto hat es nämlich geschafft, im Nu eines meiner Lieblings-2er-Spiele in den Kategorien „für zwischendurch“, „überallhin mitnehmbar“ sowie „muggel- und muwinsfreundlich“ zu werden. Es ist einfach immer wieder von Neuem spannend, anfangs keine Ahnung zu haben, wie mein Gegner seine Agentinnen aufgestellt hat… abschätzen zu müssen, wann sich ein riskanter Zug aufdrängt… nur hoffen zu können, dass ich diese eine, spezifische Taktikkarte auch noch rechtzeitig ziehen werde. Bluff und Gegenbluff, lediglich angedeutete und tatsächlich verfolgte Absichten sowie ein omnipräsenter, leichter Hauch von Paranoia prägen jede Partie.

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Trotz klaren Vorteilen für mich (Gelb) sollte Benji diese Partie tatsächlich noch wenden. Na ja, er hatte bestimmt nur Glück…

Autor Wei-Min Ling legt uns hier ein taktisches Schmankerl auf, welches angesichts seines Anspruchs alles richtig macht. Der Schattentanz mit den adretten Agentinnen bezaubert durch die hübsche, kompakte und wertige Aufmachung (u.a. Karten mit Leinenstruktur), besticht durch flüssigen Ablauf sowie flotten Rhythmus und vermag sowohl Viel- als auch Wenigspielern den Kopf zu verdrehen – ohne, dass es dabei jedoch zu Schwindelanfällen käme. Dafür ist eine Partie mit 15 Minuten zu kurz und sorgt vielmehr dafür, dass man gleich noch eine anhängen möchte. Und noch eine. Und noch eine…

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Auch oldiebenji hat einen Schatten und äussert sich wie folgt:

Nachdem mir Shotgun Pete (hey, ist euch aufgefallen, dass wenn man bei „Shotgun“ drei Buchstaben austauscht und ein paar weitere Positionen anpasst…) sein Kyoto gezeigt hatte, war ich sofort angetan. Meine persönliche Geschichte mit Stratego lässt sich hier nachlesen und trägt vielleicht ein wenig zu meiner Begeisterung für Shadows in Kyoto bei. Möglicherweise aber auch nicht, denn der Querverweis täuscht! Nach Nostalgiebereinigung bietet der Asientrip nämlich spielerisch, trotz kürzester Dauer, deutlich mehr als das vermeintliche Vorbild und überzeugt mit ganz eigenen Qualitäten – die Schattenmädels sind auch ohne Fahne eine Bombe!

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