Ja, wir geben es zu, wir sind Splotter Fans. The Great Zimbabwe hat es uns sehr angetan. Und Indonesia. Und meinetwegen auch Food Chain Magnate. Antiquity wartet noch auf seinen Einsatz. Wir mögen auch Pandemie, aber nach den obergenialen ersten beiden Teilen der Legacy-Kampagne (vorsicht – ihr verlasst MUWINS-Territorium) dachten wir eigentlich, dass wir davon keine der zweifellos folgenden, vielen weiteren Versionen benötigen würden – bis wir von Pandemic: Made by Splotter erfahren haben.
Oder zumindest „made by half Splotter“, denn Jeroen Doumen ist eine Hälfte der Splotterei. Die Spiele der beiden Niederländer (der zweite ist Joris Wiersinga) sind üblicherweise im mittleren bis oberen Komplexitätsniveau anzusiedeln, bei starkem thematischem Bezug (dass wir sie mögen, hatte ich ja schon erwähnt). Matt Leacocks Pandemie-Grundkonzept hingegen ist ja doch eher einsteigerfreundlich – wir waren entsprechend gespannt auf das Ergebnis dieser Zusammenarbeit.
Pandemic: Steigende Flut ist natürlich genau so kooperativ wie seine Vorgänger, spielt in der Heimat der beiden Niederländer und wird mit keinerlei Seuchen, Viren oder ähnlichem Getier geliefert. Stattdessen thematisiert es den historischen Kampf der kleinen Nation mit der langen Meeresküste gegen die stets drohende Überflutung.

Und wie wehrt man sich gegen Wasser? Impfen bringt in diesem Fall wenig, also wandert man per Wohnwagen aus oder organisiert Schwimmkurse. Vor allem aber baut man Deiche. Haufenweise. Zunächst einmal tut man dies direkt vor Spielbeginn, denn eigentlich starten wir recht optimistisch: Wir verteilen massig Holz auf der Karte, das uns an der Küste gegen den vorerst noch dezent bedrohlichen Meeresspiegel absichert und auch weiter im Landesinneren wirkungsvolle Barrieren darstellt. Denn wehe, wenn’s irgendwo am Strand leckt. Die Niederlande ohne Deiche könnt ihr euch wie eine Badewanne vorstellen: Wenn da mal Wasser reinläuft, wird’s überall nass.

Und auch, wenn es im ersten Moment so aussieht, als hätten wir alles im Griff: Wer eine beliebige andere Pandemie-Variante gespielt hat, weiss, was danach kommt: Die Probleme nämlich. So ein Deich will gewartet sein, der hält nun mal nicht ewig. Und offenbar hatten wir in letzter Zeit andere Prioritäten (Fussballtraining?), so dass uns das morsche Gebälk beim ersten Sommergewitter panikartig um die Ohren schwimmt.
Wie in anderen Pandemie-Titeln werden auch hier zu Beginn neun Karten gezogen, woraus sich unsere immer unterschiedliche Ausgangskrise ergibt. Diese Karten zeigen Regionen, die wie üblich ein-, zwei- oder gar dreimal von einem Ereignis betroffen sind. Wie gesagt in diesem Fall nicht von Viren, sondern von brechenden Deichen. „Ereignis“ bedeutet nämlich, dass an der Grenze der entsprechenden Region ein (auszuwählender) Deich entfernt werden muss, oder (wenn keiner mehr vorhanden ist) ein Eis Wasserwürfel zugefügt wird. Speziell in Steigende Flut ist auch, dass jede Regionenkarte zweimal vorhanden ist – falls Neptun (niederländischer Schutzheiliger halbmorscher Deiche) komplett versagt, kann’s dort also zu Beginn schon richtig ungemütlich werden.

Nach einer ersten „das Wasser fliesst“-Phase (dazu später mehr) dürfen wir aktiv werden. Mittels der Pandemie-üblichen vier Standardaktionen oder spezialistenspezifischen Sondertätigkeiten geben wir unser Bestes, die Dichtung zu vollenden. In diesem Fall bedeutet dies, vier grosse (real existierende oder ehemals geplante) „Werke“ zu errichten, die uns beim Bau einmalig einen Vorteil verschaffen, uns aber auch längerfristig davor bewahren sollen, Grossbritannien nachzueifern und uns von Europa zu verabschieden.

Unter den Standardaktionen befinden sich die aus den Vorgängern bekannten Bewegungsaktionen, sowie das Entfernen von Seuch Wasser. Neu sind die Bautätigkeiten „Deich bauen“ (kostet lediglich eine Aktion) sowie „Hafen bauen“ und „Pumpe bauen“ (kosten zusätzlich jeweils eine Karte der Region). Deiche dürfen nur in Regionen gebaut werden, die vollständig entwässert sind (mit Ausnahme des Zimmermanns, der dank Julius I. (Schutzpatron tauchender Handwerker) auch unter Wasser zimmert). Ein bestehender Hafen erlaubt die direkte Reise von irgendwoher in seine Region (ist also noch stärker als ein Forschungszentrum), die Pumpe dient zum… nun ja… was wohl.
Diese Pumpenmechanik ist ein neuer, sehr schöner Aspekt in Steigende Flut. Während es in anderen Pandemie-Titeln nach den Spieleraktionen und dem Aufnehmen neuer Karten direkt ans Ausbreiten der Seuchen geht, darf hier zwischendrin noch Muskelschmalz investiert werden: Jede installierte Pumpe darf genau ein Wasserklötzchen entfernen – aber nicht etwa zwingend aus der Region, in der sie steht, sondern aus einer beliebigen Region, die über Wasser (nicht Meer) mit ihrem Standort verbunden und nicht durch einen Deich abgetrennt ist. Je weniger Deiche sich auf dem Spielfeld befinden, desto weitreichender funktioniert also mein Pumpnetzwerk. Das ist schön. Aber lasst euch gesagt sein: Eine längerfristig darauf aufbauende Strategie ist nicht zu empfehlen.


Hat man gepumpt, was Schu (niederländischer Gott der Pumpe, wird üblicherweise mit Feder auf dem Haupt abgebildet, welche die Luft darstellt) hergibt, folgt dennoch und unweigerlich die Phase „die Deiche brechen“, in der Regionenkarten entsprechend der momentanen Eskalationsstufe gezogen werden. Zu Beginn sind das zwei, und wir haben dafür vielleicht gerade mal ein mildes Lächeln übrig.
Mit höherer Eskalation steigt allerdings nicht nur die zu ziehende Kartenzahl, sondern auch das Meereslevel. Sollte nun ein Deich an der Küste oder sonst an einer neuralgischen Stelle nachgeben, hat dies potentiell katastrophale Folgen. Nachdem wir die entsprechende Kartenzahl abgehandelt haben, folgt nämlich die Phase „das Wasser fliesst“. Auch sie ist neu, auch sie bringt richtig Pepp in die Sache (vorausgesetzt, man ist nicht Wasserscheu). Während ihr verteilt sich nämlich das Wasser systematisch in der Badewanne: Allzuviele zusammenhängende Regionen ohne Einhalt gebietende Deiche können uns hier schnell Einhalt gebieten.
Lasst uns ein Beispiel zusammen anschschauen…

Tatsächlich dürfte der häufigste Grund für Niederlandeniederlagen darin bestehen, dass uns vorzeitig das Wasser bis zum Hals steht, sprich: Keine Klötzchen mehr im Vorrat sind, wenn eins zugefügt werden müsste. Ein Deichbruch an ungünstiger Stelle kann dabei schnell verheerend sein. Deiche lassen sich verstärken, indem man mehr als ein Holzscheit auf eine Grenze baut – und das sollte man auch tunlichst tun! Aber sogar wenn man hofft, die Sache einigermassen im Griff zu haben, geschieht oft, was nun einmal bei Pandemie in solchen Fällen geschieht: Eine Epidemie – in diesem Fall genannt „Sturm“ – schlägt zu. Ausserdem kämpfen wir gegen den Zeitdruck, den wie üblich ist auch Sense, wenn uns die Spielerkarten ausgehen, bevor wir unsere Baupläne verwirklicht haben.

Der Bau jeder siegbringenden Infrastruktur verlangt nach fünf Karten der entsprechenden Farbe. Anders als etwa Forschungszentren müssen sie zwingend dort gebaut werden, wo sie hingehören – freundlicherweise ist das an allen vier Ecken der Niederlande. Nun wisst ihr auch, wieso die von überall ansteuerbaren Häfen so wichtig sind.
Erste Rezensionen haben davon gesprochen, Steigende Flut wäre im Vergleich mit anderen Pandemie-Titeln deutlich einfacher. Nun, während das klassische Pandemie keine echte Herausforderung mehr für uns darstellt, hatten wir bei den Niederländern auf normalem Schwierigkeitslevel bisher lediglich vereinzelte Erfolgserlebnisse zu begiessen. Ich könnte mir vorstellen, dass eventuell auch der eine oder andere Regelfehler für die Einschätzungen mitverantwortlich sein könnte, deshalb merkt euch: Deiche darf man nur bauen, wenn man selber im Trockenen sitzt (ausser, man ist Zimmermann) und die Anzahl der einzumischenden Sturmkarten ist höher (!) als jene der entprechenden Epidemieauslöser bei anderen Ausgaben.

Sollte man doch einmal so weit sein, dass einem die stürmische Nordsee lediglich noch ein Schulterzucken abverlangt, beinhaltet das Spiel sogar variable Siegbedingungen. Vier zufällig gezogene Aufgabenkarten gilt es nun statt der Errichtung der vier Werke zu erfüllen, was für Abwechslung sorgt. Mit dem Konzept der „Bevölkerung“ bringen diese alternativen Spielmodi sogar einen komplett neuen Mechanismus in die Niederlande.

Mein Vertrauen auch in nur eine Splotterhälfte wurde nicht enttäuscht. Ja, wir haben es hier definitiv mit einem Pandemie-Titel zu tun. Die Kernmechanismen sind bekannt und lassen sofort ein Gefühl des Nach-Hause-Kommens in uns aufkeimen. Gleichzeitig überzeugen aber auch die neu errichteten Konstruktionen und Aspekte, insbesondere die „flächenabhängigen“ Elemente der Wasserausbreitung und -eindämmung (Pumpen).
Für alle nicht-ortskundigen Flutbekämpfer stellt die Geografie eine gewisse Herausforderung dar, wobei damit auch, aber nicht primär die Regionenbezeichnungen gemeint sind. Glücklicherweise sind nicht auch noch die Städtenamen vermerkt, denn die Niederlande kennt da einige ziemliche Zungenbrecher, bespielsweise Mohammadiyat Fushana oder Djerba Houmt Souk. Viel entscheidender ist aber der Umstand, dass das rasche Erkennen von Brennpunkten deutlich herausfordernder ausfällt als in früheren Titeln. Während dort mit der Klötzchenzahl pro Ort bereits das Wichtigste gesagt war, spielen hier die weniger überschtlichen Verbindungen zwischen den Regionen eine zentrale Rolle. Das ist aber eine uitdaging, die ich gern noch öfters annehme.
Pandemic: Steigende Flut ist deutlich mehr als nur ein „Wartezeit-auf-Pandemie-Legacy-3-Verkürzer“. Ab in den Süden!
Ein weiterer MUWINS-Nichtschwimmer meint zu Pandemic: Steigende Flut
lukebigbosss: Nur so am Rande: Dieses Jahr findet die alljährliche Pandemie-Weltmeisterschaft in Lucca, Italien statt. Da Z-Man zu jedem Austragungsort ein Spiel entwickeln lässt (Pandemic Iberia und nun das holländische Exemplar), können wir uns für 2019 auf ein Pandemic: Age of Machiavelli freuen…
Sind Wasserausbreitung, Pumpwerke, neue Rollen, Deiche und „Blue Crystal Meth“-artige Klötzchen neu, gleichzeitig vertraut genug, damit sich eine Anschaffung von Steigende Flut lohnt? Fühlen sich Pandemie-Anhänger angesprochen und können sie sich mit dem Spielprinzip und den Mechanismen anfreunden? Beide Fragen kann ich mit einem überzeugenden Ja beantworten. Eine Spielrunde macht Spass und ist sehr spannend.
Nach einer ersten Partie stellen meine mangelnden Holland-Kenntnisse den einzigen Kritikpunkt dar. Ob sich das Spiel langfristig lohnt, auf welchem Ranglistenplatz der ganzem Familie es schlussendlich landet oder ob ich doch lieber auf Pandemic Italia warten soll, kann ich erst nach Vorüberziehen des aktuellen lokalen Tiefdruck-Gebiets bestimmen.
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