Blumen verkaufen – was soll da schon schief gehen? Das Thema wirkt erst mal ähnlich nervenzerreissend wie „Bauernhof im Mittelalter“ oder „Bodenplatten Verlegen in Portugal“. Zumindest bis wir bedenken, dass es sich bei Tulipa ja bekannterweise um eine der übellaunigsten Gattungen unter den Liliengewächsen handelt. Aber zugegebenermassen mehr noch, weil wir erfahren, dass wir uns um 1630 in den Niederlanden befinden. Schluss mit lustig – hier werden aufgrund eines irrationalen Hypes Existenzen pulverisiert und eine ganze Volkswirtschaft an den Rand des Abgrunds gezerrt. Zum Glück hat die Menschheit daraus gelernt – so etwas kann uns heutzutage, im Zeitalter elektronischer Währungen, nicht mehr passieren…
In Tulip Bubble (Kouyou, Moaideas Games) kennen wir aber (noch) keine Hemmungen und stürzen uns nach einer kurzen Würdigung des wunderschön illustrierten Materials mitten hinein ins Spekulationsgetümmel. Einerseits verführen uns stark fluktuierende Preise dazu, auch noch unser letztes Spitzenhemd auf die unscheinbaren Knollen zu setzen – andererseits tragen auch die lokalen Geldinstitute nicht wirklich zur Mässigung bei: Nach dem letzten Spitzenhemd ist nämlich noch lange nicht Schluss! Die ortsansässigen Financiers sind nur allzu gern bereit (säupferständlich nach eingehenden Abklärungen der finanziellen Hintergründe) ausnahmslos jeden noch so abenteuerlichen Kredit zu bewilligen und uns grosszügig mit zusätzlichen Gulden auszustatten.

Die Mechanismen in Tulip Bubble führen dazu, dass sich jeder, der schon mal an einem Blumenbeet vorbeigegangen ist (also auch unsere ignoranten Gegenspieler), als Tulpenexperte fühlt und fröhlich mitspekuliert. Die besten Zutaten für handelsübliche Wirtschaftsblasen also. Man kriegt es folglich mit längerfristig steigenden Kursverläufen zu tun – bis es irgendwann TÄTSCH macht (siehe auch Dienstmädchenhausse).
Und als ob Spekulanten, Banken und Möchtegernbotaniker nicht schon ein ausreichend unheilvolles Gespann wären, mischen auch noch nimmersatte Tulpengeeks in Form von Auftragskarten mit. Sie sind bereit, den normalen Preisausschlägen jeweils noch eins drauf zu setzen und horrende Liebhaberpreise für die zukünftigen Blumenbeetbewohner zu bezahlen – vorausgesetzt, man liefert punktgenau das Gewünschte.
„Punktgenau“ bedeutet in Tulip Bubble: Richtige Farbe, richtige Qualität und (manchmal) richtige Farbvariante. Diese drei Merkmale zeichnen jede Knolle aus, die beiden ersten bestimmen auch den aktuellen Wert. Mal sind rote Tulpen hoch im Kurs, mal wird gerade eine andere Farbe gehyped. Entsprechend einfach ist die grundsätzlich angezeigte Strategie: Billig einkaufen, teuer verkaufen. Aber das ist leichter gesagt als getan…
Wir beginnen mit einem bescheidenen Kapital von lediglich 20 Gulden und einem vollen Tulpenmarkt. Die Anfangswerte der drei Farben werden zufällig festgelegt und bewegen sich – je nach Qualität – zwischen 3 und 20 Gulden. Ein erstes (zufällig gezogenes) Marktevent kann diese Ausgangslage allerdings schon mehr oder weniger massiv erschüttern. Gut möglich, dass die teuersten Knollen danach nicht unter 26 Gulden zu haben sind und damit schon ausserhalb unserer finanziellen Möglichkeiten liegen (obwohl… wir könnten ja mal unsere Vertrauensbank fragen…).

Neben der Kohle und einem Sichtschirm stehen uns noch drei Bietplättchen als Grundmaterial zu Verfügung. Bietplättchen? Jop. Bei den aktuellen Marktpreisen handelt es sich nämlich lediglich um Mindestpreise. Mit viiiiel Glück (oder ausgesprochen schlechtem Geschmack, also wenn sich niemand anders für dieselbe Zwiebel interessiert) erhalten wir das Gewächs für den angegebenen Betrag, ansonsten müssen wir uns darum prügeln. Konkret läuft das so ab, dass wir in zwei Runden unser Interesse bekunden, indem wir zuerst bis zu zwei, dann in einer zweiten Einsetzrunde noch maximal eines unserer Bietplättchen auf einer Tulpenkarte platzieren dürfen.

Liegen danach mehrere Plättchen auf einer Karte, wird diese unter den Beteiligten versteigert. Ungewöhnlich dabei: Die Differenz zum Mindestbetrag wird anschliessend zwischen den Unterlegenen aufgeteilt – es ist also durchaus interessant, auch dann mitzubieten und den Preis hoch zu treiben, wenn man das Gewächs eigentlich gar nicht haben will, um selber vom Geldsegen zu profitieren. Aber natürlich birgt das auch ein gewisses Risiko!

Hat man eine Tulpe gekauft oder ersteigert, geht es ans Bezahlen. Oder auch nicht. Verfügt man nicht über die nötigen flüssigen Mittel (oder will man sie lieber für andere wichtige Dinge wie Fussballbildchen oder Ähnliches aufsparen), springt, ohne zu zögern, die Bank ein. Der entsprechende Betrag wird als Erinnerungsstütze auf der Karte platziert, zusammen mit einem eigenen Bietmarker. Der Kredit darf jederzeit zurückgezahlt werden und verschlingt auch keinerlei Zinsen, allerdings ist bis zur Rückzahlung der entsprechende Bietmarker blockiert, wodurch man in der Einkaufsphase an Flexibilität verliert.
Ein weiterer Nachteil bankenfinanzierter Tulpen besteht darin, dass man sie nicht an Sammler verscherbeln darf. Für die wirklich lukrativen Deals muss man also tatsächlich in die eigene Tasche greifen. Die Tulpengeekinnen und Tulpengeeks stellen die erwähnten unterschiedlichen Ansprüche hinsichtlich Farben und weiterer Merkmale. Wählerische Kunden lassen bei Erfüllung des Auftrags auch entsprechend mehr springen. Wie bei jedem Tulpenverkauf wird man die Dinger nämlich zum aktuellen Tagespreis los, die Sammlerinnen legen zu diesem Betrag noch 10, 15 oder sogar 20 Gulden drauf. Wahrscheinlich suchen sich die Leute danach ein intelligenteres Hobby, denn sobald man einen solchen Auftrag einmal erfüllt hat, werden die Herr- und Frauschaften nie wieder gesehen. Besonders relevant ist das beim Adeligen, dem der Preis keine Rolle spielt: Er bezahlt als einziger einmalig die 20 Gulden extra – und ist dann weg.

Nach der Einkaufsphase wird aufgeräumt: Aus den im aktuellen und zukünftigen Markt verbliebenen Tulpen ergeben sich die ersten Preisschwankungen. Der Marktwert der am häufigsten verbleibenden Farbe verringert sich um eine Stufe. Da auf jedem Feld nur ein Marker stehen darf, der entsprechende Anzeiger andernfalls einfach auf das nächste freie Feld weiterrutscht, kann (und wird!) diese Anpassung oft auch massiver ausfallen. Anschliessend wird der Marktpreis der seltensten Tulpenfarbe nach dem gleichen System um eine Stufe erhöht. Alle Tulpen aus dem aktuellen Markt wandern danach in den Kompost, die Reihe der neuen Lieferung wird nach unten verschoben und stellt den neuen aktuellen Markt dar: Damit beginnt eine neue Runde.
Zu Beginn derselben wird zunächst ein neues Ereignis ausgeführt. Im positiven Fall ergeben sich daraus massive Preisanstiege des eigenen Tulpenlagers, es kann aber auch passieren, dass durch einen Crash die eigene schöne Strategie für die Katz‘ war und der Wert der Sammlung sogar unter ihren Einkaufswert fällt.

Hat man sich vom Ereignisschock mental einigermassen erholt, wird eine neue Schiffsladung in der obersten Marktreihe als zukünftiger Markt ausgelegt, anschliessend darf endlich verkauft werden (diese Phasen werden nach der Startaufstellung übersprungen, schliesslich hat man dann noch nichts Verkaufbares). Entweder man verscherbelt die Ware an den Markt, oder man beliefert Sammler. Was an den Markt vertickt wird, wandert vorerst in den „eben verkauft“-Bereich, und da die Ware ihr Haltbarkeitsdatum noch nicht überschritten hat, darf sie in der nächsten Einkaufsphase auch wieder erworben werden – oder bestimmt die nächsten Preisanpassungen mit. Was liegen bleibt, wird danach aber definitiv entsorgt.
Eines der Marktereignisse nennt sich übrigens „Bubble Bust“, ist besonders erbauend illustriert und bedeutet, dass die Menschheit endlich wieder Herr ihrer Sinne geworden ist: Die Blase ist geplatzt! Liegen noch irgendwelche Tulpenzwiebeln in den eigenen Lagerhäusern, verringert sich deren Wert auf das Niveau von Unkraut. Und natürlich weiss man nicht, wann das geschieht, beziehungsweise ahnt man es, denn es handelt sich um eine der drei letzten Karten im Ereignisstapel.
Nach einer Partie voller riskanter Entscheidungen spitzt sich damit das Spiel mit dem Feuer am Ende noch einmal zu. Liegen noch drei Karten im Ereignisstapel, geht das Spielgefühl praktisch in eine Partie Russisches Roulette über. Ich kann auf Nummer sicher gehen und mein ganzes noch irgendwo herum liegendes Gedöns panikartig verkaufen, dabei vielleicht sogar das eine oder andere Verlustgeschäft in Kauf nehmen, aber immerhin kriege ich in diesem Fall noch etwas für meine harte Arbeit! Oder spekuliere ich darauf, dass die Blase noch eine (oder gar zwei?) Runden halten wird, und ich noch einmal richtig absahnen, eventuell sogar noch einen ausliegenden Auftrag erfüllen kann? Diese letzten Entscheidungen sind im positiven Sinn schweisstreibend – etwas kritischer formuliert aber vielleicht sogar etwas zu siegbestimmend? Ja, die Spannung zieht mit der Spieldauer unbarmherzig aufs grosse Finale hin an, aber dieser letzte Zug kann mir, wenn mir die Tulpen- und Spekulationsgötter wohl gesonnen sind, den Spielsieg bringen – oder mich im anderen Fall ins Verderben stürzen.
Wer auf der sicheren Seite bleiben will, peilt deshalb den alternativen Spielsieg an, der in Form der schwarzen „Königin der Nacht“ auf uns wartet. Wer sie ergattert, beendet damit sofort die Partie und lässt dabei die Konkurrenz verwelkt aussehen. Um sich diese Schönheit zu sichern, benötigt man allerdings 120 Gulden in bar auf der hohen Kante, ausserdem darf man als Käufer in keiner Weise kreditbelastet sein: Ein nicht ganz leicht zu bewerkstelligendes Unterfangen.

Nach meiner ersten Partie Ponzi Scheme vor einiger Zeit war ich von diesem begeistert – einfach, weil mir der Umgang mit derart pervertierten (simulierten!) Wirtschaftssystemen Spass macht (siehe auch Startups) und aufgrund der sich anbietenden Winkelzüge und Fiesheiten bestens zu uns MUWINS passt. Inspiriert durch diesen Eindruck (und einen weiteren*) hat auch Tulip Bubble an der Spiel 17 dank Vorbestellung rasch den Weg in meine Einkaufstasche gefunden – und es hat mich nicht enttäuscht. Dennoch kann ich mir vorstellen, dass ausgesprochene Strategen das Endspiel möglicherweise als unbefriedigend empfinden, da hier Zufall wie situativ abhängige Risikobereitschaft eine herausragende, potentiell spielentscheidende Rolle einnehmen können. Das ist zwar durchaus thematisch, aber es soll auch Leute geben, die einem Spiel so etwas ankreiden. Mir persönlich macht die in gerade mal 60 Minuten durchlittene Tulpenkrise mit ihren emotionalen Höhen und Tiefen viel Spass. Auf zur nächsten Blase!
Lassen wir die übrigen MUWINS’schen Botaniker kurz ihren Dung dazu geben…
Lukebigbosss: Sehr thematisches und spannendes Spiel, dauert vielleicht eine Spur zu lange. Fingernägel werden definitiv um einige Millimeter kürzer… Ich liebe Auktionen, harte Wirtschaftssimulationen und Tulpen.
Shotgun Pete: Hübsch anzuschauen sind sie ja, die Tulpen, und mittels der Auktionen und unsteten Preise wird hier ein ordentliches Mass an Spannung und Dynamik geboten. Persönlich hat mich aber das Spekulationsfieber nicht wirklich gepackt – wobei es mir schwer fällt, zu sagen, woran genau das liegt. Vielleicht der Frust, der aufkommt, wenn man sich erst (über)teuer(t) etwas ersteigert, was zwei Runden später nichts mehr wert ist, es dann gleich noch ein zweites Mal passiert – und man dadurch praktisch schon aus dem Spiel raus ist? Vielleicht hab ich mich aber auch nur ungeschickt angestellt. Den Alles-oder-nichts-Moment zum Ende, wenn’s um die letzten 3 Eventkarten geht, finde ich aber prima.
Schöne Rezension und das Spiel sieht besser aus als unsere wühlmauszerfressenen Tulpen im Garten. Hatte ich auch auf der Liste bei der Spiel, aber der Preis hat mich abgehalten. Unsere beliebtesten Bietspiele sind momentan Modern Art und Senators. Da müssen die Tulpen wohl noch etwas vor sich hinwelken.
Aber ein Bitcoin Spiel jetzt erfinden und an den Markt bringen, das wär doch was! Allein die Ankündigung würde die Muwins-Aktien in die Höhe schnellen lassen.
Eure beliebtesten Bietspiele sprechen für euren Geschmack. Die Tulpen können mithalten, aber man braucht ja nicht alles… 😉
Ach übrigens: Wir bauen gerade ein Bitcoin-Spiel. Wo können wir unsere Aktien loswerden?
Wow Ben, dass ihr so schnell eine Kickstarter Kampagne zu eurem Bitcoin-Spiel hinbekommt. Hut ab!
Aber irgendwie hatte ich dich anders in Erinnerung:
https://www.kickstarter.com/projects/432177580/bitcoin-empire-to-the-moon-20?ref=category_ending_soon&ref=discovery