Nach dem Virus – Shuffling the Dead!

Ich verstehe das ewige Gedöns von wegen „bloss keine Zombiespiele mehr“ echt nicht. Zugegeben, weder filmisch noch spielerisch garantieren die schlurfenden Untoten per se Feinschmeckerkost, aber andererseits existieren zu dem Thema auch RICHTIGE, um nicht zu sagen ganz ENORME Perlen (auch wenn man sie anders nennt – das sind trotzdem Zombies!). Und mal ehrlich: Auch beim ach so beliebten Euro-Bauernthema ist lange nicht alles Torf, was stinkt.

After the Virus setzt kurz nach der Stelle ein, bei der sich in Shawn of the Dead Untote nur schwer von handelsüblichen Pendlern unterscheiden lassen. Eigentlich ist alles wie immer, nur ab und zu schlurft uns ein Kadaver durchs Kartendeck aus zu Beginn neun Basiskarten, plus einem bis drei Zombies – entsprechend der Spieleranzahl. „Alles im grünen Bereich“, könnte man fast meinen — zumindest, bis einem die tatsächlich grüne, höchst ungesunde Gesichtsfarbe des apathisch wirkenden Herrn gegenüber auffällt.

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Frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit…

Das Spiel beginnt tatsächlich einigermassen gemächlich. Jacob Fryxelius (Fryxgames — immerhin der Mann hinter Terraforming Mars) serviert mit diesem Deckbuilder eine sich bezüglich Intensität steigernde Story mit Biss! Die Szenarien verteilen sich auf die wohlklingenden Oberkapitel Outbreak, The Base, Family, War und The Cure.

Passenderweise heisst das erste Szenario denn auch „1A“, der wesentlich informativere Untertitel Chaos. Die Vorgaben modifizieren meist die Ausgangslage, zusätzlich immer die geforderten Siegbedingungen. Chaos beispielsweise behandelt die Reaktion direkt nach dem Ausbruch der Seuche und verlangt von uns, nützliche Dinge einzusammeln, auf dass wir der Apokalypse nicht ganz schutzlos ausgeliefert seien. Mit ein wenig Scoutingtalent ist die Vorgabe von (spieltechnischer ausgedrückt) vier einsatzbereiten Karten recht problemlos zu erfüllen und gut geeignet, dem Apokalypseneuling die Basics zu vermitteln. Im nächsten Szenario haben wir dann bereits sechs Überlebende um uns zu scharen und sie in Sicherheit zu bringen.

Wir steuern dabei alleine, oder mit bis zu zwei Verbündeten jeweils eine der vier vorgegebenen Personen, die zwar allesamt über ein identisches Kartendeck verfügen, aus denen zu Beginn aber unterschiedliche Startdeck vorbereitet werden. Eine einzelne (thematisch passende) Karte befindet sich ausserdem zu Beginn schon fast (!) einsatzbereit in unserem Spielbereich. Die Personenauswahl darf sich dabei durchaus nach den Missionsvorgaben richten. Ist beispielsweise als Teil der Siegbedingungen eine beliebige Lokalität gefragt, in er man sich verbarrikadieren kann, dann macht es Sinn, mit einer Person anzutreten, die von Anfang an eine Bleibe für die Truppe in der Nachbarschaft hat. Es soll Spieler geben, die in diesem Zusammenhang lamentieren, diese gezielte Auswahl wäre unthematisch, stattdessen solle man einen einzelnen Charakter durch die Story steuern. Das kann man so sehen, alternativ dazu sei aber auch die Sichtweise akzeptiert, dass hier analog zu Filmen/gewissen (noch zu nennenden) Serien die Erlebnisse mehrerer Personen parallel erzählt werden.

Der Rest der Karten liegt als Kartenstapel oberhalb des separaten Zombiedecks verdeckt vor uns, nennt sich Area und will zunächst einmal gescoutet werden, bevor sich seine Schätze nach und nach offenbaren.

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Robert trägt eine Lederweste – eigentlich vorerst gekippt, aber sie kann für „Null“ Kosten (links unten) aufgerichtet, also aktiviert werden. Weiterhin hat er unter anderem eine Brechstange und Proviant im Gepäck. Rennen kann er auch, der Robert. Eine nicht zu verachtende Kompetenz in dieser Situation.

Dieser Scoutvorgang gestaltet sich dabei denkbar einfach. Man schmeisst eine Handkarte auf den Abwurfstapel und darf dafür die oberste Karte des Area offenlegen. Will man sich von dort etwas holen, sind je nach Motiv mehr oder weniger weitere Abwürfe (siehe Zahl im Handsymbol oben links) nötig, wodurch die entdeckte Karte in den eigenen Spielbereich wandert, und zwar getapp gekippt, also vorerst unnütz. Um sie zu aktivieren, sind weitere Abwürfe nötig, das können auch mal Null sein (sich mal eben so eine Lederjacke überzustreifen ist schliesslich kein Mords-Kraftakt). Dieses Area ist auch für den nicht zu vernachlässigenden Zufallsfaktor im Spiel verantwortlich. Wenn ich dringend ein Gefährt benötige, aber auf Zombie komm raus nichts Fahrtaugliches finde, dann ist das ebenso thematisch wie frustrierend.

Ihr merkt schon, es wird viel abgeworfen. Das Problem dabei: Bei lediglich fünf Handkarten tut man gut daran abzuwägen, was man mal eben nongschalang auf den Discardstapel schmeisst, und was man stattdessen lieber einsetzen sollte. Wenn uns die ganzen Zombieschinken eines gelehrt haben, dann dies: Wo einer ist, hat‘s noch mehr!

Befinden sich im Nachziehstapel nämlich keine fünf Karten mehr, wird er neu gemischt — was zugegebenermassen zunächst wenig dramatisch klingt. Brisant wird die Sache dadurch, dass der „Wave“-Anzeiger dabei eine Stufe nach oben wandert und dem neuen Nachziehstapel entsprechend viele Zombies beigefügt werden. Und wenn ich „Zombies“ schreibe, dann nur, um euch ein wenig zu schonen, denn tatsächlich handelt es sich um die Anzahl zusätzlicher ZombieKARTEN, die nach und nach mehr, genauer bis zu vier Exemplare der grünen Männchen zeigen. Schaut man tatenlos zu, ist man schneller erledigt als die wilden Hunde in The Walking Dead (ist eigentlich sonst noch jemandem aufgefallen, dass die Schüsse im Rhythmus von who let the dogs out — Bam… Bam.. Bam.. Bambam abgegeben werden? Muss man dazu ein hoffnungsloser Nerd sein?).

Immerhin: Jede Zombiekarte, deren Sujet man schnetzelt, wandert zurück auf den Zombiestapel, wodurch sich die Ankunft der Megahorde ein wenig hinauszögern lässt. Auch im Nahkampf ziehen die Biester letztlich den Kürzeren und erfahren das gleiche Schicksal — allerdings kriegen auch wir dabei etwas ab („ach das? Ich hab‘ mich bloss beim Rasieren geschnitten. Wann gibts Hir… was zu essen?“). In diesem Fall dürfen wir wählen, wo uns der Moderknilch erwischt hat: Am Bein (dann wird nicht mehr gerannt), am Arm (dann wird nicht mehr beidhändig gekämpft) oder am Hirn (dann wird nicht mehr gespielt). Karten mit mehreren Zombies beissen auch mehrmals zu und sind ausserdem noch schwieriger abzuwehren!

Ganz im Geiste des Zombie-Genres stellt so ein einzelner Untoter keine wirkliche Gefahr dar. Ein herzhafter Hieb mit der Brechstange reicht aus, schon herrscht (vorerst) wieder Ruhe in der Botanik. Das Gerät lässt sich zwei mal verwenden, bevor es abgeworfen wird. Alternativ kann man auch einen halbwegs gemächlichen Zwischenspurt einlegen. Mit beiden Methoden wird man das Viehzeug allerdings nicht dauerhaft los – es wandert stattdessen in unseren Ablagestapel und holt uns irgendwann wieder ein. Aber man kann sich immerhin erst einmal um Wichtigeres kümmern. Kritisch wird die Sache allerdings, wenn die Gesellen in grösserer Zahl auftreten, und es wäre blauäugig anzunehmen, dass sie dies in einem Zombiespiel, das etwas auf sich hält, nicht tun würden.

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Rennen oder Brechstange. Beides ist keine dauerhafte Lösung, aber verschafft uns erst mal Zeit.

Um sich der Meute zu entledigen, hat man nämlich lediglich eben jene Runde Zeit, in der erstere (als Teil der gezogenen Handkarten) aufgetaucht ist. Was man nicht wegkriegt, beisst zu. Neben all dem oben beschriebenen Abgewerfe tut man folglich gut daran, für den Notfall die eine oder andere Machete, besser noch Minigun oder sonst etwas mit möglichst viel WUMMS bereit zu halten. Allerdings: Alles, bei dem vorne etwas heraus kommt, verbraucht Munition. Und nun ratet mal, wie man die Schiessprügel wohl lädt? Jep: Handkarten werden unter der Waffe gebunkert, will heissen: Noch weniger davon im eh‘ schon gefährlich dünnen Nachziehstapel.

Das Deckmanagement ist in diesem Spiel gleichzeitig zentral und unerbittlich. Um gegenüber der grünen Plage Zeit und Luft zu gewinnen, ist ein möglichst fettes Deck günstig. Gleichzeitig sind einsatzbereite Waffen, Fahrzeuge, Munition, Fallen, andere Überlebende und vieles mehr für das Erfüllen der Missionsziele (bzw. das eigene Überleben) unverzichtbar, wodurch allerdings die entsprechenden Karten dem Kreislauf entnommen werden und unseren Nachziehstapel wiederum ausdünnen. Da sollte schon gut geplant und priorisiert werden. Die 16 Missionen sorgen für abwechslungsreiche Herausforderungen — die ersten Szenarien dienen wie erwähnt noch zum Aufwärmen, aber bereits 1C: Get to Safety, das Ende des Prologs, hat es in sich.

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Ein Ausschnitt aus dem Waffenarsenal und sonstigen hilfreichen Entdeckungen.

Und danach geht die Schose erst richtig los, die Vorgaben werden zunehmend knackiger. Spielt man after the Virus kooperativ, hat man die Möglichkeit, sich gegenseitig zu heilen oder auch handfester zu unterstützen (sprich: In Richtung Kollegen schlurfende Kadaver abzuservieren). Dabei spielt man zeitgleich, wartet lediglich ab, bis alle ihre Runde beendet haben, bevor alle eine neue Kartenhand aufnehmen. Um zu gewinnen, müssen alle Beteiligten die Siegbedingungen zu einem Rundenende gleichzeitig erfüllen.

Was den Charme von After the Virus ausmacht, sind vordergründig die genretypischen Karten, die alles an Gegenständen und Effekten bieten, was der Zombiefreund von einem entsprechenden Spiel erwartet. Auf den zweiten Blick — und noch wichtiger — sind es jedoch die kleinen, treffenden Variationen eingefahrener Deckbuilding-Mechanismen, die uns wunderbar herausfordernd ins Zombieland versetzen. Massive Vorbehalte sind allerdings für Personen mit Aleatorikallergie anzubringen: Wer auf ein widerspenstiges Areadeck mit Wutausbrüchen reagiert, sollte der Sache eher fernbleiben. Wenn sich sämtliche Fahrzeuge irgendwo tief unten verkrochen haben, dann sehen wir nun mal alt aus, denn in so einem Fall kriegt uns die Horde unweigerlich, bevor wir auch nur den Zündschlüssel zum ersten mal hätten fallen lassen können.

Wir würden nicht MUWINS heissen, wenn wir also nicht doch etwas zu mäkeln hätten. In richtig guten Zombiefilmen bilden die Untoten quasi den Hintergrund, vor dem sich die wahren Tragödien abspielen. Wie Überlebende mit einer derartigen, unverständlichen Ausnahmesituation umgehen und kooperieren – oder eben nicht – das sind die eigentlich interessanten Themen. Und diese fehlen in dem kleinen Kartenspiel (verständlicherweise) völlig. After the Virus ist eben doch Deckbuilder, nicht Sozialstudie. Damit erreicht es in der filmischen Hierarchie in etwa das Niveau eines C-Movies, der uns weniger mit menschlichen Abgründen als mit billigen Scare-Effekten erschrickt („ups – noch’n Zombie“). Aber auch so ein Billigschocker macht als Abwechslung durchaus mal Spass. Ich habe After the Virus seit der Spiel mittlerweile schon öfter gespielt als  manch andere, hochgelobte Titel. Und wenn die rettende Waffe oder Unterkunft wieder einmal ums Verrotten nicht zu finden ist, dann lag das halt am Regisseur. Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Nachhaltigkeit: Zwar liefert das Spiel die erwähnten Szenarien, doch letztlich funktionieren die sehr ähnlich. Man sucht bestimmte Karten und kloppt Untote.

Nein, weder das Deckbuilding, noch das Zombie-Genre werden hier neu erfunden, vielmehr ist es die fadengerade Umsetzung und die gegenseitige Befruchtung der beiden Komponenten, die After the Virus dennoch zu einer lohnenden Anschaffung für alle machen, die trotz der Anfeindungen noch ein Herz für Zombies haben. Oder die einfach mal wieder (zumindest für einige Runden) einen raffinierten, ungewöhnlichen, thematischen Deckbuilder zocken möchten, und dabei emotional damit umgehen können, dass man auch mal hilflos abserviert wird!

Sie kommen immer näher… Ich rieche ihren fauligen Atem, höre ihr totes Stöhnen und spüre ihren unendlichen Hunger. Wir haben uns zurückgezogen in die ehemaligen Tunnel der städtischen U-Bahn. Vorposten haben wir im Pub des 1. FC Kleinbösingen und in der Arztpraxis zum Heilenden bezogen. An jeder Ecke haben wir Fallen aufgestellt. Werden sie uns nützen? Werden wir die kommende Zombiewelle überleben? Tage, gar Wochen haben wir damit verbracht, den letzten Ausrüstungsgegenstand zu finden: Einen Kanister voller Benzin… Trotz überall lauernden Gefahren haben wir jede Tankstelle im Bezirk abgeklappert. Nichts! Entweder waren andere Überlebende schon vor uns da oder die Zombies haben eine neue Diät gestartet! Ich wage einen Blick um die Ecke… Mein Herz steht still, mein Blut gefriert, ich habe die Kac.. in der Hose! Unsere Minuten sind gezählt, die Fallen können nichts ausrichten, die Munition zu knapp. Diesen Ansturm, rep. dieses „An“-Schlurfen werden wir nicht überleben… Die Gebete sind schnell erledigt, auf zum finalen Gefecht. Dieser verdammte Benzinkanister!

[Letzte Tagebuch-Eintragung von Lukebigbosss, bis zum Zeitpunkt der Niederschrift Überlebender der Apokalypse]

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