Tschu-Tschu-Tschu… Hach, waren das Zeiten. Das gute alte Märklin-Anfängerrund wurde später zu einem Oval, dank zweier Weichen sogar mit Bahnhof. Die mit Wattebausch im Schlot ausgestattete Lok zog zunächst lediglich ihre zwei grünen Standard-Passagierwagen hinter sich her, nach und nach kamen weitere Anhängsel dazu. Highlights waren der Autotransporter (natürlich) sowie (aus rein ästhetischen Gründen) der Weinwagen.

Auch in späteren Jahren behielt die Eisenbahn für mich ihre Faszination. Nie exzessiv zwar, aber doch immer präsent genug, um vor dem Bildschirm nächtelang Railroad Tycoon II (später auch III) zu zocken. Und natürlich musste diese Herzensangelegenheit früher oder später auch ins kartonbasierte Hobby überschwappen.
Nun existiert ein enormes Spektrum an Fokussier-Optionen, wenn es um die Beschäftigung mit diesen Kraftmeiern geht, die sich – je nach Ära – schnaufend und prustend durch die Geografie kämpfen oder elegant und blitzschnell von Stadt zu Stadt wuseln. Railroad Tycoon hatte es da vergleichsweise einfach, indem es kurzerhand so ziemlich alle Aspekte in sich vereinte, der Spieler sich dabei auf das konzentrieren durfte, was ihm am meisten Spass machte, und den Rest dem Rechner zur Verdauung vorgeworfen wurde. Es war klar, dass man bei einer Brettumsetzung nicht einfach die meiste Zeit damit verbringen konnte, die hübsche Landschaft zu betrachten und optimale Fahrpläne auszuhecken – dass sich ein Brettspiel stattdessen auf ausgewählte Aspekte zu konzentrieren hätte.
An den heiligen Eisenbahnspielegral, die 18XX-Reihe mit ihrem Fokus auf das harte Aktien- und Finanzgeschäft, traute ich mich damals noch nicht. Wenn ich etwas aus meinen PC-Eisenbahn-Erfahrungen gelernt hatte, dann war es die Erkenntnis, dass ich mich in Geldangelegenheiten gern mit der groben Übersicht zufrieden gab. Auch noch die letzte Kopeke aus den sowieso schon nahe an der Armutsgrenze dahinvegetierenden Passagieren zu pressen, war nie wirklich mein Ding. Andererseits: Habe ich schon erwähnt, dass ich es liebte, Fahrpläne zu optimieren?
Union Pacific war ein toller Einstieg. Der Kampf um Strecken und lukrative Anteilsscheine war elegant genug, dabei doch spannend und wurde dem Thema gerecht. Auch wenn der Streckenbau eher rudimentär ausfiel.


Eines Tages entdeckte ich im Spieleladen meines Vertrauens eine Spieleschachtel mit einer Lok vorne drauf, die mich eklatant an die Märklin-Lok aus Kindertagen erinnerte. Der Umstand wurde umgehend als Kaufargument eingesetzt. Der Zeichner hatte schliesslich sogar meine Idee mit dem Wattebausch übernommen und ihn dunkel angemalt! Age of Steam hat mich sofort durch seine Interaktionsmöglichkeiten, die Stadtentwicklungen und den Streckenbau überzeugt und sich in Nullkommanix unter meinen Lieblingsspielen etabliert. Später habe ich dann erfahren, dass es dort laut Meinung eines grossen Teils der Spielergemeinde auf keinen Fall lange bleiben dürfe, denn das Spiel wäre sehr, sehr böse, und wenn man nicht aufpassen würde, könne man ebenfalls in Nullkommanix pleite gehen und dann nicht mehr mitspielen dürfen. Man solle doch lieber die neuere, buntere Version davon kaufen, in der alle lieb zueinander wären, und die ausserdem (zumindest so lange die Lizenzgebühren flossen) den Namen meines alten Bekannten aus PC-Zeiten trug. Mir war das Wurscht, ich war ein Age of Steamer.
Über ein kurzes Intermezzo mit einem anderen „Eisenbahnspiel“ legen wir verschämt den Mantel des Vergessens: Sein Titel taucht bereits auf der Union-Pacific-Schachtel auf. Ja, ok – das Rennen um die bunten Karten mag durchaus einige Partien lang Spass machen. Aber nein, sorry: Da liegt längerfristig einfach nicht genug Schotter unter der Schiene.
Irgendwann hörte ich von einer russischen Variante, erdacht von den 18XX-Machern, dabei geglättet und gestreamlined, so dass sie sogar für Diesellokführer zugänglich wäre. Gehofft, gekauft, gespielt… und hä? Alle bauen dieselben Strecken? Mehrmals? In unterschiedlichen Farben? Ein Kollege (der es mag!) hat das Spiel als Flipperkasten beschrieben. Man schmeisst eine Kugel rein, dann machts PLING… PFFFRRRRRT… KNALLL…. DING DING DING… und am Ende hat man 846’759’231 Punkte. Alles, ohne auch nur eine Aktie zu verscherbeln, einer Passagierin galant die Tür aufzuhalten oder eine Kiste kubanischer Zigarren zu befördern. Es mag ja Leute geben, die sowas als Eisenbahnspiel ansehen – ich gehöre nicht dazu, habe die Schachtel (samt Inhalt) verschenkt und beides rasch vergessen…
Moaideas heissen nun die Herren aus Taiwan, die sich ebenfalls an der Thematik versuchen, und sie legen damit ihren Anspruch auf Anhieb recht hoch. Mark Gerrits‘ Titel Mini Rails hat im Vorfeld der Spiel ’17 unter den eisenbahngefährdeten zukünftigen Besuchern Raunen ausgelöst. Ein erster Blick auf das Material liess jedoch relativ Schlimmes erahnen: Das sechseckige Brett, belegt mit bunten Scheibchen, erinnert spontan an einen Kinderspielplatz und löste entsprechend Skepsis statt Nervosität aus. Puuh… Glück gehabt… das Geld wird also für Vernünftigeres verwendet.

Doch dann nahm Edward Uhler von Heavy Cardboard, einer meiner Lieblings-Spiele-Erklärer und Youtuber, das Ding doch tatsächlich ins Programm auf. Dass es eigentlich mangels Gewicht gar nicht zu seinem sonstigen Spiele-Konsumverhalten passen würde, gab er unumwunden zu, doch der Mann, der nicht davor zurückschreckt, Schwergewichte wie Arkwright oder Through the Ages mal eben locker zu erklären, behauptete allen Ernstes, diesem Kinderspielzeug etwas abgewinnen zu können. Es sei „einfach, aber clever“, würde „das, was es sein will, hervorragend umsetzen“. Na dann… schaunmermal…
Und tatsächlich: Die Regeln sind in Nullkommanix (ein Zeichen?) erklärt und los geht’s. Auf dem Tisch liegt das sechseckige (immer noch bunte), variabel zusammensetzbare Brett (635’683’955’443 Möglichkeiten, also sogar mehr, als das andere Spiel Punkte hat), auf dem ersten Feld jeder Ecke befindet sich bereits eine Holzscheibe, die den Ausgangspunkt einer Eisenbahngesellschaft repräsentiert (sorry, liebe Meet’n’Play-Mitspieler: Da hat euer Erklärbär gepennt). Die Spielerreihenfolge wird für die erste Runde halb-zufällig bestimmt, danach richtet sie sich nach dem Geschehen auf dem Brett, oder besser der zugehörigen Leiste.

Ein Durchgang besteht aus lediglich zwei Aktionen jeder Spielerin (dargestellt durch zwei Pöppel und zwei Plättchen), die auch noch sehr restriktiv geregelt sind. Eine Aktion muss zwingend genutzt werden, um eine Strecke zu bauen, die andere, um das eigene Anteilsportfolio zu erweitern, die Reihenfolge darf immerhin gewählt werden. Beide Aktionen sind denkbar einfach: Das Portfolio wird erweitert, indem man eine ausliegende Holzscheibe einer Gesellschaft auf der eigenen Aktienleiste auf das Feld „0“ setzt. Das Spiel geht nämlich davon aus, dass unser Kapital im Prinzip unbegrenzt ist (eine durchaus sympathische Annahme), und misst lediglich Verluste und Gewinne ab dem Zeitpunkt, zu dem wir uns die Anteile gekrallt haben. Das System bedeutet, dass durchaus Aktien der gleichen Gesellschaft in meinem Portfolio an unterschiedlichen Stellen liegen können – entsprechend der aktuellen Differenz zum Einkaufswert.
Unseren Pöppel stellen wir danach einfach an den Ort des Geschehens, sprich, an die Stelle in der ausliegenden Reihe, an der die gekaufte Holzsch… Verzeihung: „Aktie“ – vorher lag. In der folgenden Runde wird die so entstehende Auslage nämlich die neue Spielreihenfolge bestimmen.
Die zweite Option ist nicht weniger unkompliziert (man könnte auch „genauso leicht“ schreiben, aber dann würde das in der Tendenz etwas verwirrende, satirisch angehauchte, dabei zu intensiverer Beschäftigung mit der Ausdrucksweise anregende Element darunter leiden): Die gewählte Scheibe wird statt in den eigenen Aktienbereich aber angrenzend zu einem bereits ausliegenden Streckenabschnitt dieser Gesellschaft gelegt. Und jetzt kommts: Auf jedem Feld ist eine Anzahl (bis zu drei, aber siehe Ausnahme) weisser oder roter Punkte abgebildet. Rote Punkte findet man auf schwierigem Gelände wie etwa Seen oder Gebirgen. Weisse Punkte hingegen in Siedlungen oder Ebenen. Im Zentrum des Spielfelds liegt die einzige Stadt (die liegt da immer, die Anzahl möglicher Brettvariationen verringert sich also auf 635’683’923’219 – immer noch mehr als bei den Russen) und die zeigt sogar fünf weisse Punkte.
Ihr ahnt es bestimmt: Rote Punkte bedeuten hohe Investitionen wie Brücken, die gebaut, oder Waldschneisen, die geschneist werden müssen. Investitionen dieser Art steckt man nicht mal eben so weg. Die Auswirkung dieser so unscheinbar wirkenden Handlung? Alle Aktien in den Portfolios aller Spielerinnen wandern gemäss der Anzahl Punkte dem roten Bereich entgegen. Im umgekehrten Fall steigen die Aktienkurse, alle Scheiben klettern entsprechend hoch. Einfach, oder? Und doch so schön fies. Allerdings: Das ist noch nicht alles, die Entwickler hatten sozusagen noch moaideas!
Da jede Spielerin zwei Aktionen hat, würde der durchschnittliche Schienenleger vermuten, dass zu Beginn einer Runde genau doppelt so viele Holzscheibchen in der Auslage liegen wie Leute zugange sind. Aber er würde damit falsch liegen, denn das eine Scheibchen mehr ist der allerallerübelste Kniff des Spiels. Die Folge ist nämlich, dass am Ende jeder Runde eine Scheibe übrig bleibt. Und das ist jene Gesellschaft, die in dieser Runde ihre Steuern bezahlt hat. Das klingt zugegebenermassen wenig spektakulär. Deutlich mehr Brisanz erhält die Schose, wenn ich euch sage, dass genau sechs Runden gespielt werden. Gut möglich also, dass alle Gesellschaften einmal ihre Steuern bezahlen. Beibt hingegen auch nur eine Farbe zum zweiten Mal am Ende als letzte liegen, heisst dies, dass eine andere Farbe im Verlauf dieser Partie ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen wird. Und das ist übel.

Bereits nach sechs Runden wird nämlich abgerechnet. Alle Aktien im positiven Bereich erhöhen den Score, jene im negativen Bereich sind Miese. Allerdings: Hat eine Gesellschaft ihre Steuern im Verlauf des Spiels bezahlt, ist sie rehabilitiert, negative Werte in allen Portfolios werden vor der Abrechnung entfernt. Der umgekehrte Fall ist deutlich weniger angenehm, dafür umgekehrt: Hat eine Gesellschaft ihre Staatsschulden nicht beglichen, wandern alle positiven Aktien in die Tonne (beziehungsweise fein säuberlich zurück in die Spieleschachtel, dann dürft ihr ein andermal auch wieder mitspielen).
Diese (ich hab’s doch versprochen) einfachen Regeln bieten enormen Raum zum Taktieren, Kooperieren, Intrigieren und MUWINSern. Ich muss die geografischen Gegebenheiten im Auge behalten (wenn ich mir jetzt eine rote Aktie hole, baut die Knallschote nach mir zu 100% gleich eine rote Riesenbrücke, die meine schönen Wertpapiere in Taschentücher verwandelt). Neben der Wahl der Aktion und der richtigen Gesellschaft spielen aber auch Überlegungen zur zukünftigen Spielerreihenfolge eine nicht zu vernachlässigende Rolle.
Nein, das ganz grosse Streckenbauerlebnis kann Mini Rails nicht bieten (ist aber auch ohne noch x-fach thematischer als die russische Variante). Auch einen lange kalkulierten Aufbau über ein sich ausbreitendes Schienennetz mit einer Unternehmung, die dem Inhaber immer mehr ans Herz wächst, sucht man schon aufgrund der kurzen Spieldauer vergeblich. Dafür punktet es durch das von Anfang an spannende und intensive Gerangel um Aktien, Aktionsreihenfolgen und den Zugang zu gewinnträchtigen Regionen und es hält den Spannungsbogen über die Dauer von 30 Minuten nicht nur Aufrecht, sondern zieht ihn sogar noch an. (Wer schafft es noch, in den letzten Durchgängen die Steuern zu bezahlen?)
Oder, um eine für ein derart einfaches Spiel sowieso schon viel zu ausführliche Rezension abzukürzen: Bei Mini Rails mögen Personentransportier- und längerfristiger Aufbaueffekt sehr bescheiden ausfallen, aber dafür ist das Spiel nicht nur enorm zugänglich, sondern auch clever und setzt das, was es sein will, höchst erfolgreich um, so dass es einfach in jede gepflegte Spielesammlung gehört (bei grösseren, festen Spielgruppen sind aber 2-3 Exemplare auch akzeptabel)!
Ich lese Eure Seite bisher wirklich gerne – aber müsst ihr wirklich diesen Gender-Blödsinn mitmachen? Als Blogger sollte man doch den Unterschied zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht verstehen können.
Es kann sich bei deiner Steinin des Anstosses eigentlich nur um „die Spielerin“ handeln (da steht ja zum Beispiel bewusst nicht „DiesellokführerIn“). Aus Respekt vor dem durchaus biologischen Geschlecht unserer Gegenspielerinnen wechseln wir da gern auch mal ab. Ich sehe das weder als Mehraufwand für Schreiber oder Leserinnen an, noch als Hindernissin für das Verständnis.
Ich lasse mich aber auch belehren. Andere Meinungen? Am liebsten von Spielerinnen?
Gewagte These: „Als Blogger sollte man doch den Unterschied zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht verstehen können.“ 😉
Gut gesagt. Mal eine „Spielerin“ zwischendurch ist ganz locker und kein Gender-Blödsinn.
Spieler… spielerin… stein oder nicht steinin… wir sind was wir sind… lieber ein spiel das spass macht mit nur pöppel, als ein spiel das langweilt dafür mit pöppelinnen! Es gibt weiss gott/göttin wichtigere gebiete/gebietinnen wo gender probleminnen zu lösen wären… Oder?! Arme autoren… wie man/frau es schreibt isses falsch(-in) mir machts spass hier zu schnöiggä… gender hin , genderin her 🤣
Danke den fleissigen autoren hier!!!!
Grüessli HIFU (-in) 🤣