Flash Point: Flammendes Inferno – Wer hat den Bunsenbrenner wieder nicht ausgemacht?

Als hochspezialisierte Experten bemühen wir uns um die Eindämmung einer mittelgrossen Katastrophe. Menschenleben schweben in akuter Gefahr, trotz unserer gut gemeinten Anstrengungen steht es schlecht um den Gesundheitszustand unserer Schützlinge. Nach jedem Teilerfolg erwarten wir schon fast resignierend den nächsten Schlag in die Magengrube, allenfalls ausnahmsweise haben wir auch mal den Eindruck, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das kommt euch bekannt vor? Ich meine aber etwas anderes…

Wer auf die Frage „Was möchtest du mal werden, wenn du gross bist?“ schon einmal „Pharmaunternehmer“ als Antwort erhalten hat, hebe die Hand! Und jetzt alle, die „Feuerwehrmann“ zu hören gekriegt haben! Seht ihr?

In Flash Point: Flammendes Inferno (Kevin Lanzing, Heidelberger Spieleverlag) werden Kindheitsträume wahr. Unbeeindruckt von irgendwelchen Fake-News stürzen wir uns als unerschrockene Helden ins Flammenmeer, durchbrechen Wände und Türen, um unter Einsatz des eigenen Lebens auch noch Schosshündchen Fiffi aus seiner qualmenden Schmusedecke zu klauben, das Vieh mit russgeschwärztem Gesicht (unserem, nicht seinem) in die Kamera zu halten und mit einem Ausdruck, wie ihn sonst nur Bruce Willis beherrscht, ein cooles „Ich habe es für die Kinder der Familie getan…“ zu nuscheln, während hinter uns die Hütte mit Getöse in sich zusammenfällt und zur Brandruine wird.

Aufgrund der Umstandes, dass sich der Rest des Teams zum Zeitpunkt unseres Medienauftritts noch in selbigem Bauwerk befindet, kann Fiffis Rettung trotz unseres Auftritts in den Spätnachrichten allerdings höchstens als Teilerfolg gewertet werden. Das wäre dann auch der Moment, bei dem wir in jedem zweiten Hollywoodschinken schweissgebadet aus unserem bösen Traum erwachen, um innerlich zu schwören, den eben erlebten Fehler im echten (Film-)Leben auf gar keinen Fall zu begehen!

Denn tatsächlich erfordert ein erfolgreicher Einsatz in Flash Point andere Qualitäten als kopfloses Heldengetue. Bereits die „Anfängerversion“ (die man nach den ersten Einsätzen dann aber auch hinter sich lassen sollte – aber dazu später mehr) macht die Truppe sanft, aber nachdrücklich darauf aufmerksam, dass hier Teamwork gefragt ist.

Aber der Reihe nach…

Eine Partie beginnt mit unserem Eintreffen am Ort des Geschehens. An mehreren Stellen im Inneren des Gebäudes brennt es lichterloh. Vor uns sehen wir den Grundriss, inklusive der Ausbreitung des Feuers sowie einige potentielle Personenmarker, die es vorerst zu retten gilt. „Potentiell“ deshalb, weil es sich auch um Fehlalarme handeln kann, was wir aber (meistens) erst erfahren, wenn wir uns dorthin vorgekämpft haben. Zu jedem Zeitpunkt liegen drei potentielle Opfer auf dem Plan, Ziel unseres Einsatzes ist die Rettung von mindestens sieben Personen (und/oder Haustieren), bevor das Gebäude instabil wird und einstürzt. Sollten wir vier oder mehr Verluste an Zivilisten zu beklagen haben, dürfen wir uns einen neuen Job suchen. Gibt das Gebäude den Geist auf, während wir noch drin sind, haben wir ebenfalls verloren – die Sache mit dem neuen Job hat sich dann aber auch erledigt.

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So oder ähnlich könnte sich die Situation bei unserem Eintreffen präsentieren: Drei Explosionen haben das Feuer ausgebreitet und erste Mauern beschädigt, in Abhängigkeit der Aufenthaltsorte der zu rettenden Personen besprechen wir unseren Einsatzplan. Das Klavier unten mittig läuft offenbar mit Diesel. Sollte die Klötzchenreserve oben rechts alle sein, sind wir alle.

Das initiale Feuer wird dabei nach einem recht ausgeklügelten System verteilt, so dass alle ein bisschen etwas davon haben. Gibt man sich nicht mit der Anfängerversion zufrieden, kommen zusätzlich Gefahrenstoffe (explosive Putzmittel oder was halt bei Tante Eusebia so unterm Bett liegt) und Brandherde ins Spiel, was der Sache noch mehr Dynamik verleiht.

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Eine Detailaufnahme aus dem obigen Bild: Das potentielle Opfer im Nordwesten steckt in argen Nöten – wir haben uns entschlossen, dort zu zweit einzusteigen und die Ambulanz in unmittelbarer Nähe zu postieren.

Und was tun Fachmann und -frau, wenn sie ein derartiges Schlamassel antreffen? Richtig: Sie bilden eine Arbeitsgruppe! Anders ausgedrückt: Statt wie geträumt blindlings in die Flammen zu hechten, überlegen wir uns in Ruhe eine Strategie. Wo soll das Löschfahrzeug erst mal stationiert, wo die Ambulanz parkiert werden, wer verschafft sich wo Zugang zum Gebäude, worin bestehen die individuellen, primären Aufgaben…

„Kein Plan überlebt die erste Feindberührung.“ (H.v. Moltke)

Wie sehr diese Überschrift auch für die Brandbekämpfung zutrifft, wird in Flash Point rasch offensichtlich. Was aber nicht bedeutet, dass Planung sinnlos wäre! Vielmehr dient sie, trotz vielfacher Ablenkung und ad hoc Priorisierung anderer Teilziele, als grobe Richtschnur, die dann auch immer mal wieder überprüft werden sollte, um auf veränderte Situationen flexibel zu reagieren. Und die verändern sich schnell, die Situationen.

Eines der Highlights des grossen Ko-op-Bruders Pandemie ist zweifellos dessen Mechanik zur Ausbreitung der Seuchen. Einmal befallene Regionen werden dabei immer wieder „aufflammen“, was mit einfachsten Mitteln reale Gegebenheiten der Seuchenbekämpfung simuliert. In Flash Point wird stattdessen gewürfelt, das so bestimmte Feld ist von der Feuerausbreitung betroffen.

Was sich im ersten Moment enorm zufällig anhört, simuliert mit ebenso einfachen Mitteln die Realität der Brandbekämpfung. Eine der grossen Gefahren besteht dabei nämlich darin (laut Auskunft von Personen, die deutlich mehr Ahnung davon haben als ich), dass sich Brände in Gebäuden tatsächlich (beispielsweise entlang von Leitungen) unentdeckt ausbreiten und plötzlich an unerwarteten Stellen ausbrechen und Feuerwehrleute einschliessen können. Völlig ausgeliefert ist man dem Würfelzufall aber auch in Flash Point nicht, denn freundlicherweise fängt so eine neue Brandstelle erst mal an zu qualmen. Meistens. Nicht immer. Nämlich dann nicht, wenn auf dem erwürfelten Feld bereits Rauch liegt. In diesem Fall brennt’s sofort.

Und was passiert, wenn auf dem erwürfelten Feld nicht Rauch, sondern bereits ein Feuerchen kokelt, fragen sich die Aufmerksameren unter euch? Gute Frage! In diesem Fall macht’s sofort BUMM, was bedeutet: Es kommt zu einer Explosion. Die sind unangenehm, denn sie breiten das Feuer von diesem Feld in alle vier Richtungen aus. Und da man diese Feuerphase nach dem Zug jeder Spielerin abhandelt, kann der Grundriss recht rasch mit entsprechenden Markern übersät erscheinen und uns vor zunehmend ernsthafte Probleme stellen. Gefahrenstoffe und Brandherde können im Expertenspiel jede Runde zu zusätzlichen Explosionen führen, aber diese Details erspar‘ ich euch mal, sonst haut ihr noch resigniert ab.

Mit der Ausbreitung des Feuers ist es noch nicht getan! Nach dem BUMM kommt nämlich das WOOOSH! Gemeint ist damit die „Durchzündung“ oder noch praxisnaher ausgedrückt: Liegt irgendwo Rauch direkt neben Feuer, wird er jetzt sofort zu Feuer, was durchaus Kettenreaktionen auslösen kann.

Mit Schlauch und Hackebeil

Was man all dem entgegenzusetzen hat, fragt ihr? Glücklicherweise neben reinem Heldentum eine ganze Menge. Grundsätzlich verfügt jedes Teammitglied über vier Aktionspunkte, die man in der eigenen Runde beliebig einsetzen und sogar ansparen kann. Wenig überraschend: Man darf sich bewegen (1 Punkt) oder eine Tür öffnen (ebenso). Dank Ausrüstung darf man sogar, wie in unserem Traum, durchs Feuer latschen. Das kostet dann aber zwei Aktionspunkte, drauf stehen zu bleiben liegt aber nicht drin. In diese Bewegungskategorie gehört auch das Retten von Personen, die wir galanterweise zu erhöhten Bewegungskosten tragend nach draussen geleiten.

Wem die offiziellen Wege zu weit sind, macht auf Jack Nicholson und axtet sich kurzerhand durch Wände: Für zwei Aktionspunkte legt man einen schwarzen Schadensmarker auf einen Wandabschnitt, liegen dort zwei davon, hat man einen praktischen neuen Durchgang geschaffen. Hatte ich erwähnt, dass das Gebäude einstürzt, sobald sich sämtliche Schadensmarker auf dem Brett befinden? Da dazu auch Explosionen fleissig beitragen, muss man sich schon gut überlegen, ob und wo sich entsprechende Umbauarbeiten wirklich lohnen.

Und dann wäre da noch unser eigentliches Kerngeschäft: WASSER MARSCH! Für einen Aktionspunkt dreht man einen angrenzenden Feuermarker auf die Rauchseite, und da sich das nur in Ausnahmefällen lohnt (wegen WOOOSH! und so) macht man dem Rauch meist mit einem weiteren Punkt vollends den Garaus.

Positiv ist auch: Als Feuerwehrleute haben wir uns offenbar an Brandwunden gewöhnt. Werden wir selber von Feuer überrascht, sterben wir (anders als die zu rettenden Personen) nicht, sondern wachen beim Krankenwagen wieder auf und sind für den nächsten Einsatz bereit. Die dadurch verlorene Zeit ist allerdings dennoch Motivation genug, solchen Direktkontakt zu vermeiden.

Die Spezialistenrollen im Expertenspiel verändern Aktionskosten, die persönliche Anzahl der Aktionspunkte oder liefern teilweise komplett neue Aktionsmöglichkeiten. Was man in jedem Fall rasch zu schätzen lernt, ist das ausgesprochen kooperative Element: Die Stärken der Spezialisten sind in Flash Point der Schlüssel zum Erfolg – jeder hat seinen Job zu erledigen! Mit einfachen Regeln werden in diesem Spiel Teamwork und umsichtiges Vorgehen realer Einsätze simuliert und belohnt.

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Vier Spezialisten aus dem Grundspiel: Der Alleskönner darf jede Runde 5 Aktionspunkte verbraten, eine Wärmebildkamera ist praktisch, um Fehlalarme aufzudecken und so unnötige Wege zu vermeiden. Der Fahrzeugmaschinist darf relativ günstig und treffsicher das Löschfahrzeug benutzen, die Rettungssanitäterin mobilisiert verletzte Personen, die sich dadurch leichter evakuieren lassen.

Wenn man Flash Point etwas vorwerfen kann, dann den Umstand, dass es eher zu leicht ist. Moment mal! Ruft ihr aus, „Was soll das denn nach dem ganzen Gedöns oben jetzt heissen?“ Nun, ich meine damit, dass man zwar in den ersten Partien möglicherweise gnadenlos untergehen wird. Sobald man jedoch gewissermassen das Handwerk erlernt und sich Strategien der Brandbekämpfung angeeignet hat, wird man Wege finden, Risiken zu minimieren und dennoch einen effizienten Löscheinsatz hinzulegen, so dass das Grundspiel mit seinen zwei Spielplänen bald nicht mehr die gewünschte Herausforderung bietet. (Ja, ich schaue dich dabei an, Maschinist! Der Herr flutet nämlich regelmässig aus sicherer Distanz vom Löschfahrzeug aus den kompletten Einsatzort, so dass die resultierenden Wasserschäden eventuelle leichte Brandflecken im Teppich deutlich übertreffen.)

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Falls das ein Fahrzeugmaschinist sein sollte, löscht er das Ding praktisch im Alleingang. Alle anderen: Schwimmwesten anziehen!

Glücklicherweise kann auch fortgeschrittenen Einsatzkräften geholfen werden! Eine ganze Reihe erhältlicher Erweiterungen zieht die Schrauben wieder fast nach Belieben an! Neben zusätzlichen Mechanismen wie Fenstern, Leitern, Brandschutztüren oder wärmeleitenden Strukturen warten auch neue Spezialisten und aufregende Spielpläne auf euren Löschzug. Mehrstöckige Gebäude, ein Chemielabor, ein Flughafen, der Frachtraum eines Schiffes oder gar ein U-Boot gilt es zu retten, die Schwierigkeitsgrade reichen dabei von „Sollte zu machen sein…“ bis „UAAAAAH“! Für Brennstoff ist also auf längere Sicht gesorgt.

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Als Erweiterung darf man sogar in die Rolle eines Rettungshundes schlüpfen. Löschen kann der logischerweise nicht, dafür rennen!

Hinter Flash Point stehen ein nach wie vor sehr aktiver Designer und eine ebenso ethusiastische Fangemeinde. Dies zeigt auch das kürzlich höchst erfolgreich abgeschlossene Kickstarterprojekt für die neue grosse Erweiterung Tragic Events. Es wäre dem Spiel zu gönnen, wenn es sich noch ein wenig stärker zum Flächenbrand entwickeln könnte – ich übernehme dabei persönlich und ohne schlechtes Gewissen gern die Rolle des Pyromanen.

5 comments

  1. Sehr schön zu lesen! Ich kann alles nur unterwass ähh unterstreichen was hier geschrieben wurde!

    Ich selber habe es letztes Jahr bekommen und es gegen 21 Uhr ausgepackt und dann gleich 3 mal bis 1 Uhr gespielt… .
    Alles an dem Spiel finde ich gut. Qualität stimmt, Familientauglich. Für Kinder sowieso(hier sollte man schauen welches Alter damit man nicht erklären muss warum das Spiel vorbei ist^^) und es gibt genug Zusatzmaterial.
    Selbst meine Freundin fand es auf Einfach zu Einfach und wollte es nie wieder spielen, aber ich habe gesagt „Du denkst das war einfach? Schau mal hier…“ *Alle Erweiterungen Zeig* *Sie kriegt große Augen und sagt: „Ok nächstesmal bitte schwieriger!“ *

    Ein Perfektes Spiel für mich!

    1. Danke für das Lob und Deinen Kommentar! Aber pass bloss auf: „Selbst meine Freundin…“? Dafür kannst Du in Teufels Küche geraten… 😉

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