Wie steigert man „gross“? Gross, Gloomhaven, Mechs vs. Minions! Die Schachtel von Gloomhaven ist ja schon ein ordentlicher Kasten, jene von Mechs vs. Minions braucht aber noch mehr Platz im Spieleregal und ist zudem prall gefüllt mit edelsten Komponenten. Lässt sich damit nur prima protzen – oder auch klotzen?

Ich verliere ja sonst nur ungern viele Worte über die Ausstattung eines Spiels, wenn diese nicht besonders enttäuschend oder herausragend ist. Angesichts der imposanten Erscheinung von Mechs vs. Minions (Chris Cantrell u.a., Riot Games) müssen wir aber einfach erstmal über den Protzaspekt sprechen. Die Schachtel ist riesig, so solide wie es ihr Metallkistenlook suggeriert und wird von einem Logo im Prägedruck geziert. Bereits hier zeigt sich auch die Liebe zum Detail: Die äussere Verkleidung des unteren Schachtelteils ahmt eine mechanische Konstruktion nach, so dass man beim Anheben des Deckels eigentlich schon das Zischen einer Hydraulik erwartet. Die Enttäuschung darüber, dass dann trotzdem nur das altbekannte – wenn auch tiefer gestimmte – Furzgeräusch draus wird, macht der erste Blick ins Innere vergessen:

Eine solch luxuriöse Inlay-Konstruktion ist mir persönlich ja noch nie untergekommen. Alles hat seinen vorgeformten Platz in einer der Plastikverschalungen, die Mechs ihre eigene Privatsuite und jedes der hundert Scherglein sein Kämmerlein. Zugegeben, die Minions hätte man genausogut in ein einzelnes, grosses Abteil häufen können, was auch den Aufbau- und Abräumprozess beschleunigen würde. Aber auf die zwei Minuten kommt es mir persönlich nicht an. Das ist für mich oft ähnlich wie beim Abspann eines Kinofilmes: Statt eines abrupten Endes kann das Spiel so noch etwas nachwirken – warum hetzen?

Auch die eigentlichen Spielkomponenten überzeugen durchwegs: Die Mechs sind komplett bemalt, die Minions haben immerhin einen „Wash“ erhalten (zum Akzentuieren der Details) und kommen in vier Varianten daher, dazu gibt es u.a. noch Karten mit Leinenfinish, Metallrunenmünzen, doppelseitige Spielbretter und (sehr gross(zügig)e) Spielertableaus aus superdickem Karton sowie die jeweils in äusserst stimmige Top-Secret-Umschläge verpackten Missionen – und eine ominöse Box, aus der eine fette Axt herausragt, mit deren Öffnen aber noch zugewartet werden soll. Bei soviel pompösem Material dürfte klar sein, dass zum Spielen auch ein entsprechend grosser Tisch von Nöten ist. Zumindest, wenn man zu viert spielen möchte – was ich auch empfehlen würde. Zwar ist Mechs vs. Minions rein kooperativ und lässt sich auch zu zweit (oder alleine, aber mit mehreren Mechs) spielen, aber wenn ihr die Möglichkeit habt, setzt euch mit drei weiteren Mitspielern hin: Vier Mechs und vier Piloten sorgen für mehr Chaos, und Chaos ist hier gleichbedeutend mit Spielspass.

A propos Spielspass: Was macht man nun mit all den hübschen Sachen? Mechs vs. Minions basiert thematisch auf dem extrem erfolgreichen MOBA-Videospiel League of Legends. Nie gespielt? Macht nichts, denn mechanisch haben die beiden nichts gemeinsam und Vorkenntnisse sind absolut unnötig. Das Brettspiel funktioniert nämlich ganz einfach: Zu Beginn jeder Runde wählen wir jeweils eine Befehlskarte, mit der wir unseren Mech programmieren können. Dazu stecken wir diese einfach in eins der sechs Fächer unseres Tableaus – entweder in ein leeres, um damit einen neuen Befehl hinzuzufügen, oder in ein bereits besetztes, um den dortigen Befehl aufzumotzen. Diese Befehle bestimmen letztendlich, wie wir unsere Mechs auf dem Spielbrett bewegen können und welche Angriffsmanöver wir mit ihnen ausführen.

Und ab hier wird’s lustig. Wenn ich dran bin, führe ich meine Befehlszeile von links nach rechts aus. Das hört sich dann etwa so an: „Also… zuerst bewege ich mich ein Feld nach rechts. Dann um zwei nach vorne, bevor ich die Felder links und rechts von mir abfackle. Nun drehe ich mich um 90 Grad nach links und danach elektrisiere ich diagonal zwei Felder weit. Jetzt würde ich einen Minion vor mir rösten und von diesem ausgehend diagonal noch ein Feld weiter ebenfalls, da steht aber leider keiner. Zuletzt schiesse ich noch geradeaus und kille so noch den Knorrli dort hinten. Fertig.“ Ja, das kann einem bisweilen schon etwas den Kopf verdrehen – besonders in der Planung.

So weit, so Gemetzel. Aber nun sind die Minions am Zug, die sich zuerst nach einem vom Szenario vorgegebenen Muster bewegen und anschliessend Verstärkung erhalten. Sollte sich nun einer oder mehrere dieser axtschwingenden Knirpse neben meinem Mech befinden, ziehe ich für jeden eine Schadenskarte. Diese führen allerdings nicht dazu, dass ich Lebenspunkte verliere (Spieler-Eliminierung gibt es nicht), sondern überschreiben sozusagen meine minutiös programmierte Befehlszeile – quasi wie ein Computervirus. Dabei werden einige Schäden einmalig abgehandelt (etwa das Vertauschen von zwei oder mehr Fächern), viele sind jedoch permanent und ersetzen ab sofort den entsprechenden Befehl. So kann es durchaus dazu kommen, dass ich zunehmend die Kontrolle über meinen Mech verliere und – statt fein säuberlich koordinierte Zerstampf- und Angriffskombos auszuführen – nur noch unkontrolliert über das Spielfeld stolpere und mich dabei im Kreis drehe.

Aber sorgt euch nicht, tapfere Mechpiloten und –pilotinnen: Wer so eine Konstruktion steuern kann, weiss auch, wie sie zu reparieren ist! Die Befehlskarten, die ihr zu Beginn einer neuen Runde zieht, haben alle eine optionale Ersatzfunktion: Statt sie zu programmieren könnt ihr sie abwerfen und so entweder zwei Fächer vertauschen oder eine Fehlfunktion beheben. Ebenfalls hilfreich sind die zwei Sonderaktionskarten, die ihr auf jede Mission mitnehmen dürft, sowie die jedem Charakter eigene und immer wieder durchführbare Overdrive-Aktion, die freigeschaltet wird, sobald wir als Team ein paar Dutzend Minions geplättet, aufgespiesst, zersägt, geröstet oder per Stromschlag verbrutzelt haben.

Klingt brutal? Ist es aber eigentlich nicht. Die cartoonhafte Aufmachung, welche sowohl die Spielfiguren als auch die Kartenillustrationen auszeichnet, macht Mechs vs. Minions absolut familientauglich. Die Missionen weisen ausserdem eine gewisse Fehlertoleranz auf (für Vielspieler und Orientierungsstarke dürften sie sich teilweise gar zu leicht anfühlen), so dass der eigene Kopf das Rauchen getrost dem Mech überlassen kann. Mich als Ebensovielspieler und – würde ich jetzt mal behaupten – relativ orientierungssichere Person stört das bei diesem Spiel allerdings so gar nicht. Im Gegensatz zu anderen Programmierspielen wie Space Alert (komplexes Aktions- und Regelflechtwerk, noch dazu der Zeitdruck) oder RoboRally (aufgrund des kompetitiven Charakters schnell mal frustrierend für Leute, zu deren Stärken räumliches Denken nicht gehört) kann man sich zu Mechs vs. Minions mit Leuten (fast) aller Alters- und Spielerklassen hinsetzen und es werden auch alle ihren Spass haben: Die Regeln werden nach und nach eingeführt und sind dabei so geradlinig und intuitiv, dass man innert kürzester Zeit ganz darin versunken ist, Minions umzumähen, sich gegenseitig für besonders effektive Befehlskombos zu highfiven und über die ungeschickten Manöver von Freund und Selbst zu lachen.

So, jetzt aber noch die negativen Aspekte. Der Preis? Ok, 75 Euro sind nicht grad wenig, aber allein Materialwert und -wertigkeit lassen diese Summe wie ein Schnäppchen wirken – die grossen, glänzenden Augen von Brettspielneulingen und -liebhabern sowie der Spielspass tun dann ihr übriges. Der Hype? Wie immer etwas nervig, aber in diesem Fall nicht ungerechtfertigt. Alphaspieler-Syndrom? Ha ha ha! Nur zu, probier mal von deiner Warte aus die Züge der anderen Mechs zu planen. Weitere Fragen? Ja, du dort hinten mit dem „I trees“-T-Shirt?
„Ist es also ein Legacy-Spiel?“
Nein! Zwar bestreitet man eine fortlaufende Kampagne, aber es wird nichts zerrissen oder zerklebt, die freigeschalteten Extras sind nummeriert und lassen sich wieder in ihre Umschläge zurückstecken, der Ursprungszustand quasi wieder herstellen.
„Ähm… nun… die Schachtel… braucht so viel Platz im Regal?“
Pha! Sie hat ihn auch verdient! Und sonst könnt ihr damit auch prima euren Sofatisch ersetzen:

Mittlerweile ist auch die deutschsprachige Version (sowie ein deutsches Upgrade-Pack für die englische Ausgabe) erschienen und bestellbar.
Auch auf Deutsch verfügbar sind das missionsbegleitende Hörspiel sowie die Regeln und Missionsbeschreibungen in PDF-Form.
Ich kann ja noch(! ;)) nichts zum Spielkonzept und – gefühl von Mechs vs. Minions sagen aber irgendwie – auch wenn ich kein MOBA-Fan bin – finde ich es ein bisschen schade, dass sie es nicht näher an deren Konzept gehalten haben und es z.B. zu einem 2 vs. 2 oder gar 3 vs. 3 Spiel gemacht haben.
Aber das Material konnte ich schon begutachten und das ist wirklich erste Klasse (ist das jetzt das äquivalent zu grafikgeilen Gamern? :D) und liebevoll gemacht.
PS@SGP: Ich freue mich schon auf eine Runde. #winkmitzaumpfahl 😉
Einen Team-vs-Team-Modus fände ich auch witzig. Wäre eine gute Idee für eine Erweiterung! Und ich glaube, so viel müsste da gar nicht angepasst werden.
Du bist jederzeit willkommen. Weisst ja, wo ich wohne, hehe!
Ach ja: PS: Wurde aber auch Zeit mit dem Artikel, gopferdammi! 😛
Wem sagst Du das 😛
Der Grat zwischen motivierendem Frotzeln und eskalierendem Piesacken ist schmal, meine Freunde, sehr schmal!
Lass uns das auf dem Feld der Ehre klären!
Yo MUWINSer 😀
Frage: Taugt MvM zu dritt? Meine Kerngruppe spielt meist in Dreierbesetzung so dass wir auf Spiele angewiesen sind, die zu dritt gut rollen
Habs nur zu viert gespielt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das problemlos auch zu dritt klappen müsste. Der Spieler-Anzahl-Anpassungs-Mechanismus ist ganz einfach: Von den 5 Karten, die zu Beginn der Runde ausgelegt werden, zieht reihum jeder eine, bis 4 gezogen wurden. D.h. der erste Spieler kriegt in eurem Fall jeweils 2 und wird so schneller besser, was das Handicap des einen Spielers weniger ausgleicht.