Nukleare Apokalypse, Überlebende in Bunkern auf der Suche nach den immer spärlicheren Ressourcen, rivalisierende Gangs, Überreste der Zivilisation… Das klingt stimmungsvoll und irgendwie nach der Hintergrundgeschichte eines recht bekannten, nicht mehr ganz zurechnungsfähigen Herrn namens Max. Allein diese Assoziation erhöht zusätzlich die Erwartungen der Spielenden hinsichtlich Interaktion und Spielgefühl, und nach Möglichkeit sollte sich beides irgendwie ein klein wenig „dreckig“ anfühlen. Wird Outlive von Grégory Oliver (La Boîte de Jeu) diesem Setting und den damit verbundenen Erwartungen gerecht?
Die erste Besonderheit steht bereits vorne auf der Schachtel. Welcher andere Spieltitel besteht lediglich aus einem Verb? Beim ersten Durchlesen des Regelhefts entsteht allerdings zunehmend der Verdacht, dass das vom französischen Publisher gar nicht wirklich so beabsichtigt war, denn es wird schnell offensichtlich, dass das englische Regelheft nie auch nur in Nähe der Sichtweite einer nativ englischsprachigen Person gelangt ist. Alles ist zwar verständlich, immer wieder bleibt man beim Lesen aber an Fehlern hängen, die durch offensichtlich ungenügende Sprachkenntnisse begründet sind. Sowohl Häufigkeit als auch Art der Fehler setzen sich leider auch auf dem eigentlichen Spielmaterial fort. Anyway – kein Dealbreaker, aber doch seltsam, dass ein Verlag hier nicht mehr Sorgfalt walten lässt.

Ansonsten lässt sich am Material – zumindest der „Collector Edition“ (sic!) – im Durchschnitt nichts aussetzen. Im Durchschnitt? Ja, denn einige Entscheidungen des Verlags muten auch diesbezüglich ein wenig seltsam an. So wurden etwa drei verschiedene Kartonstärken für die unterschiedlichen Tokens und Plättchen verwendet, die sozusagen von meterdick bis haarfein reichen. Beide Extreme wären eigentlich unnötig, das untere Ende ist sogar ein wenig unschön.

Aber Schluss mit den Haarspaltereien, denn ja: Sieht man sich das Ganze in aufgebautem Zustand an, dann beeindruckt Outlive durchaus. Die Fülle an Material lässt sogar die dennoch massiv überdimensionierte Box vergessen, die locker auch noch ausreichend Platz für ein komplettes zweites Spiel bieten würde.

Im Spiel selber hat man seine im Untergrund lebende Kolonie zu managen, nach sechs Runden wird die erfolgreichste unter ihnen von einem vorbeifahrenden Konvoi aus der dubiosen Nachbarschaft verfrachtet – und gewinnt damit die Partie. Erfolgreich zu sein, bedeutet: Man hat am wenigsten unter der ansteigenden Radioaktivität gelitten, möglichst viele Bunkerräume eingerichtet, Gegenstände repariert und Überlebende um sich geschart.
Zu Beginn einer Partie besteht der eigene Keller (dargestellt durch persönliche Tableaus) aus einer Luftschleuse, drei weiteren Standardräumen, die für alle Spieler identisch sind, sowie jeweils vier weiteren Räumen, die man aus sechs zufällig verteilten auswählt. Ebenso entscheidet man sich für einen von zwei zufällig zugeteilten Anführern, die auch gleich einige Rohstoffe und defekte Gegenstände mit in den Bunker bringen.

Jede Runde wird ein Ereignis aufgedeckt, danach folgt die Aktionsphase. Während der anschliessenden Nachtphase muss die radioaktive Strahlung abgewehrt werden, danach gilt es die Bunkerbewohner zu verpflegen, neues Personal anzuheuern, weitere Räume zu bauen und Gegenstände zu reparieren. Schliesslich verdirbt übriges eingelagertes Essen, ausser, es handelt sich um Konserven. Was nach einer Menge klingt, ist tatsächlich schnell erledigt, da letztlich die Früchte der vorangegangenen Aktionsphase geerntet werden und alle Spielenden gleichzeitig agieren können.

Die meiste Zeit des Spiel verbringt man in der erwähnten Aktionsphase auf dem Hauptbrett. Dort schickt man seine Mann- und Frauschaften von Ort zu Ort, um ortsabhängige Aktionen auszuführen. In den Wäldern findet sich jagbares Getier, die verlassenen Städte lassen sich nach allerlei Materialien durchsuchen, im Containerschiff liegen Dosenfutter sowie der eine oder andere zusätzliche Überlebende, beim Jahrmarkt lassen sich „Mikrochips“ abgreifen (bei den entsprechenden Tokens handelt es sich definitiv um Grafikkarten), beim Staudamm kriegt man Wasser, muss dieses allerdings vorher mit Hilfe von grafikkartenförmigen Mikrochips (!) „entstrahlen“…

Abgesehen von den thematischen Problemen: Kommt Euch das mit den Orten, den herumziehenden Banden und den ortsbezogenen Aktionen vielleicht ein wenig bekannt vor? Ja, richtig – das hat etwas vom hier kürzlich besprochenen Sons of Anarchy. Weitere Parallelen sind offensichtlich: Die zu Beginn jeder Runde gezogene Ereigniskarte mit Auswirkungen auf alle Beteiligten, das gesetzlose Umfeld, die gegnerischen „Dudes“, die direkt konkurrierenden Interessen und das Potential zu ebenso direkten Konflikten, wenn zwei das Gleiche wollen. Thematisch würde man von Outlive sogar noch ein wenig mehr „Hauen und Stechen“ erwarten, schliesslich geht es hier nicht nur um schnöde Profite, sondern ums nackte Überleben. Dazu kommt ein noch gesetzloseres Umfeld als jenes in Charming, mit einem umfangreicheren Waffenarsenal (Baseballschläger, Handgranaten, Kettensägen, Äxte…) als bei den Sons (die bieten lediglich Pistolen). Doch Vorsicht: Schliesslich stammt Outlive anders als Sons of Anarchy von einem europäischen Verlag! Wird der sich trauen, auch mal auf den Tisch zu hauen, das Erbsenzählen bleiben zu lassen und den Spielenden die Tools in die Hand zu geben, ihren inneren Schweinehund nach Herzenslust apokalyptisch ausleben zu dürfen?
Er traut sich leider nicht!
Ja, theoretisch gibt es die Möglichkeit, den Sammlertrupp einer anderen Spielerin unter Druck zu setzen und ihr Materialien abzujagen, indem ich einen meiner Trupps zu einer schwächeren, in dieser Runde aktivierten (!) gegnerischen Sammlercrew stelle. Gleichzeitig sind aber die Bewegungsregeln so gestaltet, dass man schon genug damit zu tun hat, die einzuhalten, um überhaupt alle eingeplanten Orte ansteuern zu dürfen (Beispielsweise darf meine gerade aktivierte Sammlergruppe nicht an einen Ort reisen, der noch von einer meiner inaktiven Gangs besetzt ist. Die müssen zuerst da weg bewegt werden, falls ich den Ort in dieser Runde erneut benutzen will. Thematisch macht das keinen Sinn, und es schränkt die Bewegungsoptionen stark ein). Gelegenheiten für gezielte Angriffe sind dementsprechend rar.

Kommt es zur „Auseinandersetzung“, muss die Stärkedifferenz (ohne Modifikatoren maximal 2) von der angegriffenen Spielerin in Rohstoffen (sie wählt, welche) an den Angreifer überwiesen werden. Es sei denn, sie setzt Munition ein. Und ja, Munition lässt sich ausschliesslich DEFENSIV (!) verwenden – und zur Jagd! Gewehr und Handgranate (!) sogar lediglich dazu (also dann eher „Jagdgranate“??), Kettensäge und Axt ausschliesslich zum Materialsammeln. Nur der Baseballschläger, der erhöht den eigenen Angriffswert. Mir scheint, unser Verhaltenskodex sollte angesichts der prekären Umstände dringend überarbeitet werden…

Es ist möglich, dass man seine Crew mit passenden Gegenständen und Ausrüstungen (sofern man die findet) ein klein wenig offensiver „tunen“ kann, doch da tritt das zweite Problem in dieser apokalyptischen, strahlenverseuchten, kargen Welt auf:
Sie ist überhaupt nicht karg, diese Welt!
Es mag mal vorkommen, dass man nicht ganz alles kriegt, was man sich vorgenommen hat, und deshalb eventuell ein oder zwei Gemeindemitglieder aufgrund von Versorgungsmangel verliert, in den meisten Fällen lässt sich das Benötigte aber relativ problemlos beschaffen, so dass man nie wirklich stark unter Druck gerät. Natürlich gewinnt nur einer, und der Druck entsteht letztlich auch aus dieser Konkurrenzsituation, doch das gilt ebenso für Spiele, die von florierenden Bauernhöfen, Steinzeitdörfern oder terraformenden Hexen handeln – von einem apokalyptischen Szenario würde ich nun mal Anderes erwarten.

Letztlich bietet Outlive, trotz sexy Thema und ansprechender Optik, recht biedere Hausmannskost, bei der in erster Linie optimiert und durchgerechnet wird und man primär mit sich selber beschäftigt ist. „Materialschlacht statt Strassenschlacht“, lautet das Motto. Wer so etwas mag, darf auch bei Outlive zugreifen – er oder sie erhält ein funktionierendes Spiel (mit nur leichten Sprachproblemen), das bei entsprechender Neigung sicher nicht schlechter unterhält als viele andere seiner Eurofamilie. Immerhin trägt es keinen Städtenamen und es BEMÜHT sich, das Thema umzusetzen – scheitert dabei aber letztlich an den selbst auferlegten Grenzen des klassischen Euro-Genres.
Falls wir MUWINSer mal wieder Lust haben, uns in gesetzlose Gefilde zu begeben und uns gegenseitig mit Waffengewalt zu drohen, bleiben wir lieber bei den unprätentiösen Sons…
Das Coverartwork fand ich ja schon cool – da habe ich wirklich gehofft, dass eine begeisterte Rezension drunter stehen wird. Schade.
Das hab‘ ich auch gehofft, musste dann aber leider eine Andere schreiben. Aber wir haben ja noch weitere Rezis im Angebot… 😉
Danke für Deinen Kommentar!
Als Mitspieler der Runde … ja, thematisch und vom Artwork her ist das Spiel super getroffen. Material fand ich auch OK, mal abgesehen von den leichten Sprachproblemen und dem relativ zur Grösse des Spielbretts etwas knapp bemessenen Tisch.
Aber ja, das Spiel krankt (wie viele Euros) am ‚vor sich hinspielen‘, den fehlenden Möglichkeiten, direkt anzugreifen … und an der zu reichhaltigen Welt. Mal als Idee – wenn die Welt nur die Hälfte der Ressourcen hätte, und mehrere aktive Gruppen in einem Gebiet erst mal um die Ressourcen kämpfen müssten (oder sich absprechen, wer was kriegt – wenn kein Konsens erreicht wird, siehe Punkt 1), dann wäre das deutlich fieser, interaktiver, gemeiner, interessanter 😉
Einverstanden… nur spielt man dann eben praktisch Sons of Anarchy 😉
Das von Michi beschriebene Spiel würd ich ohne zu zögern zocken.
Schade. Da hat sich wohl jemand nicht genau entscheiden können in welche Richtung das Spiel gehen soll. Mir geht es ein wenig wie verspielterezessionen: Bei dem tollen Artwork auf der Schachtel und den kleinen Minischachteln habe ich mir mehr erhofft.
Leider scheint es aber ein Euro zu sein (welche ich im Gegensatz zu den meisten Muwinser eigentlich ganz gerne mal spiele) welches versucht auf böse/düster zu machen. Und wer mich kennt weiss dass ich düster und böse nicht abgeneigt bin (im Gegenteil!) aber bei einem klassischen Euro spiele ich dann doch lieber ein positiveres Szenario.
Und wie Beni schon erwähnt hat: So kann man auch bei Sons bleiben.
So, nach der kleinen Twitter-Diskussion mal ein paar Worte zu meinem Spielgefühl. Ich kann das Spiel an sich nicht richtig beurteilen, weil ich es erst einmal gespielt habe. Mir kommt es aber bei der Review so vor als wären die Erwartungen aufgrund des Themas und dem Vergleich zu Sons, sehr stark negativ in das Spielgefühl eingeflossen.
Grafikkarten, es scheint ein echter Schock gewesen zu sein, sehen in der normalen Version anders aus. Die Tokens die ich gesehen habe, waren zumindest Microchips.
In unserem Spiel waren in den ersten drei Events so heftige Einbußen, das es uns bis zur fünften Runde, also fast das ganze Spiel über, drangsaliert hat. Es wurden erst die Ressourcen dezimiert. Das Event habe ich erstmal bewusst gelassen, als taktisches Element, weil ich dachte ich komme in der negativen Spielsituation besser zurecht. (Taktische Entscheidung). Die anderen haben die Ressourcen nicht so ganz hinbekommen, bzw. den Fokus anders gesetzt. Denke es ging eher darum das Event in der zweiten Runde zu tilgen. Dann kam das Event das alle Worker nur noch eine Stärke von drei haben. Also eh weniger Ressourcen und dann zusätzlich weniger zum einsammeln. Da der Malus nicht beim Kämpfen gilt, wurde das plötzlich relativ attraktiv. Es folgten das automatische sterben von Bunkerbewohnern und die Erhöhung der Radioaktivität und „Kampfstärke“ der Tiere.
Ich kann euch sagen, es war ein ziemlich fieser Überlebenskampf. Überhaupt genug Nahrung zu erhalten mit dem Malus, dazu irgendwie noch ausbauen. Es war sicher unserer anfänglichen Taktik mit den Events und deren Auswahl geschuldet, aber so steigt man emotional natürlich völlig anders in das Spiel ein. Thematisch hat das Spiel, außer fiesen brutalen stetigen Kampf gegen andere, was man mit der Mad-Max-Erwartung dann halt hat, alles erfüllt. Da ich mir in anderen Spielen oft genug fies auf die Mütze haue, fand ich das sogar ziemlich erfrischend.
Was mich hingegen ziemlich gestört hat, ist die letzte Runde. Hier ist es im Prinzip nur noch wichtig möglichst viel Nahrung zu beschaffen und seinen Bunker mit Leuten vollzustopfen. Damit lassen sich so viele Punkte machen, das es sinnvoll sein kann sich sogar in der vorletzten Runde schon darauf vorzubereiten und sich dem eigentlich Überlebenskampf und Ausbau zu entziehen um dann in der letzten Runde, nach der Nahrungsversorgung, wie blöd Leute „einzustellen“.
Die anderen Mitspieler hatten das Spiel übrigens schon öfters (2 bis 3 mal) gespielt und meinten schon das es diesmal aufgrund der Events anders war. Ich gebe zu, wenn jeder in Ressourcen schwimmt und man sich munter sein Bunker ausbaut und die einzige Sorge im Spiel ist die eigene Bewegung, dann schwächelt das Thema.