Treffen sich ein Philanthrop, ein Mutant, ein Vakuum, ein Gedankenleser und ein Parasit im Weltall… Was sich wie der Anfang eines – wenn auch unüblich besetzten – Witzes anhört, ist in Tat und Wahrheit eine äusserst ernste Angelegenheit: Denn bei dieser kosmischen Zusammenkunft geht es um nichts weniger als das Auskäsen der Universalherrschaft!

Cosmic Encounter ist ein konfliktfreudiges Spiel für 3-5 (oder auch bis 6 – je nach Ausgabe) Spieler, welches heuer bereits seinen 40. Geburtstag feiert – ein Zeitraum, der für menschliche Verhältnisse ungefähr ein halbes Leben bedeutet. In der Brettspielwelt jedoch gehört man mit dieser Zahl auf dem Buckel nicht mal mehr zum alten Eisen, beträgt in der aktuellen Ära des „Cult of the New“ die Halbwertszeit der meisten Veröffentlichungen doch gerade noch ein Erdenjahr. Dass sich Cosmic Encounter trotz seines folglich methusalem’schen Alters noch durchaus frisch und knackig anfühlt, dürfte vor allem zwei Gründe haben: Einerseits wurde es mehrmals neu aufgelegt und angepasst (zuletzt 2008 durch Fantasy Flight, unter Aufsicht von Kevin Wilson), andererseits sorgen das Spielkonzept und die 50 im Grundspiel enthaltenen, mit gänzlich asymmetrischen Spezialfähigkeiten ausgestatteten Alienrassen nach wie vor für unterhaltsame und sich immer wieder anders ausspielende Zusammenkünfte im (Mikro)Kosmos irdischer Spielerunden.

Eine Partie beginnt damit, dass sich jeder für eine von zwei zugelosten Spezies entscheidet. Mit dieser bzw. deren UFO-Armada bevölkert man nun sein heimatliches Planetensystem. Während seines Zuges führt ein Spieler dann eine in mehrere Phasen gegliederte „Herausforderung“ durch. Dazu schickt er mittels Hyperraumportal einige seiner Schiffe zu einem gegnerischen Planeten, mit dem Ziel, dort eine Kolonie zu errichten. Da es sich bei diesen Portalen um eine uralte Technologie handelt, die zwar immer noch wunderbar funktioniert, deren Kontrolle sich jedoch den heutigen Universumsbewohnern entzieht, entscheidet das Schicksal (bzw. der Schicksalskartenstapel) wohin die Eroberungsreise führt.

Einmal angekommen, dürfen sowohl die Invasoren als auch die existenzbedrohten Noch-Besitzer ihre Mitspieler um tatkräftige Unterstützung im Kampf bitten. Stehen die Allianzen dann fest, geht’s an die Laserkanonen: Die beiden Hauptakteure spielen verdeckt je eine Angriffs- oder Verhandlungskarte. Entscheiden sich beide fürs Ballern, wird der Wert der Karte zur Anzahl Raumschiffe auf der eigenen Seite addiert und die feuerkräftigere Flotte gewinnt. Wenn jedoch beide eine Verhandlungskarte spielen, haben sie nun eine Minute Zeit, sich auf einen Deal zu einigen. Sollte schliesslich nur eine Partei verhandeln wollen, verliert diese das Gefecht automatisch, wird aber dafür kompensiert. Bei erfolgreicher Verteidigung gehen sämtliche Schiffe des Angreifers sowie jene seiner Verbündeten verloren und an den Besitzverhältnissen des Planeten ändert sich natürlich nichts. Gelingt die Invasion hingegen, wird der bisherige Machthaber enteignet und sowohl der Hauptaggressor als auch seine Mitstreiter dürfen eine Kolonie auf dem Planeten einrichten. Eine geglückte Verhandlung bzw. ein ebensolcher Angriff erlaubt es dem aktiven Spieler, eine zweite Herausforderung anzugehen. Spätestens danach ist dann aber die Spielerin zu seiner Linken an der Reihe. Wer als erstes fünf Kolonien auf fremden Planeten besitzt, gewinnt das Spiel.

Soweit, so… irdisch. Zum Glück wird die Chose jetzt aber durch die Spezialfähigkeiten der verschiedenen Alien-Spezies ordentlich aufgemischt. Diese erdreisten sich nämlich, die Regeln des Spiels zu brechen – und zwar alle auf ihre ganz eigene Weise. Aber schauen wir uns doch einfach mal ein paar davon an, um einen Eindruck der schier unermesslichen galaktischen Vielfalt zu erhalten. Die Philanthropen zum Beispiel können Handkarten an Verbündete oder ihren aktuellen Hauptgegner verschenken. Eine aufs Erste vielleicht nicht sonderlich beeindruckende Fähigkeit, die sich aber in mehrerlei Hinsicht als äusserst nützlich erweisen kann. So kann ich damit z.B. unerwünschte Karten loswerden, was gleich einen doppelten Nebeneffekt hat: Ich komme selbst schneller dazu, sieben neue Handkarten zu ziehen (das darf man erst, sobald man keine Herausforderungs-, d.h. Angriffs- oder Verhandlungskarten, übrig hat), während ich meine Gegnerin zumindest erst mal vom Nachziehen abhalte. Aber natürlich kann ich diese Eigenschaft auch auf weniger zynische Weise philanthropisch nutzen, indem ich meinem Verbündeten etwa eine starke Angriffskarte schenke, die er dann prompt einsetzen darf (und von der ich dann als Mitgewinner des Konflikts ebenfalls profitiere).

Die Hexer gehen da weniger taktisch vor, sie setzen vielmehr auf psychologische Kriegsführung: Sie können nämlich die beiden fürs Gefecht gespielten Herausforderungskarten, noch bevor diese aufgedeckt werden, vertauschen. Dadurch stellen sie einen äusserst unangenehmen Gegner dar, weiss ich doch nie, ob sie von ihrer Fähigkeit auch wirklich Gebrauch machen werden. Der Brainfuck-Möglichkeiten sind folglich viele, sobald sich mehrere Spezialfähigkeiten verzahnen. Denn nicht nur mit den Handkarten wird Schabernack getrieben. Kämpft man beispielsweise gegen die Amöben, sollte man sich darauf gefasst machen, dass diese im letzten Moment die Anzahl ihrer involvierten Schiffe noch beinahe beliebig erhöhen oder verringern können – was zwar herrliches Bluffen erlaubt, im Falle einer Fehleinschätzung aber auch eine brutale Niederlage nach sich zieht. Besonders unbeliebt sind stets auch die Parasiten. Im Gegensatz zu zivilisierteren Spezies haben die nämlich noch nie etwas von Herrn Knigge gehört und laden sich gerne mal unaufgefordert als Verbündete zu einem kosmischen Rencontre ein, um im Idealfall eine weitere Kolonie abzustauben.

Aber wie wehrt man sich gegen Rassen wie z.B. diese Parasiten, die im Vergleich zu anderen Fraktionen schon fast übermächtig wirken? Nun, einerseits gibt es für viele Spezies so etwas wie Angstgegner, Völker also, welche die Spezialfähigkeit eines anderen in seiner Effektivität drastisch reduzieren können. In diesem Fall etwa die Diktatoren: Sie bestimmen quasi für alle Mitspieler, welches Planetensystem diese anzugreifen haben. So könnten die Parasiten selbst drei mal hintereinander zum Ziel werden. Sollten sie jedes Gefecht und damit die Kontrolle über drei Heimatplaneten verlieren, geht auch ihre Spezialfähigkeit verloren (was übrigens für alle gilt – aber keine Sorge, es gibt auch Möglichkeiten, eigene Planeten wieder zurückzuerobern). Befindet sich keine solche Anti-Spezies im Spiel, ist eben Teamwork angesagt. So könnte ein Angreifer, dem die Parasiten als unerwünschter Verbündeter zur Seite stehen, fürs Gefecht eine Verhandlungskarte spielen und darauf vertrauen, dass es der Verteidiger auch tut. Im Idealfall einigt man sich so auf einen Kolonienaustausch; nutzt der Gegner die Situation jedoch für einen fast geschenkten Sieg aus, verliert man seine Schiffe – aber den Parasiten ergeht es dann immerhin genauso. Als alternative Strategie könnte man sich für den eigenen Angriff auch einen Planeten auswählen, auf dem die Parasiten schon eine Kolonie besitzen. So nähme man ihnen jeglichen Anreiz, sich anzuschliessen.

Nebst den unterschiedlichen Fähigkeiten sorgen auch die Artefakt- und Manöverkarten, welche dem Herausforderungskartenstapel beigemischt werden, für zahlreiche unerwartete Wendungen. Diese erlauben es den Spielern – die mitdenkende Leserschaft ahnt es bereits – besondere Aktionen wie etwa das „Zappen“ (will heissen Negieren) einer Sonderfähigkeit oder eine Variante ebendieser auszuführen. Ebenfalls integriert ist ein optionaler Forschungsmechanismus für Technologien, welche dann in Form weiterer Spezialkarten ins Spiel kommen. In der Regel spiele ich ohne dieses Element, da es zusätzliche Verwaltungsarbeit bedeutet und nur einen marginalen Einfluss aufs Spielgeschehen hat. Auch die Erweiterungen sind genauso optional wie angenehm modular. Ob man sich nun eine anschafft, um den Alien-Pool zu erweitern, die Spieleranzahl zu erhöhen, das Spiel mit neuen Elementen zu versehen oder all das gleichzeitig: Veteranen werden früher oder später etwas Abwechslung wollen, aber die Völkervielfalt im Grundspiel dürfte euch erst mal für eine ganze Weile unterhalten.

A propos Vielfalt und Abwechslung: Ja, bei Cosmic Encounter rotiert eine ordentliche Portion Zufall in der Umlaufbahn. Zu behaupten, die verschiedenen Spezies seien in ihren Kräften ausgeglichen, wäre ziemlich vermessen. Der Schicksalskartenstapel ist da kaum besser: gut möglich, dass ein Volk während einer Partie drei oder vier Angriffe abzuwehren hat und ein anderes bloss einen einzigen. Und natürlich kann es auch mal vorkommen, dass man in seiner Starthand lediglich anfällige Verhandlungs- und popelig tiefe Angriffskarten hat. Die fixe Zugreihenfolge sorgt ausserdem dafür, dass einige Spieler wohl mehr Herausforderungen als andere spielen können. Eventuell könnte zumindest bei diesem letzten Punkt eine kleine Hausregel Abhilfe schaffen, indem man die Reihenfolge ab der zweiten Runde randomisiert. Wer aber mit diesen Elementen nicht klar kommt, für den dürfte Cosmic Encounter wohl nicht das richtige Spiel sein.

Persönlich habe ich ja eine Schwäche für Spiele, bei denen die Ausgangslage nicht unbedingt dieselbe für alle Mitspieler ist und es dann halt einfach heisst, „deal with it!“. Zumindest, wenn sich dieser Kampf mit ungleichen Waffen noch irgendwie beeinflussen lässt – und das ist hier dank kurz- und langfristigen Bündnissen durchaus möglich. Letztere sorgen zudem dafür, dass die Spieler auch ausserhalb ihres Zuges stets am Geschehen teilnehmen. Herrlich auch, wie gross jeweils die Empörung ist, wenn man Angriffs-Einladungen nicht erwidert oder Verbündete aufgrund einer gespielten Verhandlungskarte leer ausgehen lässt. Wenn ihr also ein hohes Mass an Interaktivität mögt, euch selbst in einem Spiel nicht zu ernst nehmt und – dank der vielen Spezies – ein stets anderes Spielerlebnis zu schätzen wisst, dann wird es höchste Zeit, diese interstellare Herausforderung anzunehmen.

Cosmic Encounter lässt sich übrigens dank seiner semi-kooperativen Natur (es sind auch Teamsiege möglich) so nett oder fies spielen, wie es die Mitstreiter lustig sind – man sollte sich also schon damit abfinden können, kurz vor dem sicher geglaubten Sieg noch abgefangen zu werden: Sei es durch eine unerwartet ins Spiel gebrachte Manöverkarte oder den kalten, ausserirdischen Stahl eines Dolches, den man plötzlich von einem vermeintlichen Verbündeten in den Rücken gerammt kriegt. Zu den zahlreichen Legenden, die diesen Klassiker mittlerweile umranken, gehört nämlich auch jene, dass an diesem Spiel bereits so einige Freundschaften zerbrochen seien. Na, wie sieht’s aus – traut ihr euch?
Gibts da auch den allmächtigen Skischuh als Fraktion zu spielen? Ich hoffe doch. 🙂
PS: Schön geschriebene Rezession die Lust auf ein Runde Sternenschlacht macht.
Den Skischuh selbst zwar nicht – was eigentlich nach einer selbstgebastelten Mini-Erweiterung schreit – aber doch einige andere Fraktionen, die ziemlich Arsch treten. Was hingegen bereits vorzüglich integriert ist, ist der Effekt des „sich geskischuht Fühlens“.
Haha, skischuh getestet und für gutbefunden, sozusagen. 🙂