Magic Maze: Wo gehts hier zum Axt-Regal?

Stell dir vor, du bist frischgebackener Fahrschüler und ohne kompetente Begleitung in einer fremden Stadt unterwegs. Du weisst zwar ungefähr, wo du hin möchtest, aber die genaue Route ist dir unbekannt. Du verlässt dich also primär auf deine Intuition. Wie meinst du? Das klingt wenig vertrauenseinflössend? Wart’s ab, das ist noch lange nicht alles! 

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle als positiven Punkt erwähnen, dass du schon ganz prima Gas geben und bremsen kannst. Bravo! Links und rechts abbiegen hingegen… nun, dazu hat’s noch nicht gereicht. Aber nicht verzagen: Zum Glück hast du deine Kumpel Merlinks (er ist Hobbyzauberer) und Elrechts (spitzt gern die Ohren) mit dabei. Auch sie beherrschen gewisse Fahrmanöver… andere weniger. Merlinks kann vor allem hervorragend nach rechts abbiegen (würde man ihm nicht zutrauen), Elrechts ebenso kompetent nach links. Als Gruppe verfügt ihr also über alle nötigen Kompetenzen, um euer Fahrzeug sowas von sicher durch die Stadt zu lenken. Wenn doch jetzt nur jemand wüsste, wie man endlich das Radio ausmacht, damit ihr euch absprechen könnt…

Falls sich euer Eindruck nicht wirklich verbessert haben sollte: Das war durchaus Absicht. Denn obige Situation beschreibt recht genau, wie ihr euch nach wenigen Sekunden Magic Maze (von Kasper Lapp, Verlag Sit Down!, 2017) fühlt.

Hauptakteure in diesem Spiel sind vier offenbar wenig erfolgreiche Recken: Ein Zwerg, eine Elfe, ein Barbar und ein Magier. „Wenig erfolgreich“, da der Truppe bei ihrem letzten Abenteuerspaziergang sämtliche Ausrüstungsgegenstände gemopst wurden. Und was tut ein echter Abenteurer in so einem Fall? Genau: Er spaziert ins nahe gelegene Kaufhaus und klaut sich neue Ausrüstung zusammen.

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Das Titelbild zeigt unsere kaum schuldfähige Heldentruppe.

Das Kaufhaus nennt sich „Magic Maze Mall“ (also ein MMM) und hat die Eigenschaft, dass sich zwischen den Besuchen dort nicht nur die Treppenanordnungen (wie in gewissen Zauberschulen üblich) sondern gleich das ganze Gebäude verändert. Das Kauferlebnis wird hier nun mal gross geschrieben.

Bei jedem Besuch ist lediglich der Eingangsbereich identisch. Auf dem stellen sich unsere vier Helden erwartungsvoll auf, um sich gleich auf die Jagd nach ihren jeweiligen Utensilien zu begeben: Die Elfe sucht einen modischen Bogen, der Barbar ein barbarisches Schwert, der Magier effektvolle Tränke und der Zwerg säupferständlich eine handliche Axt.

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Unsere „Helden“ stehen erwartungsvoll im Eingangsbereich – geich ist fertig lustig…

Aber jetzt kommt’s: Keine der Figuren gehört einem Spieler, alle spielen mit allen. Gleichzeitig. In Echtzeit. Nochmal: Gleichzeitig! Und ja, abhängig von der Spielerzahl dürfen die Spieler lediglich bestimmte Aktionen durchführen. In unserer letzten Partie war ich beispielsweise für Bewegungen nach Westen und die Teleporter zuständig. Mein rechter Nachbar wusste, wie man gefahrlos eine Rolltreppe benutzt und nach Osten latscht, der linke hatte die Aufgabe, neue Räume anzulegen, wenn sich eine Figur in entsprechender Position befand, ausserdem zogs ihn `gen Süden…

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Die Aktionserinnerungsplättchen bei vier Spielern.

Absprachen sind vor Spielbeginn erlaubt, danach stellen intensives Anstarren und der rote Megapöppel die einzigen erlaubten Kommunikationsmittel dar. „Roter Megapöppel“, fragt ihr? Ja, genau. Dieses recht auffällige Utensil wird mit Vorliebe vor einem Mitspieler wiederholt passiv-aggressiv auf den Tisch geknallt, um wenig dezent anzuzeigen, dass die entsprechenden Dienste irgendwo gefragt sind. (Übersetzt also: „PENN NICHT!“) Wo? Nene, Zeigen ist ebenfalls nicht erlaubt!

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Red Megapöppel of DOOM!

Mein rechter Nachbar hat öfters mal in dieser Art den Pöppel von mir vorgesetzt erhalten. Die Nulpe verpasste immer wieder, die Rolltreppen zu benutzen. Zum Glück hab‘ ich aufgepasst und ihn jeweils freundlich darauf aufmerksam gemacht! Persönlich verstehe ich ja nicht, wie man eine derart simple Aufgabe andauernd versemmeln kann…

Hatte ich erwähnt, dass man erst mal bloss drei Minuten Zeit hat? Die werden per Sanduhr runtergezählt und reichen natürlich hinten und vorne nicht. Läuft die Zeit ab, haben wir verloren. Glücklicherweise hat der Laden aber auch Zeitsprünge im Angebot. Die löst man aus, indem man eine der vier Figuren auf ein Sanduhrsymbol zieht, wodurch das Symbol deaktiviert wird (ist ab sofort also wirkungslos). Andererseits wird aber auch die echte Sanduhr umgedreht – bei optimalem Timing stehen danach also knapp drei weitere Minuten zur Verfügung.

Nach dieser Drehung ist im Übrigen Kommunikation erlaubt! Und zwar beliebig lange. Allerdings darf in dieser Zeit dann auch NUR kommuniziert werden (und sonst nix), bis irgend jemand eine Figur zieht. Ab dann ist wieder Schweigen angesagt. Und hahahaha… ich muss euch da etwas unglaublich Lustiges erzählen, nämlich: Nach dem Drehen der Sanduhr geben alle ihre Plättchen weiter, auf denen steht, wofür man zuständig ist. Auf einmal bin ich nun also der Rolltreppenheini. Ihr glaubt gar nicht, wie schwierig die Bedienung dieses Teufelszeugs ist… insbesondere, wenn man von einem hyperaktiven Mitspieler dauernd den Doompöppel vor die Nase geknallt kriegt! Es handelt sich dabei nämlich um eine enorm anspruchsvolle und komplexe Aufgabe…

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Nach den ersten Zügen…

Ziel dieser ersten Spielphase ist, jeden der Charaktere zu seinem gewünschten Gegenstand zu bringen. Bis man die entsprechenden Kaufhaussektoren gefunden hat, steht man also vor einer mehr oder weniger gewaltigen Koordinationsaufgabe. Die Durchgänge zu neuen Sektoren sind farblich codiert und können nur vom jeweils passenden Abenteurer erkundet werden, die Gänge sind eng und die vier „Helden“ blockieren sich gern mal gegenseitig. Und schliesslich haben auch die lieben Kollegen öfters mal Aussetzer, oder nennen wir sie „alternative Ideen“, bezüglich des weiteren Vorgehens.

Einziger Lichtblick in dieser Phase sind die herumstehenden Teleporter. Die erlauben, einen Helden der entsprechenden Farbe von irgendwo her auf ein solches Gerät zu beamen. Damit lassen sich grössere Distanzen effizient zurücklegen. Aber freut euch bloss nicht zu früh! Unsere Versagertruppe ist nämlich wesentlich erfolgreicher im Sich-beklauen-Lassen als beim eigenen Zugriff auf fremdes Eigentum. Stehen alle vier Intelligenzbestien auf ihren Lieblingsgegenständen wird der Raub ausgelöst. Und hahahaha… ich muss euch nochmal etwas unglaublich Lustiges erzählen, nämlich: Geht der Klaualarm los, reicht der Saft nicht mehr für die Teleporter! Will heissen: Schluss mit Beamen! Mit jedem Kleinkriminellen gilt es nun also, möglichst rasch durch die Gänge und treppauf, treppab zu seinem persönlichen (!), hoffentlich vorher lokalisierten Ausgang zu rasen. Aber nach wie vor: Läuft die Zeit vorher ab, gehts direkt in die Strafvollzugsanstalt.

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Der Zwerg will unbedingt bei diesem Ausgang oben rechts raus. Zwerge sind da eigen…

Chaos? Im Sonderangebot!

Hektik? Wie beim Ausverkauf!

Spass? Ganze Familienpackungen!

Die obigen Erklärungen beziehen sich auf die ersten zwei Einführungsszenarien, danach kommen zusätzliche Gebäudeeffekte und individuelle Eigenschaften der Abenteurer ins Spiel. Der Zwerg darf als einziger kleine Durchgänge benutzen, der Barbar haut Überwachungskameras kaputt, der Magier erhellt grössere Teile des Kaufhauses, die Elfe erlaubt zusätzliche Kommunikation.

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In späteren Szenarien erschweren unter anderem Überwachungskameras unser Vorhaben.

Magic Maze lässt sich sogar solo spielen, aber lustiger wirds natürlich, wenn man sich mit seinen Absichten gegenseitig in die Quere kommt und die chaotische Interaktion für Stimmung sorgt. Das Materials reicht für bis zu neun Spieler (die Schachtel nennt acht, die Regel erklärt aber, was der Neunte zu tun hat, falls man’s mal in dieser Konstellation wagen möchte). Aufgrund der Platzverhältnisse würde ich jedoch davon ausgehen, dass ab sechs Komplizen bei reaktionsschnellen Zugriffen auch mal mit gebrochenen Fingern und dergleichen Lappalien gerechnet werden muss, ganz abgesehen davon, dass die Sicht auf das relevante Geschehen unter einer zu grossen Spielerzahl leiden wird. Vier bis fünf Personen erscheinen mir als optimale Spielerzahlen.

Nach einem problemlosen Anlauf mit dem ersten Szenario sind wir mehrfach bereits am zweiten Aufbau gescheitert – und hatten dabei einen Heidenspass. Genauer gesagt so viel davon, dass Magic Maze unserer Meinung nach eins jener besonderen Spiele ist, das in JEDE Spielesammlung gehört. Nicht als Titel, den man in Zukunft stundenlang spielen wird, sondern als einer, den man immer mal wieder gern hervorholt, der dabei so völlig anders ist als alles, was sonst regelmässig im Spieleregal um Aufmerksamkeit kämpft.

Magic Maze hat unsere!

10 comments

  1. Hat dies auf mittwochsspielen.com rebloggt und kommentierte:
    Spieleberichte, die mit dem Etikett „Rolltreppe“ versehen sind, *muss* man einfach rebloggen.

    Übrigens: Am WE bin ich das erste Mal mit unserer Fahrschülerintochter aufm Verkehrsübungsplatz gewesen. Ob man’s glaubt oder nicht: Gibt tatsächlich Fahrschüler die nur „geradeaus“ und „schneller“ können und bei „links“ und „bremsen“ noch Supprt brauchen 😀

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