Flamme Rouge: Zwei Himmelhunde auf dem Weg zum Teufelslappen…

… oder zumindet so ähnlich hiessen sie alle, die Filme aus den 70er und 80er Jahren mit dem unsterblichen Duo Bud Spencer und Terence Hill in den Hauptrollen. Die Leute liefen damals in Scharen ins Kino, um die beiden beim Verkloppen der Bösewichte, vor allem aber beim Abfeuern ihrer kultigen Sprüche zu geniessen. Nun, der Publikumsgeschmack hat sich verändert. Nicht nur im Kino…

Der Radrennsport hat aufgrund anhaltender Dopingskandale ein Imageproblem: Sponsoren ziehen die Reissleine, der Zuschaueraufmarsch ist massiv rückläufig, die TV-Quoten sinken in den Keller. Der Spielemarkt andererseits kennt derartige Probleme nicht (bis auf einige Querulanten vielleicht), boomt stattdessen an allen Ecken und Enden – sogar hoch angesehene Sportgrössen bekennen sich mittlerweile ungeniert zum Geektum! Aber was geschieht, wenn man Radsport und Brettspiele kreuzt…?

Es war einmal, vor langer Zeit, Um Reifenbreite: Ein sehr einfaches Spiel, bei dem viel gewürfelt und ab und zu – hoffentlich im richtigen Moment – statt des Würfels auch mal ein Aktionskärtchen (mit einer garantierten 5 oder 6) eingesetzt wurde.

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Auch Kult: Um Reifenbreite

Das Spiel machte mit simplem Regelwerk erstaunlich viel Spass, denn neben dem Würfeln beinhaltete es einige Aspekte, die Rennatmosphäre aufkommen liessen: Steigungen, Windschattenfahren, ein Team aus unterschiedlichen Spezialisten…

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Brettausschnitt aus Um Reifenbreite

…und dann gab es da noch die unsägliche Ereigniskarte, welche besagte, man hätte sich von einem Begleitfahrzeug mitziehen lassen – zusammen mit der möglichen Disqualifikation des entsprechenden Fahrers und damit der sicheren Niederlage des Teams. (Nehmt die Karte um Himmels Willen raus!).

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Nochmal: Nehmt diese Karte raus…

Obwohl Rennspiele eine der reinsten und ursprünglichsten Formen des Brettspiels überhaupt darstellen, führen sie im modernen Markt eher ein Nischendasein. Innerhalb dieser Nische sind Motorsportspiele wohl noch am verbreitetsten. (Auf das äusserst unterhaltsame Thunder Alley werden wir bei anderer Gelegenheit noch zurückkommen, ebenso auf thematische Querschläger wie das spannende Snow Tails.)

Radrennspiele stellen hingegen eine Nische innerhalb dieser Nische dar. Das oben dargestellte Um Reifenbreite gilt noch heute in interessierten Kreisen als eine Referenz des Genres. Nach einigen anderen, sporadisch auf dem Markt auftauchenden Titeln erschien 2008 das „ab Stange“ praktisch unspielbare Leader 1, welches dank hochmotivierter Fans im Nachhinein ein totalerneuertes Regelwerk erhielt, um ein Vielfaches komplexer an die Thematik heranging und den Spielern, die sich darin messen wollten, einiges an Detailtoleranz abverlangte.

Und nun also, ausgerechnet in dieser Identitätskrise des Radsports: Flamme Rouge! Asger Harding Granerud (ja genau, der Autor von 13 Days) hat sich zum Ziel gesetzt, das „Rennen“ ins Rennspiel zurückzubringen. Statt ausufernder Analysen sollte die Schnelligkeit wieder im Vordergrund stehen, ohne dabei die taktischen Aspekte eines solchen Wettkampfes zu vernachlässigen. Das Cover verspricht diesbezüglich einiges: Ausser dem Transport in die 1950er Jahre (der sich zwar äusserst stimmungsvoll durch das ganze Material zieht, ansonsten aber keine Einflüsse hat…), auch Dynamik, Dramatik, Siegeswille.

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Dramatik und Spannung in den 1950er Jahren

Das Spiel enthält acht Fahrerfiguren, vier Spielertableaus, Spielhilfen, diverse Kartensätze und massig Streckenteile (Geraden und Kurven), die mit Hilfe der vorgegebenen Konfigurationen (oder mit eigener Phantasie) zu Rennstrecken kombiniert werden können.

Die erste Regellektüre endet mit leichter Konsternation: Während das Material reichlich Kurven enthält, tauchen diese in den Spielregeln überhaupt nicht auf. Glücklicherweise ist Asger ein aktiver Boardgamegeeker und fast umgehend zur Stelle, um die entsprechende Rückfrage zu beantworten – aber nein, „Kurven haben hier keinen Einfluss auf das Renngeschehen“, meint er. Auch wenn er dies plausiblel damit begründet, dass bei einem Strassenrennen von teilweise über 200 km Etappenlänge der Einfluss von Kurven vernachlässigbar sei, steht dies in starkem Gegensatz zu den meisten anderen mir bekannten Rennspielen – und löst erst mal spontan Skepsis aus.

Jedes Team besteht aus 2 Fahrern: Einem Rouleur und einem Sprinter. Damit ist dann auch schon geklärt, dass sich die beiden – wie die eingangs erwähnten Filmhelden – als Team daran machen, die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen und einander zu ergänzen. Beiden ist ein separater Kartenstapel zugeordnet, thematisch korrekt weist jener des Rouleurs höhere Durchschnittswerte auf (von 3 bis 7), der Sprinter hat hingegen die Möglichkeit, auch mal so richtig aufs Tempo zu drücken (Werte von 2 bis 5, dazu 3 Karten mit dem Wert 9).

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Rouleur (vorne) und Sprinter (hinten) des grünen Teams

Die Mechanik des Spiels ist simpel: Man wählt zunächst einen Fahrer des eigenen Teams aus, spielt für diesen eine Karte, dann ebenso für den anderen (darf dabei aber die zuerst gespielte Karte nicht mehr verändern!). „Eine Karte Spielen“ beinhaltet, dass man vom entsprechenden Stapel vier Karten zieht, sich für eine davon entscheidet und diese verdeckt neben dem eigenen Tableau ablegt. Einmal gespielte Karten sind endgültig aus dem Spiel, die nicht gewählten werden später wieder in den Nachziehstapel „rezykliert“.

Haben alle Teammanager ihre verantwortungsvolle Aufgabe erledigt, geht’s ans Eingemachte. In Reihenfolge ihrer aktuellen Platzierung treten die Fahrer in Aktion: Die jeweilige Karte wird aufgedeckt, der Fahrer zieht entsprechend des Kartenwerts auf der zweispurigen Strecke vorwärts. Andere Figuren können dabei ohne Weiteres „durchfahren“ werden, allerdings darf man nicht auf einem besetzen Feld den Zug beenden, sondern steht in diesem Fall hinten an. Simpelst, oder? Jop, isses!

Die Kartenwerte sind allerdings recht knapp bemessen. Der häufigste Satz von Erstspielern gegen Mitte einer Partie lautet: „Damit komm ich doch nie bis ins Ziel!“ Allzu oft sollte man nicht hinten anstehen müssen! Aber dem Neuling kann auch noch anderweitig geholfen werden – seht selbst…

Clou 1 des Systems kommt zum Tragen, nachdem alle Fahrer bewegt wurden. Von hinten angefangen wird nun überprüft, ob zwischen zwei Figuren genau ein Feld frei ist. Trifft das zu, schliesst die hintere (und alle direkt mit ihr verbundenen) dank Windschatten zur vorderen auf. Es ist durchaus möglich, dass dadurch die hinteren Fahrer, über mehrere solcher Effekte, zwei oder mehr Felder zusätzlich zurücklegen und dabei wertvollere Karten sparen können (siehe „Zwei sind nicht zu bremsen“, 1978).

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Windschatten: Der blaue Rouleur ganz hinten wird zur vorderen Gruppe aufschliessen. Diese neue Gruppe liegt jedoch zu weit hinter dem Grüppchen aus blau und schwarz. Letztere wiederum schliessen zu rot auf und bilden zu dritt die Spitzengruppe.

Ist der Windschatten abgehandelt, folgt Clou 2: Alle Fahrer, die eine Gruppe anführen und dadurch als „Windbrecher“ amtieren, erhalten eine „Erschöpfungskarte“ mit dem Wert 2. Die ist vorerst kein Problem und wird einfach zu den anderen nicht gespielten Karten gelegt. Das bisschen Wind steckt so ein Bud Profi schliesslich locker weg. Aber irgendwann, und in immer kürzeren Abständen, wird der verbleibende Stapel gemischt – und dann ist Schluss mit lustig. Wer ein Deck mit zu vielen Erschöpfungskarten zugemüllt hat, macht schon mal im entscheidenden Moment schlapp.

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Die Fortsetzung mit Auswirkungen des vorhergehenden Bilds: Der grüne Sprinter führt die hintere Gruppe an und erhält eine Erschöpfungskarte. Ebenso der rote Rouleur als Leader. Wäre der schwarze Rouleur gleichauf mit dem roten, würde auch er eine Karte erhalten.

Für das eigene Team bedeutet dieser Windschattenmechanismus, dass zwischen Rouleur und Sprinter, nach Abschluss aller Züge, im besten Fall ein leeres Feld liegen sollte, wodurch einer den anderen „mitziehen“ könnte. Theoretisch. Aber natürlich muss man damit rechnen, dass irgendwelche lieben Konkurrenten die entstandene Lücke zwischen den beiden nutzen, wodurch nicht nur der Windschatten flöten geht, sondern auch die Planung der weiteren Züge zusätzlich erschwert wird.

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Blau hat alles richtig gemacht: Der blaue Sprinter würde gleich von seinem Rouleur profitieren können… Dummerweise quetscht sich aber der rote Fahrer vorher dazwischen!

Aus dem simplen Grundprinzip wird durch die beiden Clous tatsächlich genau das, was der Autor beabsichtigt hat: Ein schnelles, spannendes Rennen, ebenso rasch erklärt wie gespielt. Es ergeben sich aus diesen wenigen Mechanismen tatsächlich Spielzüge, die ans echte Rennen erinnern: Oft will zu Beginn keiner so recht die Führung übernehmen, Bummelstarts sind nichts Ungewöhnliches. Jeder versucht einen günstigen Zeitpunkt zu erwischen, um sich vom Feld abzusetzen. Dieses wiederum kann durchaus kooperieren, um sich die Spitzenleute wieder einzuverleiben. Allerdings hat es in unserer Runde auch schon ein Kollege geschafft, einen astreinen Start-Ziel-Sieg hinzulegen – sein Einbruch wollte und wollte nicht kommen, er war gelinde gesagt „ausser Rand und Band“ (1977).

Und während die Kurven wie erwähnt (noch) keinen Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen (der allerdings auch nicht vermisst wird!), bieten die Strecken Steigungen, welche die Geschwindigkeit begrenzen und Windschatteneffekte neutralisieren, und Abfahrten, bei denen sich müde Fahrer auch wieder erholen können. Diese Geländemerkmale sind oft Auslöser von Ausbruchsversuchen und erfüllen ihren Zweck vollauf.

MUWINS kritische Einstellung zu Erweiterungen hat mratn hier bereits ausführlich dargestellt. Und dennoch: Dieses Spiel schreit geradezu nach zusätzlichen Optionen, die sich problemlos „hausgemacht“ realisieren lassen (z.B. Engpässe, indem man einige Felder abdeckt). Es besteht aber kaum Zweifel, dass auch offizielle Erweiterungen mit zusätzlichen (breiteren?) Streckenteilen, anderen Strassenbelägen (Hat da jemand „Kopfsteinpflaster“ gerufen?), zusätzlichen Fahrern und Ähnlichem erscheinen werden.

Eine schöne Ergänzung hat der Autor bereits zum Herunterladen bereitgestellt: Während eine Partie im Normalfall lediglich ein einzelnes Rennen beinhaltet, das endet, sobald mindestens ein Fahrer im Ziel ist, werden in der Grand Tour-Variante die Zeiten sämtlicher Fahrer festgehalten und über die Rennen registriert. Ein solcher Wettkampf über mehrere Etappen stellt massiv höhere Anforderungen an das taktische Geschick der Teamchefs. Aber Bud Spencer hätte auch die problemlos gemeistert!

19 comments

  1. Meine Referenz in Sache Radrennspielen ist ja „Breaking Away“ (m.W. immer noch auf der Webseite von Fiendish Games zu haben, wobei IIRC irgendein Verlag irgendwann mal ne schönere Ausgabe machen wollte) – das ist zwar potthässlich, kann man aber problemlos mit bis zu 10 (!) Spielern spielen und bietet ähnlich kurze-geniale Regeln und taktisches Spiel. Flamme Rouge klingt vom Ansatz her ganz ähnlich. Und bei beiden sind Kurven egal 😉
    (Bei Breaking Away steht sogar in der Regel, dass der Rundkurs eigentlich eine gerade Strecke ohne Kurven darstellt…)

    1. Danke für den Hinweis! Ich wollte keine vollständige Übersicht geben, „Breaking Away“ ist mir ein Begriff – ich habs aber nie gespielt und die Kurvenregel war mir dott nicht bekannt. Ich ergänze den Hinweis, dass es noch weitere gab… (ich wollte vor allem das komplexe Leader 1 als Gegenpol erwähnt haben)

      1. War auch eher als „Hey, das gefällt euch vielleicht auch!“ gemeint und weniger als Vervopllständigung über Fahrradrennspiele (Dann hätte ich auf die grandiose Seite http://www.cyclingboardgames.net/ verwiesen;-)
        Ich habe Flamme Rouge nicht gespielt – von der Rezi her würde ich schätzen, dass es Breaking Away gut nach „unten“ ergänzt (also bis 5 Spieler Flamme Rouge, dann Breaking Away – letzteres ist definitiv besser mit mehr als 5 als mit kleineren Spielerzahlen)

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