Durchaus möglich, dass der Name Secret Hitler aus marketingtechnischen Gründen bewusst gewählt wurde, um ein wenig verkaufsförderndes Unwohlsein zu erzeugen. Den Machern, die auch schon für Cards against Humanity (in meinen Augen übrigens ein „Unspiel“) verantwortlich waren, lässt sich kaum übermässige politische Korrektheit vorwerfen. Dass das Gegenteil aber auch fehl am Platz wäre, und die Herren darüber hinaus auch Ahnung von echtem Spieledesign haben, wird bei Secret Hitler schnell deutlich.

Allfällig vorhandene Zweifel an der politischen Ausrichtung der Spielautoren sind mit untenstehenden Klebebildchen, die zumindest mit der Kickstarterversion von Secret Hitler geliefert werden und mit denen man sich sein Exemplar „personalisieren“ kann, schnell aus dem Weg geräumt.

Aber auch wenn man keinen Wert darauf legt, seine schönen Karten zu verunstalten, strahlt das Spielmaterial Stil und guten Geschmack in jeglicher Hinsicht aus. Einerseits beinhaltet diese Version einen Comic, der den Aufstieg Adolf Hitlers kurz, aber inklusive der historisch wesentlichen Gegebenheiten korrekt und jederzeit angemessen widergibt, andererseits taucht der Herr dann im eigentlichen Spiel lediglich als Name auf – sein Konterfei sucht man glücklicherweise vergebens. It’s great!

Bei unserer Darstellung von Mafia de Cuba haben wir bereits einiges zum Hintergrund derartiger Spiele aus der Werwolf/Mafia-Familie erzählt – und um ein solches handelt es sich auch bei Secret Hitler. Natürlich packt auch dieses manche Aspekte auf seine ganz eigene Weise an. Um es vorweg zu nehmen: Es tut dies wesentlich erfolgreicher als der karibische Cousin. Secret Hitler hat sich bei uns zumindest für grössere Gruppen (ab ca. 7 bis max. 10 Personen) auf Anhieb zum deutlich beliebtesten Spiel mit geheimen Identitäten entwickelt. It’s huge!
Die Regeln von Secret Hitler sind äusserst überschaubar – dennoch sollte man sich in einigen Punkten streng daran halten: Manche Details sind hier zentral.
I have an attention span that’s as long as it has to be. (D. Trump)
Das Spiel beginnt, wie die meisten seiner Verwandten, mit der verdeckten, zufälligen Verteilung der Rollen. Bei Secret Hitler genügt dabei eine enorm schlanke Auswahl. Jeder Spieler erhält einen Umschlag mit zwei Karten: Seine Identität (es gibt lediglich Faschist, Liberaler oder Hitler) sowie die Parteizugehörigkeit (faschistisch oder liberal, wobei Hitler selbstverständlich immer zur faschistischen Fraktion gehört). Die Anzahl Faschisten richtet sich dabei nach der Spielerzahl. It’s math!

Während der folgenden Nachtphase erfahren die Faschisten, wer Hitler ist, dieser wiederum weiss nicht, von wem er Unterstützung zu erwarten hat. Aufgrund der geringen Rollenzahl ist diese Phase schneller abgehandelt als ein durchschnittlicher Blitzkrieg. (Ja, der musste sein, und ja, das darf man!)

Und dann wird’s sogar irgendwie politisch lehrreich: Ein Spieler, der bereits vor der Rollenverteilung zum Startspieler ernannt wurde, übernimmt das Amt des Präsidenten. Dessen erste Aufgabe ist es, jemanden als Kanzler vorzuschlagen. Nach kurzer Diskussion erfolgt eine Abstimmung, ein vorgeschlagenes Zweierticket wird durch absolutes Mehr gewählt. It’s even greater math!

Vernachlässigen wir vorerst den Fall, dass die beiden nicht ernannt werden, und gehen wir dazu über, die Pflichten der nun amtierenden Regierung zu beleuchten: Die Aufgabe von Präsident und Kanzler ist es nämlich, zusammen ein Gesetz zu erlassen. Dazu zieht der Präsident drei Karten vom Gesetzesstapel. Keine Sorge: Die enthalten keine ellenlangen Paragrafen, sondern sind lediglich in rot oder blau gehalten und tragen die Aufschrift liberal oder fascist. Der Präsident legt nach deren eingehendem Studium eine der Karten verdeckt ab und übergibt dem Kanzler die beiden anderen. Dieser legt eine weitere davon verdeckt ab und setzt die von ihm gewählte Karte als „Gesetz“ in Kraft, also entweder ein liberales oder ein faschistisches. It’s simple!

Und warum erlässt nun die Regierung überhaupt Gesetze? Nun, je nachdem, welcher Partei man angehört, gelten jeweils zwei mögliche Siegbedingungen. Das liberale Team gewinnt durch den Erlass fünf liberaler Gesetze. Ausserdem besteht eine Möglichkeit, dass Hitler selber… ehm… sagen wir einfach, die Liberalen gewinnen ebenfalls, sobald der Hitler-Spieler nicht mehr aktiv an diesem Spiel teilnimmt. Die zweite Bedingung ist enorm schwierig zu erreichen (aber im Rahmen des Spiels als Drohung dennoch wichtig), so dass die meisten liberalen Siege durch fünf Gesetze zustande kommen werden. Das wiederum ist auch nicht ganz einfach zu schaffen, wenn man bedenkt, dass sich der Stapel mit Gesetzen zu Spielbeginn aus lediglich sechs liberalen, aber elf faschistischen Karten zusammensetzt.
My whole life is about winning. I don’t lose often. I almost never lose.
(D. Trump)
Das faschistische Team hat ebenfalls interessante Siegbedingungen: Die weniger spannende spiegelt dabei jene des gegnerischen Teams. Allerdings benötigen die Faschisten sechs faschistische Gesetze, um ihr Tableau zu füllen. Die zweite Bedingung hingegen bringt sowohl unerträgliche Spannung wie auch ein Quäntchen historisches Flair ins Spiel: Wurde nämlich das dritte faschistische Gesetz aktiviert, tritt die sogenannte „Hitlerbedingung“ in Kraft, welche besagt, dass das faschistische Team sofort gewinnt, wenn Hitler zum Kanzler gewählt wird! It’s fantastic!
Diese letzte Siegbedingung ist es, die den Hitler-Spieler motiviert, sich möglichst liberal und damit in Zukunft wählbar zu geben, dabei aber dennoch irgendwie seine Kollegen zu erkennen. Dem Plan wird aber enorm oft ein Strich durch die Rechnung gemacht, meist, indem ein faschistischer Präsident Hitler (noch in der ersten Spielhälfte) zum Kanzler wählen lässt, um mit ihm zusammen zwecks Vertrauensaufbau ein liberales Gesetz zu verabschieden… und dann zieht er drei Faschogesetze! In der Folge ist hektische Improvisation und Schadensbegrenzung angesagt…
Durch diese Siegbedingungen und den Vorgang des „Gesetze Erlassens“ ergeben sich viele mögliche Kombinationen während der Regierungsphase. Zieht ein liberaler Präsident beispielsweise eine faschistische und zwei liberale Gesetzeskarten, könnte er einfach die faschistische abwerfen und damit sicherstellen, dass sein Kanzler ein liberales Gesetz erlässt. Eins von fünf zum Sieg erforderlichen Gesetzen auf dem Tableau zu haben, ist schon gar nicht so schlecht. Andererseits: Falls er seinem Kanzler stattdessen die Wahl lässt, erfährt er möglicherweise etwas über dessen Loyalität. Doch wenn der tatsächlich das faschistische Gesetz erlässt, wird er im Nachhinein behaupten, er hätte keine Wahl gehabt…
Für die liberalen Spieler andererseits kann es in gewissen Situationen sogar verlockend sein, ein faschistisches Gesetz zu aktivieren: Auf dem entsprechenden Tableau sind Spezialaktionen abgebildet. Überdeckt man eine solche (die Gesetze müssen dabei von links nach rechts aktiviert werden), darf der Präsident (nicht etwa der Kanzler!) der amtierenden Regierung die entsprechende Aktion ausführen. Dieses Spiel mit dem Feuer kann aber auch nach hinten losgehen, wenn sie einen Verbündeten trifft.

Wie versprochen noch ein Wort zu abgelehnten Zweiertickets: In diesem Fall geht das Amt des Präsidenten einfach an den nächsten Spieler über, der nun seinerseits einen Kanzler vorschlagen muss. It’s simple! Beim ersten Mal. Und auch noch beim zweiten Mal! Wird allerdings so ein Vorschlag zur Regierungsbildung zum dritten Mal direkt hintereinaner abgelehnt, hat die Bevölkerung die Nase voll und nimmt die Sache selbst in die Hand. Sie tut dies, indem sie das zuoberst auf dem Stapel liegende Gesetz aktiviert. Aufgrund der Verteilung ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es ein faschistisches sein wird.

Durch die automatische Verknappung der noch verfügbaren Gesetzeskarten laufen die meisten Spiele auf einen engen, spannenden Showdown hinaus. In der ersten Phase des Spiels ist es für die Liberalen essentiell, relativ (!) zuverlässige Informationen zu möglichst vielen Spielern einzuholen, ansonsten droht ab Spielhälfte die Kanzlerschaft Hitlers, der man dann praktisch schutzlos ausgeliefert ist.
Wird ein faschistisches Gesetz erlassen, steht die Regierung unter Erklärungsdruck. Der Kanzler wird üblicherweise vorbringen, er habe keine Wahl gehabt. Aber wird dies der Präsident auch bestätigen? Die heissen Diskussionen, wem zu trauen ist und wem nicht, verlaufen ähnlich wie bei verwandten Spielen, aber im Unterschied zu diesen erhält man bei Secret Hitler aufgrund der durch die Regierungskonstellationen erlassenen Gesetze die passende Prise „handfester“ Informationen. Diese erlauben es einem, statt lediglich auf der Basis von Äusserungen anderer Spieler zu spekulieren, auch mehr oder weniger stichhaltige Argumente – alternative facts? – vorzubringen.
Secret Werauchimmer: It’s huge! It’s great!
Wichtige, oft vergessene Regel: Während der „Gesetzgebungsphase“ dürfen Präsident und Kanzler unbedingt keinerlei Äusserungen von sich geben. In dieser Phase kann ansonsten das Spiel zerfallen, beispielsweise wenn ein faschistischer Präsident dem ihm als Hitler bekannten Kanzler eine blaue und eine rote Karte zuschiebt und dabei kommentiert: „Sorry, ich hatte lauter rote Karten!“ In diesem Fall weiss „Hitler“ nicht nur, dass er gefahrlos eine rote Karte spielen darf, sondern auch, dass der amtierende Präsident sein Kumpel ist.
Deshalb: Regierungsgeschäfte werden stumm und speditiv abgewickelt! Hinterher gibts ausreichend Gelegenheit für Erklärungen und Diskussonen…
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