Mafia de Cuba: Revolution oder Resignation?

Neben Flaschendrehen gibt es in der Schweiz zweifellos EINEN weiteren Schulskilager-Klassiker: Um Werwolf zu spielen, benötigt man lediglich ein Paket normaler Spielkarten, einen Spielleiter und ein Dorf – oder zumindest eine ausreichend grosse Spielerrunde. Das blieb so, bis diverse Verlage erkannten, dass die Idee nicht nur inhaltlich, sondern auch materialmässig Ausbaupotential aufweist, und mit jedem Materialausbau steigt unweigerlich auch die Gewinnmarge. In der Folge erschien eine fast schon ans Unüberschaubare grenzende Anzahl an Werwolf-Varianten  – alle irgendwie ähnlich, aber die meisten doch auch auf ihre Art anders. Manche enthalten genau das richtige Quentchen Innovation, andere muss man einfach nur als Werwolf-Futter bezeichnen und möglichst rasch vergessen. 

Nun muss man wissen, dass auch Werwolf nicht immer Werwolf war. Das Spiel hiess ursprünglich Mafia. Möglicherweise lag der Namenswechsel an den Skilagern? Sind Werwölfe pädagogisch wertvoller als Mafiosi? Wo positioniert sich da Flaschendrehen? Man könnte viel darüber spekulieren, wenn man nur wollte.

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Das Design der Box macht Laune.

Mafia de Cuba greift also seine wahren thematischen Wurzeln wieder auf, verspricht aber darüber hinaus tatsächlich revolutionäre Neuerungen! Einerseits ist da die Optik: Das Spielmaterial kommt in einer nachgebildeten Zigarrenkiste daher, die Grafik ist stimmig und macht Laune. Öffnet man den Deckel, scheinen dem Spieler erst mal eine Reihe Zigarren und Geldscheine entgegen zu lachen, die sich aber rasch beide als gefälscht herausstellen. Darunter findet man in der Kiste einige Diamanten (ebenfalls falsch), Pokerchips (speziell), ein Stoffsäckchen (klein) und die Spielregeln (kurz).

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Die Schachtel bietet ausreichend Platz für die Spielutensilien – zum Flaschendrehen würde es auch noch reichen.

Aber widmen wir uns doch lieber der eigentlichen Revolution: Der springende Punkt des Spiels ist, dass man seine Rolle diesmal nicht zugelost erhält, sondern sie aktiv wählen darf. Ein Spieler gibt dabei den „Paten“, der in die wohlverdienten Ferien (Skilager?) fährt, und seine Ersparnisse (Diamanten) der Obhut der „Familie“ überlässt. Natürlich versichern die lieben Mitarbeiter, mit ihrem Leben für die Unberührtheit der Kiste einzustehen.Um diese Aussage zu untermauern, bedient sich gleich jeder reihum einmal daraus. Der Pate darf sich zunächst einige Diamanten als Taschengeld aus der Kiste krallen, dann wird diese samt Inhalt durch die Runde gegeben. Jeder Spieler muss sich geheim entweder eine Rolle (in Form eines Pokerchips) oder eine beliebige Anzahl Diamanten nehmen.

Wer klaut, will vom Paten nicht erwischt werden und bei Spielende der Überlebende mit den meisten Diamanten sein. Wer stattdessen eine Rolle nimmt, verändert dadurch seine Siegbedingungen. Ist man etwa Getreuer, gewinnt man dank seiner Loyalität mit dem Paten zusammen – sofern man nicht vorher von diesem, mangels gemeinsamer Vertrauensbasis, feucht entsorgt wurde. Der Chauffeur gewinnt zusammen mit seinem rechten Nachbarn (wer oder was immer der auch sein mag), der FBI-Agent will vom Paten angeklagt werden, was das Spiel sofort beendet und dem Arm des Gesetzes alleine den Sieg bringt…

Hat die Kiste die Runde gemacht, kontrolliert der Pate ihren Inhalt. Seine Aufgabe ist nun, die Familie zu befragen und seine fehlenden Diamanten wiederzufinden. Üblicherweise wird ihn etwa interessieren, was sich jemand aus der Kiste genommen hat, wie viele Diamanten zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Runde noch in der Kiste waren, wie viele und welche Rollen übrig waren und Ähnliches. Irgendwann werden Widersprüche auftauchen, und der Pate muss durchgreifen: Klagt er einen Spieler an, muss dieser seine Taschen leeren. Tauchen dort gestohlene Diamanten auf, gibt er diese zurück und darf sich endgültig von der Familie „verabschieden“. Aber auch der Pate ist unter Druck: Seine Glaubwürdigkeit leidet, wenn er Familienmitglieder fälschlicherweise versenkt. Je nach Spielerzahl darf er sich gar keine oder höchstens eine falsche Anklage leisten, bevor er die Partie verliert (und der erfolgreichste Dieb gewinnt).

Mafia de Cuba klingt beim Durchlesen der Regel stimmig und verspricht heisse Diskussionen. Ein wenig getrübt wird die Vorfreude allerdings bereits bei der ersten Rollen- und Diamantenverteilung. Das Herumgeben der Kiste dauert, im Vergleich etwa zum Verteilen von Rollenkarten, doch ziemlich lange und fühlt sich bei ca. 10 Spielern so ähnlich an wie das Anstehen am Skilift.

Das Problem der verräterischen Geräusche beim Herumgeben der Kiste lässt sich durch Hinzufügen einiger Münzen (die man NICHT klauen darf) leicht beheben. Peanuts also.

Etwas nerviger ist die Tatsache, dass der Pate im Zentrum des Geschehens steht. Sogar ganz enorm im Zentrum. Eigentlich spielt fast nur er. Nun ja – das mag ein wenig übertrieben sein – aber auch nur ein wenig. Nach einer ersten „Rundumbefragung“ kristallisieren sich für ihn nämlich recht schnell einige Hauptverdächtige heraus. Er wird die weitere Zeit vor allem damit verbringen, diese Spieler auszuquetschen. Die anderen dürfen dabei primär zuhören. Beziehungsweise – natürlich dürften sie theoretisch auch mitdiskutieren, aber es ist allemal gescheiter, die Klappe zu halten, wenn man schon nicht in der Schusslinie sitzt. Je nach Spielgruppe mag das mehr oder weniger zum Problem werden.

Aber es gibt leider noch mehr…

Erinnert ihr Euch an den Fahrer? Ich muss vielleicht noch anfügen, dass dem Spieler links vom Paten (der also als erster ein Rolle wählen wird) als dessen linke Hand eine besondere Rolle zukommt: Er weiss bei Erhalt der Kiste als Einziger, wie viele Diamanten der Pate tatsächlich in die Runde gibt. Darüber hinaus darf er eine der Rollen in der Kiste geheim ganz aus dem Spiel entfernen (in das Säckchen (klein)), bevor er sich für seine eigene Rolle entscheidet. Was bietet sich da an?

… Genau: Den Agenten aus dem Spiel nehmen, und sich selber zum Fahrer des Paten machen. Einerseits ist er der einzige, der als Fahrer mit Gewissheit die Rolle seines rechten Nachbarn kennt, andererseits wird die Wahrscheinlichkeit eliminiert, dass der Pate den Falschestmöglichen (Agenten) anklagt. Zusätzlich verringert der Zug die Anzahl potentieller Diebe und begrenzt ihr Auftreten auf weniger Familienmitglieder. Der nächste Spieler weiss natürlich, dass dies die optimale Wahl seines Vorgängers ist. Frei nach dem Motto „never leave a winning team“ wählt er folgerichtig die Rolle „Getreuer“, was auch die folgenden Spieler tun, so lange diese Rolle zur Wahl steht (bei 10 Spielern sind das immerhin vier). Tatsächlich erhöht jeder, der sich an dieses Muster hält, massiv seine eigenen Siegchancen gegenüber jeder anderen Rollenwahl.

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Einige besonders schlimme unter den bösen Jungs der Familie kippen letztlich das Spiel.

Die Problematik dieser Gewinnchancenmaximierung wird im entsprechenden Forum auf Boardgamegeek ausführlich diskutiert – der Autor des Spiels meint dazu, es „würde doch keinen Spass machen, immer so zu gewinnen“. Da hat er durchaus sowas von recht, der Autor. Die Aussage ist jedoch auch das Eingeständnis, dass Mafia de Cuba nicht wirklich funktioniert. Natürlich handelt es sich um ein lockeres Spielchen, bei dem Gewinnen nicht ALLES sein sollte, aber mit Leuten zu spielen, die NICHT gewinnen wollen, macht noch weniger Spass, als gar nicht zu spielen. Und will man gewinnen, ist der oben genannte Automatismus der einzig konstant erfolgversprechende.

Leider helfen auch einfache Anpassungen wie etwa das Entfernen einiger Rollen (Fahrer) nicht wirklich. Das Problem der Getreuen bleibt in jedem Fall bestehen, und ganz ohne Getreue hat der Pate keine Chance.

Unser erstes Mafia de Cuba haben wir in einer MUWINS-Runde gespielt. Nach der ersten Partie war uns das Problem klar. Wir bitten darum, das nicht etwa zu Gunsten unserer intellektuellen Fähigkeiten auszulegen, sondern zu Ungunsten des Spiels! Bei einer weiteren Gelegenheit habe ich Mafia de Cuba in einer Runde von Gelegenheitsspielern auf den Tisch gebracht – und tatsächlich: Die (allesamt sehr intelligenten!) Leute hatten damit Spass.

Verantwortlich für das Problem dieses Spiels ist damit folglich (und zweifellos nachgewiesen) in erster Linie das „Spieler-Gen“: Wer sich etwas intensiver mit Spielmechanismen jeglicher Art befasst, erhält mit der Zeit ein „Gespür“ für optimale Züge – wie Skifahrer für Bodenwellen. Erstaunlich wäre deshalb in der Tat, wenn dem Autor das Problem erst nach entsprechenden Diskussionen in den Foren bewusst geworden wäre, denn wie gesagt: Eine ehrliche und ausreichend spielerfahrene Testrunde genügt dafür eigentlich.

Um die Revolution doch noch ins Rollen zu bringen, wurde passenderweise die Erweiterung Revolución nachgeschoben (und bereits im Deckel des Grundspiels angekündigt!). Sie enthält neue Rollen und Vorschläge, welche Rollen bei wie vielen Spielern eingesetzt werden sollten. Gutmütig, wie wir nun mal sind, haben wir uns das kleine Kistchen auch noch besorgt (man weiss ja nie), mussten aber konstatieren, dass auch damit das Problem nicht gelöst, allenfalls ein wenig verwässert wird.

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Die Expansion ist zwar nett gestaltet, hilft aber leider auch nicht wirklich.

Obwohl Gelegenheitsspieler mit Mafia de Cuba wohl einige Zeit unterhalten werden können, würde ich ihnen stattdessen deutlich bessere Spiele aus der grossen Werwolf-Familie ans Herz legen. Die empfehlenswerte One Night Ultimate-Reihe mag mit ihrem ungewöhnlichen Nacht-Mechanismus für diese Zielgruppe ein wenig ZU ungewohnt sein, aber Titel wie Don’t Mess with Cthulhu (aka Time Bomb), Deception oder das herrliche Secret Hitler machen ihre Sache um etliche Skilängen besser, ohne dass man sich taktisch „zurücknehmen“ müsste, um Spass zu haben.

Für erfahrene Spieler hingegen gibt es eigentlich nur eine Schlussfolgerung:

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Resignation.

13 comments

  1. Ich glaube ihr unterschätzt die Möglchkeiten der Mitspieler. Deren Rolle besteht eben NICHT nur darin auf den Paten zu antworten. Gerade die Getreuen sollen auch miträtseln, wer Dieb (/und FBI-Agent) ist. Ein krasses Beispiel: Einmal saß ich in der Kitte einer 9er-Runde und konnte sagen: „Rechts von mir sitzen die FBI-Agenten und Links alle Diebe“. Das war das erste was ich gesagt habe. Der Pate konnte mich – weil es eine große Partie war, anzweifeln, sehen dass ich die Wahrheit sagte und so gewinnen. So glatt geht es natürlich selten ab, aber ein paar Teilhinweise sollte es schon geben. Natürlich klappt das nur, wenn mindestens eine Flasche Rum im Spiel ist – und so viele Leute sollte man tatsächlich auch sein (Ich glaube auch dann sind 2 FBIs drin und so ist immer mindestens 1 im Spiel). Dann sind die Siegchancen des Paten auch geringer und es ist weniger attraktiv den Chauffer zu nehmen – zumal der zwar weiß, mit wem er zusammenspielt, aber ja nichts beisteuern kann, weil er nichts weiß.
    Für mich eines der besseren Werwolfspiele – Allerdings a) mur in großer Gruppe und b) da muss ich euch in Schutz nehmen: Die Regel hätte die Mitspielermöglichkeiten etwas mehr herausstreichen sollen.

    1. Ich würde Dir zustimmen, dass eine Flasche Rum hilft, das jedoch ebenfalls nicht zu Gunsten des Spiels auslegen. Und wie gesagt: man KANN natürlich mitdiskutieren, das mag in manchen Situationen sogar helfen, aber die Crux liegt letztlich darin, dass es eine allen anderen Optionen deutlich überlegene Rollenauswahl gibt (was der Autor ja selber zugibt). Vielleicht hats ja wirklich einen Grund, dass niemand mit uns spielen will, aber bei uns ist das Spiel jedes mal durchgefallen. Im Gegensatz zu anderen aus der Familie (Secret Hitler ist übereinstimmend unser Favorit).

    1. Nicht, wenn sich die Kollegen nach Dir ans Muster halten. Die werden als Getreue nämlich petzen. Die Chance, dass Du gewinnst, ist gerade deutlich kleiner geworden, als wenn du Chauffeur wärst.

  2. Nicht wenn z.B. der 2. Spieler dann den Chauffeur nimmt, und mit mir zusammen gewinnen will. Plötzlich habe ich die besseren Chancen. Und die Getreuen denken dann ja, ich habe so gespielt wie immer…
    Aber wie gesagt: Das ganze macht erst ab einer großen Runde richtig sinn, denn dann sind Chancenverschiebungen tatsächlich nicht so relevant, dass es tatsächlich einen Unterschied machen würde (Das gilt aber auch z.B. für Resistance, dass auch erst mit vielen Leuten richtig sinnvoll ist).,

    1. Ja gut, und was sagt dein Fahrer in diesem Fall, wenn der Pate ihn vor dir (was er immer tun sollte) fragt, wieviele Diamanten in der Kiste waren?

      1. Das was ich ihm vorher schon gesagt habe, wie viele Diamten da drin waren 🙂 Das sollte man so oder so sagen… zumindest manchmal 😉
        Wie gesagt: Bei uns geht es bei dem Spiel nicht so geordnet zu.

        Verstehe mich nicht falsch: Ich kann die Kritikpunkte durchaus nachvollziehen und sehe auch, dass das kein Spiel für jede Runde ist, allerdings ist es nun kein Spiel, bei dem immer alles nach Schema F verläuft.

    1. Nein – das nun eigentlich gerade nicht. Ich spiele lieber aus dem Bauch, und mag keine Erbsenzählereien (siehe auch „Patient deutschsprachige Spieleszene“) Aber wenn derart kein Weg dran vorbei führt, machts umso weniger Spass.

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