Hach, November 2014: Die Spiele in meiner Sammlung liessen sich an zwei Händen abzählen. Ich hatte noch keine feste Spielegruppe. Ich wurde erstmals so richtig aktiv auf BoardGameGeek, was zur Bekanntschaft mit unserem Benji führte. Und ich entdeckte Kickstarter: Das ewig lockende, böse, böse Kickstarter. Und ja, natürlich habe ich dort auch gleich etwas „gebacken“: V-Commandos von Thibaud de la Touanne.
Zweiter Weltkrieg, Commando-Spezialeinheiten, Infiltration und Sabotage, dungeon-crawl-artiges, taktisches, kooperatives Vorgehen ohne Notwendigkeit eines bösen Overlords – da kam doch einiges zusammen, was mich bezüglich Thematik und Spielmechanismen sofort ansprach. Dazu ein aufstrebender Autor, der sich erdreistete, ein Kickstarter-Spiel auch ohne Plastikfigürchen nicht einfach wegschenken zu wollen. Sein hehrer Plan war nämlich, künftig als Spieleentwickler den Lebensunterhalt zu verdienen. Solch ansprechende Ideen, gepaart mit diesem Idealismus, gehören doch einfach belohnt!

Oder war es vielleicht eher Naivität, sowohl auf Seiten de la Touannes als auch des Schreibers dieser Zeilen? Schliesslich gab es bei diesem Projekt mehrere Anzeichen, welche bei Crowdfunding-Veteranen bestimmt die Alarmglocken hätten schrillen lassen: Erster Kickstarter, erste Brettspielveröffentlichung, das Ganze im frisch gegründeten Eigenverlag und mit einem Miniteam in Angriff genommen, bestehend aus Autor und zwei Grafikern. Kam hinzu, dass aus den geplanten 11 Monaten bis zur Veröffentlichung letzten Endes beinahe 24 wurden.
Nun, ein erster Blick auf und in die Schachtel stimmt zuversichtlich, denn zumindest optisch und bezüglich der Qualität der Komponenten hat sich das Warten schon mal gelohnt.
Angefangen beim schmucken Cover, über Regelhefte und diverse Karten, bis hin zu Spielplanteilen und Einheitenmarkern – sämtliches Material ist offensichtlich mit viel Liebe zu Thema und Detail gestaltet worden. Selbst für Dinge, die einem beim ersten Hinsehen wohl entgehen, hat man sich Zeit genommen: So unterscheiden sich etwa die Soldaten auf den beinahe 50 feindlichen Einheitenmarkern alle in Pose oder Kleidung bzw. Ausrüstung voneinander. Aber wie steht es um dieses Gefühl von Spannung, Herausforderung und explosiver Action, welches uns die hochwertigen Illustrationen so erfolgreich vermitteln? Schafft es auch das Spiel selbst, uns damit zu fesseln?
Dazu müssen wir nochmals auf schrillende Alarmglocken und kleine Teams, die sich furchtlos daran machen, in widrigen Verhältnissen zu bestehen, zurückkommen: Denn darum geht es auch in V-Commandos. Das Grundspiel bietet 9 Operationen, die sich aus jeweils 2 bis 5 von insgesamt 26 unterschiedlichen Terrains zusammensetzen (welche sich wiederum von kreativen Köpfen beinahe beliebig zu neuen Operationen kombinieren lassen).


Fünf wagemutige Charaktere aus aller (Haupt-)Alliierten Länder bieten sich in jeweils zweifacher, bezüglich Spezialfähigkeiten unterschiedlicher Ausführung an, um für die Spieler Kopf und Kragen zu riskieren. Je nach Operation schleicht man sich nun mit drei bis vier dieser Commandos in feindliches Gebiet – d.h. reichsdeutsche Waffenfabriken, U-Boot-Docks oder etwa eine als Offiziersquartier dienende Burg – mit dem Ziel, dort möglichst ungesehen und unbeschadet geheime Dokumente zu entwenden, Kriegsgerätschaften in die Luft zu jagen, besonders fiese Leute zu eliminieren oder besonders nette Leute zu befreien.

Im Gegensatz zu anderen Dungeon Crawlern oder taktischen Scharmützeleien geht es bei V-Commandos aber nicht darum, möglichst jeden Feind niederzustrecken und rambomässig um sich zu ballern. Dieses Vorgehen wäre vielmehr gleichbedeutend mit einem vorzeitigen Ableben der Protagonisten, denn unsere Helden sind ihren Widersachern sowohl zahlenmässig als auch in puncto Feuerkraft unterlegen – je länger die Mission dauert, desto deutlicher sogar. Nein, die oberste Maxime für einen erfolgreichen Commando-Einsatz lautet stets, unsichtbar durch Nacht und Nebel zu schleichen und den Reichsschergen keine Angriffsfläche zu bieten. Solange man nämlich seine Tarnung aufrecht erhalten kann, folgen die patrouillierenden Wachen auf ihrem Rundgang einem vorhersehbaren Muster: Zu Beginn jeder Runde wird eine Eventkarte gezogen, die eine Himmler-, äh, Himmelsrichtung vorgibt, in welche sich die Wachen am Ende der Runde bewegen werden. So lässt sich eigentlich gut voraussehen, auf welchen Feldern der eigene Commando vor feindlichen Augen und Gewehrmündungen relativ sicher sein wird.
Eigentlich. Denn unsere Helden sind zwar genauso cool und clever wie ihre menschlichen Strippenzieher, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel sind aber ebenfalls bloss menschlich. So müssen verriegelte Türen aufgebrochen werden – doch das verursacht Lärm und löst den Alarm aus. Im Weg stehende Wehrmächtler kann man über den Haufen schiessen – aber auch das macht Lärm und löst den Alarm aus. In den Raum nebenan sind soeben vier Soldaten getreten? Der ideale Moment also, um die in der Runde zuvor darin platzierte Sprengladung zu zünden. Nun, ja – aber das verursacht erst recht Lärm und löst natürlich ebenfalls den Alarm aus. „Was kümmert mich der Alarm, ich hab‘ doch grad einen ganzen Raum gesäubert!“, mag man nun vielleicht denken. Die Krux mit dem Alarm ist, dass dieser die Anzahl der pro Runde nachrückenden Feindeinheiten auf einen Schlag verdoppelt. So gelangen nun, über verschiedene Eingänge, jede Runde plötzlich sechs bis acht statt drei bis vier Nachschubsoldaten auf das Gelände. Da ist so ein Munitionsdepot schnell mal total verwohnt!

Doch keine Sorge, ein echter Commando weiss sich auch in brenzligen Situationen zu helfen. So lässt sich der Alarm auch wieder ausschalten. Dies zwar nur einmal pro Einsatz – ein zweites Mal fällt die Wachmannschaft nicht auf einen Fehlalarm rein -, aber das kann einem zumindest wieder etwas Zeit und Raum für die nächsten Aktionen verschaffen. Oder man verbarrikadiert einen Eingang mittels eines Brecheisens. Das ist zwar ebenfalls bloss eine temporäre Massnahme, doch auch diese garantiert eine Verschnaufpause. Und wie war das mit den Spezialfähigkeiten? Ja, unsere Helden haben ein paar schicke Asse im Ärmel. So ist der Scout z.B. nicht auf Türen angewiesen – kein Fenster ist ihm zu hoch oder zu klein, um durch dieses einzusteigen. Die Scharfschützin ihrerseits hat die Fähigkeit, von einem beliebigen Punkt des Geländes aus den Fahrer eines Nachschub-Lkws auszuschalten. Konsequenz: Der entsprechende Eingang spuckt für eine Runde lang keine neuen Feinde aus. Und dann gibt es den Offizier, der die Zielgenauigkeit von Commandos in seiner unmittelbaren Nähe verbessert.

Daraus ergeben sich immer wieder neue, spannende Aktions-Kombinationen. So kann der Offizier dafür sorgen, dass die Scharfschützin mit grösserer Wahrscheinlichkeit trifft und so einen Raum sichert, den der Scout über eine türlose Seite betreten kann, um dort seinen Zug gefahrlos zu beenden. Ein weiterer Vorteil der Commandos gegenüber ihren Widersachern ist, dass sie die Zugabfolge untereinander frei bestimmen können. Zwar müssen sie, wenn einmal aktiviert, ihren Zug immer komplett durchführen. Sie haben aber zugleich die Möglichkeit, sich während ihrer Aktivierung einen Aktionspunkt aufzusparen. In der Folge können sie diesen entweder vor, während oder nach der Aktivierung eines anderen Commandos einlösen (etwa, um für diesen eine Tür aufzubrechen) oder vor bzw. nach der feindlichen Bewegungs- und Angriffsphase (z.B. weil man sich noch schnell verstecken will, bevor die anrückenden Truppen das Feuer eröffnen).
Unabhängig davon, mit wie viel taktischem Kalkül die Commandos vorgehen, jegliche Interaktion mit dem Feind birgt ein gewisses Risiko, böse auszugehen. Sei es ein an sich lautloser Nahkampfangriff, ein vermeintlich gezielt abgefeuerter Schuss oder der Versuch, beim Betreten eines Feldes mit Wachpersonal unerkannt zu bleiben – bei solchen Aktionen wird immer gewürfelt. Purer Zufall ist ein (Miss-)Erfolg dann aber trotzdem nicht, denn verschiedene Faktoren beeinflussen das Würfelglück. So sind Feinde auf grossen Feldern leichter zu treffen als solche in engen Räumen (die benötigten Würfelwerte liegen tiefer), das Schleichen auf ein Feld mit einem Gegner ist weniger gefährlich, als wenn diese dort bereits zu viert stehen (pro Wache ein Würfel: ein Misserfolg genügt, um aufzufliegen) und einige Waffen sind schlicht treffsicherer bzw. effizienter als andere (so eine Handgranate ist ein feines Ding!). Dieses überschaubare Stück Ungewissheit sorgt dafür, dass jeder Einsatz mit einer ordentlichen Portion Nervenkitzel garniert wird und es immer wieder zu kritischen, unerwartet brenzligen Situationen kommt.
Spannung, Action und viel thematisches Flair bietet V-Commandos also. Was man aber nicht erwarten sollte, ist eine detailgetreue Simulation. Dass eine Wache sich an ihren üblichen Rundgang hält, wenn ein Schuss gefallen ist, nur weil gerade kein Commando sichtbar ist, dürfte gewiss nicht die allernatürlichste Reaktion sein. Und auch der Umstand, dass hier eine sowjetische Scharfschützin mit einem amerikanischen Pionier bei einer Commando-Aktion zusammenarbeitet, entspricht so vielleicht nicht dem Usus jener Zeit. Aber im Rahmen des Spiels funktioniert das wunderbar, dieses bleibt dennoch thematisch und garantiert einen flüssigen, regeltechnisch konsequenten und stets überschaubaren Ablauf. Der Spielspass wurde höher gewichtet als eine auf sämtliche Kleinigkeiten bedachte Nachahmung der Realität, und das war auf jeden Fall die richtige Entscheidung seitens des Autors.
Wie bei vielen anderen rein kooperativen Spielen besteht auch bei V-Commandos die Gefahr, dass ein Alpha-Spieler die ganze Zugplanung an sich reissen könnte, zumal sämtliche Informationen stets offen ausliegen und die Spezialfähigkeiten der einzelnen Charaktere nicht besonders komplex sind. So gesehen ist dieses Spiel vielleicht nicht für eine Partie mit sämtlichen Spielertypen geeignet. Gruppen, die sich aber bei Titeln wie Pandemie so gut verstehen, dass es gar nicht erst zu dieser Problematik kommt, dürften viel Spass an V-Commandos haben. Und auch Solospielern gegenüber, die sich mit dem Thema anfreunden können, spreche ich hier eine klare Kaufempfehlung aus.
Noch einige Hinweise:
V-Commandos kaufen: Das Spiel lässt sich direkt über die Website von Triton Noir bestellen. Alternativ findet man dort auch eine Liste mit Händlern in diversen Ländern.
Sprachabhängigkeit: Das Spiel ist ausschliesslich in einer zweisprachigen Ausgabe (Englisch & Französisch) erhältlich. Im Spiel selbst gibt es zwar abgesehen von den Event- und Operationskarten keinen weiteren Text und es existiert auch schon ein deutsches Regelerklärvideo, mindestens eine Person am Tisch sollte aber trotzdem des Englischen bzw. Französischen mächtig sein.
Erweiterungen: Zeitgleich mit dem Grundspiel sind auch zwei Erweiterungen erschienen: Resistance und Secret Weapons. Diese bieten nebst neuen Commandos, Ausrüstungsgegenständen, Operationen und Landschaftsteilen auch die Möglichkeit für ein Spiel mit 5 bis 6 Personen.
FAQ: Bei Regelunklarheiten hilft meist schon ein Blick in die offiziellen FAQ (die übrigens auf Grund des klar strukturierten Regelwerks sehr überschaubar ausfallen).
Das Artwork von dem Spiel ist ja mal richtig geil. Gefällt mir sehr der Stil. Sind die Bilder als Gimmick zum Spiel mitgeliefert worden? Oder sind die einfach so in der Anleitung (o.ä.) drin?
Jedenfalls scheint das Spiel ein paar coole Kombinationsmöglichkeiten zu ermöglichen. Sowas gefällt mir sehr. Die „Alphaübernahme“ ist natürlich immer ein Problem, je nach Spielgruppe. Aber davon abgesehen sieht das Spiel sehr ‚ahmächelig‘ aus.
Die monochromen Illustrationen befinden sich auf der Rückseite der Terrain(aufbau)karten und entsprechen mit ihrem Sujet jeweils mehr oder weniger dem Missions-Auftrag. Die Idee ist, dass man sie nach geglückter Mission umdreht und so quasi auch einen visuellen Abschluss erhält.