„Numunuu„, „das Volk“ – so bezeichneten sich die Komantschen selbstbewusst. Bekannt sind sie aus unzähligen Filmen vor allem als kriegerisches Volk und hervorragende Reiter. Die Bezeichnung „Lords of the Southern Plains“ trugen sie zu ihren Blütezeiten wohl nicht zu unrecht. „Comancheria – the Rise and Fall of the Comanche Empire“ von Joel Toppen, erschienen bei GMT, lässt den oder die SpielerIn (ja, Einzahl) in deren Geschichte eintauchen.
Wie gesagt: Einzahl. Aber warum spielt man überhaupt ein Solospiel? Nun, es gibt verschiedene Gründe. Als MUWINSer liegt der erste auf der Hand: Kaum jemand will mit uns spielen. Aber es gibt auch noch andere! Gehen wir’s mal umgekehrt an: Bei einem Solospiel fehlt die soziale Interaktion als Verkaufsargument. Es muss also Alternativen bieten, und die wiederum hängen vom intendierten Verwendungszweck ab.
„Onirim“ beispielsweise ist ein prima Solospiel, das sich leicht im Reisegepäck verstauen lässt, und das man mal eben in 30 Minuten, fast ohne Platzbedarf, beim Warten auf das Essen oder sonstwo durchzocken kann. „Hostage Negotiator“ dauert schon etwas länger und braucht etwas mehr Platz für die Auslage, ist also eher was für abends allein im Hotel. Comancheria hingegen dauert, je nach Szenario, eine bis mehrere Stunden und benötigt einen ausgewachsenen Tisch, ganz zu schweigen vom 20-seitigen (allerdings sehr ausführlich geschriebenen) Regelheft. Was also macht den Reiz eines solch „grossen“ Spiels aus, mit dem man sich dann ausschliesslich alleine beschäftigt? Um den durchschnittlichen Ureinwohner Amerikas so lange bei der Stange zu halten, muss es ähnliche Elemente und Qualitäten wie ein gutes Buch aufweisen: Spannende Ausgangslage, komplexe Probleme, fiese Bösewichte… aber eben doch nicht ganz die gleichen.
Anders als ein Buch, das dem Leser eine wahre oder erfundene Geschichte anbietet, der er zu folgen (oder das Buch wegzulegen) hat, ermöglicht ein Spiel einen anderen Zugang: Es versetzt den Spieler unter Annahme gewisser, vom Spieleautor festgesetzter Parameter, in eine Situation und sagt: Mach mal! Die folgenden Ereignisse können je nach Entscheidungen des Spielers recht schnell von tatsächlichen historischen Ereignissen abweichen, müssen dabei aber nicht weniger plausibel sein. (Historische Ereignisse nehmen wir nämlich nur deshalb als „normale Folge“ wahr, weil wir wissen, was geschehen ist. Meist hätte genauso gut etwas Anderes passieren können.) Die Annahmen könnten grundsätzlich auch eine ferne Zukunft betreffen; doch das ist bei Comancheria nicht der Fall. Fangen wir also mal bei der Ausgangslage an…
Das Hauptszenario von Comancheria beginnt um das Jahr 1700 mit einer einzigen Komantschensiedlung (von den Spaniern „Comancheria“ genannt) im nördlichen Arkansas. Das Gebiet wird zu diesem Zeitpunkt vor allem von anderen Ureinwohnern und Bisonherden bevölkert. Weiter weg im Westen und Süden befinden sich spanische Siedlungen, doch Spanien ist in Europa in einen blutigen Erbfolgekrieg verwickelt und zeigt vorübergehend wenig Interesse, sich auch noch in der Neuen Welt zu verausgaben.

Das erste Spielziel einer Folge von bis zu vier Spielabschnitten lautet, das nördliche Arkansas zu kontrollieren (d.h., es befindet sich mindestens eine eigene Siedlung und kein feindliches Dorf dort) sowie mindestens eine weitere Comancheria in einem andersfarbigen Gebiet zu errichten. „Dorf“ sollte dabei nicht missverstanden werden: Als halbnomadisches Volk handelt es sich dabei um mobile Siedlungen.

Die reichlich vorhandenen Bisonherden laden zur Jagd ein, den anderen Stämmen in der Region sind die Komantschen deutlich überlegen (überraschende Überfälle stellen dennoch immer eine gewisse Gefahr dar…). Das Spiel bietet ausserdem eine Art Technologiebaum, über den wir uns in diversen Bereichen nach und nach verbessern können. Da es im ersten Teil um die Eroberung eines eigenen Gebiets gehen wird, liegt es nahe, sich für den offensiven „Kriegspfad“ zu entschieden. Andere Optionen stehen aber offen.
In jeder Runde in Comancheria bewegen sich zunächst feindliche „Warbands“, also europäische oder indianische Truppen, die die Absicht haben, gegen uns vorzugehen. Glücklicherweise kommen die erst nach und nach ins Spiel – auch aufgrund der erwähnten, allerdings zeitlich begrenzten Passivität der Spanier.
Danach agiert in der Hauptphase der Spieler und schliesslich „das Spiel“, indem es mindestens einen Widersacher handeln lässt. Die Art und Weise, wie diese Gegenspieler agieren, macht weitgehend den Reiz eines Solospiels aus. In der einfachsten Form „handelt“ es völlig zufällig, was aber auf Dauer für den menschlichen Gegner wenig befriedigend ist. Comancheria hingegen zeichnet sich hier besonders aus. Die „künstliche Intelligenz“ ist das Kernstück, reagiert auf Züge des Spielers (verhält man sich selber aktiv, werden auch die Gegner zunehmend unruhiger, bleibt man eher passiv, werden sie weniger von sich aus unternehmen), lässt einiges an vorausschauender Planung zu und hält doch überraschende Wendungen bereit.

Das Grundprinzip funktioniert so, dass sich im Verlauf des Spielerzugs gegnerische Aktionspunkte ansammeln, zu Beginn der Gegnerphase wird dann (halb-) zufällig einer der potentiellen Gegner bestimmt (im ersten Zeitabschnitt ist die Wahrscheinlichkeit am grössten, dass die Spanier im Westen aktiv werden), anschliessend eine zufällige Aktion aus der Matrix „umgedreht“ (siehe Bild oben), und danach werden die Aktionen von oben nach unten ausgeführt, so lange genügend feindliche Aktionspunkte zu Verfügung stehen. Das System ist in der Umsetzung genial und führt zu gegnerischem Verhalten, das sich „organisch“ anfühlt. Es ist absehbar, was der Gegner vor hat, aber dennoch können üble (und auch mal erfreuliche, etwa wenn unerwartet ein Friedensangebot aktiviert wird) Überraschungen auftreten…
Jede Comancheria besteht aus einem Kriegshäuptling („Mahiminiana“), einem Dorfältesten („Paraibo“), sie kann Ressourcen (zu Beginn nur Pferde, später auch Bisons, Gefangene, Nahrungsmittel, Tauschwaren, Waffen) beinhalten, sowie einige Truppen („Bands“) in unterschiedlicher Kampfstärke und Mobilität.

An Spieleraktionen steht so Einiges zu Verfügung: „Planen“ erlaubt das Verbessern und Anpassen der eignenen Technologien oder das Bewegen der Comancherias. Gruppen von Kämpfern können zum Jagen, Handeln oder auch zu Überfällen ausgesandt werden, um hoffentlich mit reicher Beute zurückzukehren. Erfahrene Kriegshäuptlinge bringen Vorteile bei Auseinandersetzungen (und werden durch erfolgreiche Aktionen noch erfahrener), weisere Älteste erlauben pro Zug ihren Dorfbewohnern mehr Aktionen. Registriert werden ausserdem die Eigenschaften „Militär“ (das Bedrohungspotential der Komantschen) sowie „Kultur“ – sinkt beides auf Null, bedeutet dies das sofortige, unrühmliche Ende des Volkes (oder zumindest der Partie): Die Komantschen haben den Willen verloren, ihren Gegnern militärisch entgegen zu treten, die diversen Verlockungen in den Siedlungen der weissen Ankömmlinge waren zu stark…
Andernfalls hangelt man sich in der Kampagne durch die 4 Zeitabschnitte des Spiels (die für kürzere Partien auch einzeln angepackt werden können), wird vom übermächtigen Jäger zunehmend zum Gejagten angesichts der sich verändernden Gegner (Spanien, Mexiko, Texas, später die USA), und erlebt dabei den wachsenden Druck von allen Seiten hautnah. Trotz möglicherweise ahistorischer Entwicklung der Geschichte befindet sich der Spieler so schon bald in einer Situation, die ihn diese Zeit zumindest im Ansatz emotional nachempfinden, durch die aktive Auseinandersetzung vielleicht sogar ein wenig verstehen lässt.
So ist Comancheria mehr als nur Zeitvertreib, auch wenn es eigentlich gar nicht diesen erweiterten Anspruch hat. Es ist spannende Herausforderung und Lehrstück in einem, überzeugt durch seine einfachen, funktionierenden Modellannahmen, also letztlich seine Intelligenz als Partner UND Gegenspieler gleichermassen. Etwas Regellerntoleranz ist zwar nötig, doch das Spiel ist keineswegs schwer zu erarbeiten! Das allerdings ausschliesslich englische Regelwerk ist Wargame-typisch strukturiert und aufgebaut, was zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, jedoch äusserst hilfreich bei auftretenden Fragen ist: Die entsprechenden Erklärungen stehen genau dort, wo man sie auch vermuten würde. Hat man die Regeln einmal eingehend studiert, genügen ausserdem die hervorragenden, GMT-typischen Spielhilfen, um die recht prozeduralen Spielzüge regelkonform abzuhandeln und schon bald zum eigentlich Wichtigen und Spannenden überzugehen: Der ganz eigenen, hoffentlich erfolgreichen Strategie.

Ok, ich bin bin vielleicht etwas spät dran, aber ich habe das Spiel erst kürzlich entdeckt.
Ich finde es fantastisch.
Es ist spannend. Es ist schwer und die KI fühlt sich wirklich intelligent an.
Aber am meisten hat mich beeindruckt, wie sehr das Thema für mich durch kam. Wenn die Kolonialmächte anfangen zu siedeln, dann spürst wie den Comanchen langsam aber sicher der Platz zum Leben genommen wird. Dieser Druck, auch kulturell, kommt super rüber.
Ich mag es sehr und ich denke, ich werde bei der Neuauflage von Navajo Wars auch zuschlagen.