Es war Liebe auf den ersten Blick. Die elegant schlichte Verpackung und der Spielbeschrieb trafen meinen wunden Punkt. Ein Brettspiel mit der Geschichte im Zentrum.
Immer dieser Hinweismarker
Nicht, dass ich mich beklagen möchte – oder gar erst könnte. In den letzten Jahren gab es story-driven Brettspiele wie Sand am Meer – Runebound 3.0, Eldritch Horror, Winter der Toten, Robinson Crusoe oder Pandemie Legacy um nur eine Handvoll Juwelen zu nennen. Auch wenn ich keineswegs an der Genialität dieser Spiele zweifeln will, war ich immer und immer wieder ein wenig enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass genau dort, wo für mich die Story die grösste Rolle spielt, ein Hinweismarker zum Einsatz kam. Genau derselbe Hinweismarker, wie beim vorherigen und auch vor-vorherigen Szenario. Zusätzlich entscheidet dieser dann irgendwann später über Sieg oder Niederlage.

Endlich T.I.M.E. Stories
T.I.M.E. Stories schien nun aber endlich dieses Bedürfnis stillen zu wollen. Und ich wurde nicht sitzen gelassen. Dabei ist das Spielprinzip relativ einfach. Man wird mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit geschickt – in den Körper einer zeitgenössischen Person – und muss einen Auftrag erfüllen um den Verlauf der Zeit zu ändern – und somit wahrscheinlich auch die Menschheit zu retten. Anhand zahlreicher Karten entdeckt man verschiedene Räume, spricht mit verschiedenen Personen und findet zahlreiche wichtige und weniger wichtige Gegenstände.
Bereits das erste Szenario Nervenheilanstalt hatte mich vollkommen in seinen Bann gezogen. Dass das Spiel mit (fast) nur Karten auskommt – und vor allem was es damit alles schafft – ist einfach nur genial. Sei es die sich ständig aktualisierende Karte, die verschiedenen Räume mit all ihren Geheimnissen oder die bisher vollkommen versteckten Ortschaften, die man noch gar nicht erahnen kann. Die Welt, die in T.I.M.E. Stories geschaffen wird, ist gleichermassen wunderschön und beeindruckend. So geschah es, dass ich nach stundenlangem Suchen endlich eine Saugglocke fand – da ein Bewohner der Heilanstalt danach fragte. Ich übergab sie dann gespannt, nur um einen Regentanz des Bewohners zu bewundern. Eine Sackgasse. Es ist beeindruckend, wie man sich durch einen Stapel Karten in die Irre führen lassen kann, oder gar nicht mehr weiter weiss.

Hinzu kommen die bisherigen drei Erweiterungen (Der Marcy-Fall, Die Drachen-Prophezeiung und Hinter der Maske), die nicht nur jeweils eine vollkommen neue Geschichte erzählen, sondern sich auch grafisch nicht mehr unterscheiden könnten. Sofort taucht man ein in die neue Realität mit all ihren Bewohnern, Problemen und Geschichten.
Kein perfektes Spiel
Ich würde jedoch auch T.I.M.E. Stories nicht das Prädikat des perfekten Spiels verleihen. Dazu kommt der Teil Spiel etwas zu kurz – der Fokus auf die Geschichte ist ironischerweise gar zu stark. Das ständige Würfeln bei Kämpfen und Begegnungen verleiht dem Spiel einen grossen Zufallsfaktor, dem ich zugegebenermassen hie und da etwas nachgeholfen habe – dies aber natürlich vollkommen im Dienste der Geschichte. Aber ganz ehrlich, das ist doch bei den meisten rein kooperativen – und oft fast unmöglich zu schaffenden – Spielen so. Erwähnen wir hier vor allem Herr der Ringe – Das Kartenspiel LCG.
Dennoch liegt hier ein weiterer grosser Unterschied zwischen T.I.M.E. Stories und den meisten anderen kooperativen Brettspielen mit Szenarien.
. Die Karte der Nervenheilanstalt
Keine Langeweile
Das klingt nun etwas komisch, aber: In keinem Spiel, das ich je gespielt habe, ist eine Niederlage so befriedigend wie in T.I.M.E. Stories. Niederlagen in kooperativen Spielen sind meist frustrierend, weil man oft nicht genau weiss, was man hätte besser machen sollen oder können – das Spiel war ganz einfach besser. Wird das Spiel oder das Szenario nochmals gespielt, ist dies meist redundant und nicht selten langweilig. Nicht so in T.I.M.E. Stories. Natürlich ist auch hier das Verlieren frustrierend, aber die Niederlage dient einem klaren Zweck – Lernen. Es ist schier unmöglich – oder zumindest sehr unwahrscheinlich – ein Szenario beim ersten Spielen gleich zu gewinnen. Es ist gleichzeitig unmöglich, beim ersten Spiel gleich alles, was das Szenario zu bieten hat, zu entdecken – oft hat man gar nach der fünften Partie nicht alles gesehen. Es ist deshalb notwendig, die verschiedenen Informationen der verschiedenen Partien zusammenzufügen. So erhält man Zugang zu neuen Ortschaften, Personen und Geschichten, um so dem Sieg etwas näher zu kommen. Mit jeder Partie versteht man besser, wie die Personen aus den verschiedenen Partien zusammenhängen und wie sie helfen, den Sieg zu erringen. Zusätzlich gibt es meist mehr als eine Möglichkeit, ein Szenario zu schaffen. Dadurch wird eine einzelne verlorene Partie zu einem Teil des gesamten Durchspielens. So kann man beispielsweise gewisse gefundene Gegenstände in künftigen Partien bereits von Beginn weg an sich nehmen. Es fühlt sich an, als würde man ständig seinen Fortschritt in der Geschichte speichern und später diesen Spielstand für die neue Partie neu laden. Ein sehr raffiniertes System, um ständige Wiederholungen derselben Szenarien zu vermeiden.

Das beste Spiel des Jahres 2016
Wie bereits erwähnt ist T.I.M.E. Stories keineswegs das perfekte Spiel. Dennoch geht es Wege, die kaum ein Spiel zuvor gegangen ist. Es erzählt eine Geschichte, wie es nicht einmal die neusten Escape the Room-Spiele schaffen – und dies auf eine sehr einfache Art und Weise.
Es ist spannend und erfrischend zu sehen, was mit einem Karten-basierten Brettspiel alles möglich ist. Es bleibt die Hoffnung, dass dies zu weiteren Brettspielen inspiriert – vielleicht auch zu nicht-kooperativen Varianten.
Ich stimme zu was Innovation (Karten, die Szenen bilden) und Storytelling angeht – in Sachen Spiel müsste ich allerdings noch mehr Abstriche machen. Ja, es braucht mehrere Durchgänge, bis man irgendwann den optimalen Ablauf herausgefunden hat. Da das Spiel aber statisch ist, wird man das irgenwann – letzlich in Fleissarbeit – unweigerlich schaffen, ob früher oder später ist weitgehend davon abhängig, ob ich auf einen nicht als solchen erkennbaren Red Herring reinfalle oder nicht (und damit glücksabhängig).
Mein persönliches Fazit: Man sollte es mal gespielt haben – muss aber nicht 😉
Natürlich ist es glücksabhängig – trifft man im ersten Durchgang auf die richtigen Personen oder nicht. Dies ist tatsächlich zentral bei der Frage, wie viele Durchgänge man benötigt. Dennoch ist mein Punkt: Auch wenn man auf die Red Herring’s reinfällt, frustriert es nicht. Es sind die lustigen, absurden, unnötigen Umwege, die dieses Spiel ausmachen. Und man weiss, ich falle kein zweites Mal darauf ein. Es bringt zwar für die eine Partie nicht viel, macht aber die gesamthafte Erfahrung mit dem Spiel aus.
Und ich würde nicht behaupten, dass es sich bei der x-ten Partie um eine reine Optimierung der Spielzüge handelt. Der Umfang jedes Szenarios ist dazu viel zu gross und lässt zu viele Varianten offen – ausser natürlich du schaffst es auch bei der 999. Partie wegen einem missglückten Würfelwurf ganz am Schluss nicht (und ja diese Möglichkeit spricht nicht für das Spiel – völlig einverstanden).
Ich verstehe jede und jeden, der das Spiel zu wenig tief – oder eben zu wenig Spiel findet. Weil es das auch meiner Meinung zu einem gewissen Grad ist. Dennoch ist es ein Muss für jeden, der gerne rätselt, gerne schön gestaltete Comics hat oder gerne spannende Geschichten verfolgt.
Geht es denn wirklich um das Lösen? Geht es um Spielmechaniken? Gar Fleissarbeit? Ich kann nur von den drei Runden berichten, wo ich zweimal nur Zuschauer/Regelerklärer war und meiner eigenen Runde, aber diese obigen Fragen haben sich nie gestellt. Selten sind wir so tief in ein Brettspiel eingetaucht, selten war der Drang da, sofort den nächten Termin zu finden. Es ist einfach ein großer Spaß in Rollen zu schlüpfen, diese vielleicht sogar etwas auzuschmücken! Und man sollte auf jeden Fall die Karten nicht stumpf vorlesen oder zeigen. Denn jeder Spieler hat einen anderen Fokus, erzählt Dinge aus einem anderen Blickwinkel, berichtet nicht von Informationen die vielleicht wichtig wären (vor allem bei den Bildern) oder betont Sachen die unwichtig sind. Hier gibt es dann ein Spiel im Spiel – nämlich die Auseinandersetzung mit meinen Spielern. Time Stories ist mehr als ein storygetriebenes Brettspiel, aber das liegt dann auch an den Mitspielern. Für mich ist es eines der besten Brettspiele, weil es Sachen triggert, die ich so vorher nicht erlebt habe.
Ich bin ganz deiner Meinung… Es ist ein Spiel, das mit den Spielern steht und fällt. Wir haben es auch jedes Mal so gespielt, dass man wirklich von seinem „Erlebnis“ auf der Karte berichtet, anstatt die Karte weiterzureichen.
Aber ich kenne genügend Spieler, die – auch in anderen Spielen – kaum Flavor-Texte lesen (je nachdem in welchem Spiel, bin ich auch einer davon). Und wenn man nicht bereits ist, in die Geschichte einzutauchen, bietet dieses Spiel recht wenig. Es ist nicht DAS typische Spiel, und man muss auch ein bisschen wissen, auf was man sich da einlässt.